Sie haben eine halbe Stelle zur Prävention gegen Rechtsextremismus im ländlichen Raum. Tut Kirche damit genug gegen Rechtsextremismus?
Martin Schindel: Es gibt in Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen viele KollegInnen, in der Jugendarbeit, in den Pfarrämtern, die in ihrer alltäglichen Arbeit immer wieder auch Rechtsextremismus zum Thema haben, die sich gegen Nazis engagieren, die Bildungsangebote machen und noch vieles mehr. Ich glaube, es fehlt in der evangelischen Kirche eine dauerhafte Stelle, von der aus diese Arbeit unterstützt und manchmal fokussiert werden kann. Ein Beispiel: Es wäre gut, wenn eine zentrale Stelle in unserer Kirche fertige Unterrichtseinheiten für Konfi-Unterricht oder Schulklassen vorhalten und verbreiten würde: Dann müssten diejenigen, die vor Ort tätig sind, diese nur noch abrufen. Das würde manches einfacher und effizienter machen.
Warum gibt es so eine zentrale Stelle in der Kirche nicht?
Schindel: Es fehlt, glaube ich, in unserer Kirche das Bewusstsein dafür, dass die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, die Bekämpfung faschistischer Organisationen und Gedanken eine dauerhafte, ständige Aufgabe ist. Zahlreiche Untersuchungen belegen seit mindestens 30 Jahren immer wieder, dass es einen rechten Bodensatz in der Gesellschaft – und vermutlich auch in der Kirche – gibt; wenigstens zehn Prozent der Gesamtbevölkerung leben in und mit einem rechtsextremen Weltbild. Vielleicht ist das vergleichbar mit der immerwährenden Aufgabe der Gewaltprävention, die ebenfalls nicht irgendwann aufhören wird. Mir fehlt in kirchlichen Gremien und Entscheidungs-Ebenen das Bewusstsein dafür, dass in solchen Arbeitsgebieten sehr gut ausgebildete und spezialisierte Personen tätig sein müssen. Für diese müsste es unbefristete Stellen geben, wo auch immer in kirchlicher Hierarchie diese anzusiedeln sind.
"Es ist der evangelischen Kirche schon immer schwer gefallen, ihren rechten Rand eindeutig zu ziehen"
Sie haben immer wieder Anfragen aus Gemeinden: Welche Art von Beratungsbedarf haben Gemeinden, wenn es um Rechtsextremismus geht?
Schindel: Das ist je nach Situation sehr unterschiedlich: Manchmal geht es darum, eine Gemeinde zu unterstützen bei der Durchführung einer konkreten Aktion, der Organisation einer Demonstration oder einer Mahnwache gegen einen Nazi-Aufmarsch. In unserer Kirche haben leider wenige Menschen ausreichend Erfahrung damit, wie man schnell und öffentlichkeitswirksam einen Protest organisiert. Manchmal geht es aber auch darum, dass PfarrerInnen in ihren Gemeinden zwar keine konkrete rechtsextreme Gefahr sehen, aber eine fremdenfeindliche oder gewalttätige Stimmung wahrnehmen. Wie kann man in einem Dorf, einer kleinen Stadt nachhaltig eine solche Stimmung verändern? Oder auch: Wie geht eine Kirchengemeinde damit um, dass die NPD zu Wahlkampf-Zeiten ein Dorf mit Plakaten und widerlichen Parolen pflastert?
Wie können Sie weiterhelfen?
Schindel: Ich freue mich immer, wenn KollegInnen oder Kirchenvorstände mich anfragen zur Beratung; manchmal kann ich Ideen mit entwickeln oder Personen vor Ort unterstützen. Das Engagement gegen Rechtsextremismus hat meiner Wahrnehmung zufolge immer viel mit Bildung und Aufklärung zu tun; das sind langfristige Prozesse, und da kann ich von außen meist nur wenig beitragen. Aber ich kann verweisen auf Angebote, besipielsweise an der Universität Marburg, oder auf das mobile Beratungsnetzwerk: Es ist erstaunlich, dass selbst bei engagierten Menschen viele Angebote und Möglichkeiten bisweilen wenig bekannt sind.
Mit welchen Fragen muss sich die Kirche als Gesamtinstitution auseinandersetzen, wenn es um Rechtsextremismus geht?
