Es scheine, "dass wir in einer Gesellschaft leben, in der nur der Erfolg zählt", sagte die evangelische Theologin am Mittwochabend bei einer Veranstaltung in Magdeburg. Anzeichen dafür seien etwa zunehmende Depressionen und Essstörungen bei jungen Menschen. Sie befürchte, dass in einer ökonomisierten Gesellschaft die Wirtschaft über die Menschenwürde siegen könnte.
Zudem schläfere die "Ablenkungsgesellschaft" die Menschen medial ein, sagte Käßmann. In "unserer effektiven Welt" solle etwa auch das Sterben effektiv sein. Wo aber käme die Gesellschaft hin, wenn sie nicht mit Schwäche leben könne, argumentierte Käßmann, die Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017 ist.
Anonymität von "Shitstorm-Äußerungen"
Die Gesellschaft degeneriere in der Anonymität von "Shitstorm-Äußerungen". Vieles davon würden Menschen, die sich Auge in Auge gegenüberstehen, nicht sagen. Unflätig aus der Anonymität heraus seine Meinung zu verbreiten, sei keine Haltung. Haltung heißt nicht immer Opposition, sondern auch zu den Werten in diesem Land zu stehen, sagte die Theologin.
Bei der Freiheit im evangelischen Sinn gehe es um Gewissensfreiheit, die sich im Dialog mit der Bibel und in der Welt entwickeln müsse. Sie sei auf die Gemeinschaft bezogen. Dass Reformator Martin Luther (1483-1546) die Verantwortung des Individuums in den Mittelpunkt gestellt habe, sei ein historischer Wendepunkt in der Gesellschaft gewesen.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte, er sehe eine breite Kluft zwischen den Aussagen des Grundgesetzes zu Menschenrechten und dem Verständnis in der Bervölkerung dafür. So habe er etwa nach den Demonstrationen gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz und dem Brandanschlag viele Schmähungen erhalten. Es gebe einen nicht unerheblichen Bodensatz an fremdenfeindlichen Haltungen.