Seit einem halben Jahr erst sind sie in Deutschland, sie sind zwischen 16 und 18 Jahren alt und kommen aus Damaskus und Aleppo. In der "Willkommensklasse“ einer Berliner Oberschule, einer speziell für Flüchtlinge eingerichteten Lernklasse mit Schwerpunkt auf Sprachunterricht, haben die zehn Schülerinnen und Schüler ein Theaterstück über ihre eigene dramatische Geschichte eingeprobt. Es erzählt über Konflikte innerhalb der syrischen Gesellschaft, über ideologische Verfolgung, Folter und Flucht, über das Zerbrechen von Freundschaften aufgrund der ideologischen Zwänge des Assad-Regimes. Geschrieben haben das Stück "Leben. Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit" die Schülerinnen Bushra (17) und Farah (17), die Hauptrolle spielt Bushras Bruder Majd. Der 18jährige wurde in Syrien von Regierungssoldaten gefoltert: "Ich habe nur überlebt, weil sie mich für tot hielten", erzählt er. Noch heute trägt er die Narben der Misshandlung auf seinem Bauch.
3000 Euro kostet die Flucht für eine Person
Mit einfachsten Mitteln inszenieren die zehn Schülerinnen und Schüler aus Syrien die Gewalt in ihrer Heimat und die menschenunwürdige Flucht auf einem Schlepperboot gen Europa. "Einige von uns haben die Folter selbst erlebt, wurden entführt in dreckige Verließe gesperrt, echte Rattenlöcher. Wir haben nur dann überlebt, wenn unsere Eltern hohe Lösegelder zahlten." Das Leid, die Folter und das Bitten um Erbarmen stellen sie jetzt auf der Bühne vor Verwandten, Mitschülern und Lehrern nach. Als Foltergerüst dient ein Garderobenständer, Bombardierung und Häuserkampf werden mit umfallenden Mauerelementen aus Pappmachee nachgestellt. Die kurzen Dialog-Szenen auf Deutsch, die die syrischen Schauspieler selbst geschrieben haben, sind ebenso einfach wie eindeutig.
Auf der Bühne der Carl Zeiss Oberschule spielen die Schülerinnen und Schüler ihre Ankunft an der deutschen Grenze nach, ein deutscher Grenzbeamter nimmt sie völlig erschöpft in Empfang und bietet ihnen zu Trinken an. In der ersten Zuschauerreihe sitzt der Vater des Hauptdarstellers Majd und verfolgt gebannt, wie sein Sohn ihre eigene Vergangenheit nachspielt. Manchmal huscht ein stolzes Lächeln über sein Gesicht, bei der Szene über ihre Ankunft in Deutschland scheint er tief bewegt zu sein. Monika Braun, die betreuende Lehrerin, die das Stück mit den syrischen Flüchtlingen eingeübt hat, ist sich sicher: "Die spielen sich hier frei!" Nach etwa einer Stunde fällt der Vorhang, die Schauspielertruppe ruft im Chor: "Danke, Frau Braun!", Majd rennt zu seinem Vater und umarmt ihn fest. Sie sind angekommen, sie sind in Sicherheit und dürfen zum ersten Mal auf der Bühne über ihr Schicksal erzählen. "Wir haben zwar alles verloren, aber Hauptsache ist doch, dass wir noch leben. Und wir haben wieder Hoffnung und Träume. Danke für Ihre Menschlichkeit und Barmherzigkeit."