Schindel: Es ist der evangelischen Kirche schon immer schwer gefallen, ihren rechten Rand eindeutig zu ziehen. Da Kirche etwas wesensmäßig anderes ist als eine Partei oder ein Verein, gibt es dafür durchaus sachliche und strategische Gründe. Ich halte es dennoch für extrem wichtig, dass zum Beispiel die Synoden der Landeskirchen sich mit der Frage eines Unvereinbarkeits-Beschlusses beschäftigen. Ein solcher müsste klar stellen, dass es eindeutige Grenzen gibt, die eine Mitarbeit – vielleicht sogar die Mitgliedschaft – in der evangelischen Kirche unmöglich machen. Die evangelische Kirche in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz hat einen solchen Beschluss gefasst: Niemand darf dort für ein kirchliches Amt, beispielsweise den Kirchenvorstand, kandidieren, der menschenverachtende Thesen vertritt.
"Was tue ich für die Angehörigen - wo verweigere ich kirchliches Handeln?"
So ein Vorschlag eines Unvereinbarkeits-Beschlusses trifft aber sicherlich auch auf Widerstand?
Schindel: Ja, schon an dieser Formulierung wird deutlich, warum ein solcher Beschluss auch Probleme aufwirft: Wer definiert jeweils, was menschenverachtend ist? Wie funktioniert im Ernstfall ein Ausschluss-Verfahren? Dass hier in den Details zahlreiche Schwierigkeiten lauern, kann man sich leicht ausmalen. Ich erinnere daran, dass es der SPD bis heute nicht gelingt, jemanden wie Herrn Sarrazin auszuschließen, obwohl seine schriftlich fixierten Positionen sehr klar rechtsextrem sind. Für eine Kirche wäre es noch viel schwieriger als für eine Partei, ein nicht nur rechtlich, sondern auch theologisch sauberes Verfahren und klare Positionen zu entwickeln. Meines Erachtens darf aber das Wissen um die Probleme nicht dazu führen, dass eine Debatte darum unterbleibt – was bislang leider der Fall ist.
Was glauben Sie, warum unterbleibt eine Diskussion über Rechtsextremismus in den Synoden?
Schindel: Ich glaube, dass in den Synoden der gute Wille durchaus vorhanden ist – aber entweder zahllose formale Fragen oder die Furcht, eine Büchse der Pandora zu öffnen, das Nachdenken verhindern. Mir werden solche praktischen Fragen manchmal auch im Gemeindedienst deutlich: Wie beerdige ich einen Nazi? Was sage ich, was sage ich nicht, was bin ich bereit, aus Gründen der Nächstenliebe – die Angehörigen im Blick – zu tun, wo verweigere ich kirchliches Handeln? Und jeweils: Warum? Mit welcher Unterstützung durch die Amtskirche?
Als wie rechtsextrem empfinden Sie die "Pegida"-Bewegung und die Demonstranten um die "Freien Bürger für Deutschland" um Heidi Mund in Frankfurt?
Schindel: Was die "Pegida"-Bewegung in Sachsen angeht, stimme ich Katja Kipping völlig zu: Der Kitt, der diese Strömung zusammenhält, heißt Rassismus. Es ist sicherlich klar, dass die Motive der Menschen, in Dresden auf die Straße zu gehen mit "Pegida", sehr unterschiedlich sein mögen; aber das Verbindende zwischen all' diesen Gruppen und Individuen ist menschenverachtend. Deshalb freue ich mich auch darüber, dass die evangelische Kirche sich sehr schnell und eindeutig abgegrenzt hat und deutlich macht, dass die Gedanken und die Attitüde von Pegida bei uns keinen Platz haben.
Die Versuche, das sächsische Vorbild in Kassel oder Frankfurt nachzuahmen, haben sich bislang sehr erfolgreich lächerlich gemacht. Es tut gut zu sehen, dass nur wenige den rechten Aufrufen gefolgt sind, dass aber viele sich für weltoffene, tolerante und multi-kulturelle Städte in Hessen einsetzen. Damit meine ich nicht nur die Gegendemonstrationen, sondern auch viele, die alltäglich sich für Flüchtlinge engagieren, die mit Moschee-Gemeinden gerne und gut und schon lange zusammenarbeiten, noch viele andere mehr.
Heidi Mund ist ja eine bekennende Christin...
Schindel: Selbst der kirchlichen Rechten ist Frau Mund ja peinlich; man hat sich deutlich distanziert. Dass ihre absonderlichen Vorstellungen von Glauben irgendetwas mit dem Christentum, mit einer am Evangelium orientierten Kirche zu tun haben können, denkt zum Glück kaum jemand. Es ist gewiss gut, weiterhin im öffentlichen und kirchlichen Raum deutlich zu machen, dass sie völlig isoliert und nicht ernst zu nehmen ist.