Die Wirtschaft floriert, die Arbeitslosigkeit sinkt - doch die Armut wächst. Das geht aus dem aktuellen Bericht zur regionalen Armutsentwicklung hervor, den der Paritätische Wohlfahrtsverband am Donnerstag in Berlin vorgelegt hat. Danach ist im Jahr 2013 die Armutsquote von 15 auf 15,5 Prozent gestiegen und hat nach Angaben des Verbandes mit 12,5 Millionen Menschen einen neuen Höchststand erreicht.
Die Armut hat dem Bericht zufolge bundesweit zugenommen, am stärksten in Hamburg, Bremen und im Saarland. Nur in Sachsen-Anhalt und Brandenburg ist sie leicht gesunken. Gleichzeitig hat sich die Schere zwischen armen und wohlhabenden Regionen weiter geöffnet. Am oberen Ende befinden sich Bayern und Baden-Württemberg mit Armutsquoten von 11,3 und 11,4 Prozent. Am unteren Ende rangieren Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin mit Quoten deutlich über 20 Prozent. In der baden-württembergischen Region Bodensee-Oberschwaben beispielsweise muss nur jeder Dreizehnte zu den Armen gerechnet werden, in Bremerhaven jeder Dritte. Der Bericht spricht von einer "zerklüfteten Republik".
Berlin und Nordrhein-Westfalen im Negativtrend
Mit Blick auf längerfristige Trends stehen Berlin und Nordrhein-Westfalen besonders schlecht da. In beiden Ländern sind die Armutsquoten seit 2006 kontinuierlich gestiegen und die Armut doppelt so stark gewachsen wie im Rest der Republik. Neben dem Ruhrgebiet könnte sich der Studie zufolge der Großraum um die Städte Köln und Düsseldorf zu einer neuen Problemregion entwickeln. In der Region leben fünf Millionen Menschen.
Unter dem Bundesdurchschnitt von 15,5 Prozent liegt wie schon seit Jahren der Südwesten und Schleswig-Holstein, überdurchschnittliche Armutsquoten sind im Norden und Osten zu verzeichnen. Nicht überall geht es dem Osten schlechter als dem Westen: In Berlin und Bremen herrscht breitere Armut als in Sachsen und Thüringen.
Rasant steigende Altersarmut
Die gefährdeten Gruppen sind und blieben auch 2013 die Alleinerziehenden, Kinder und Langzeitarbeitslose. Ihre Lage werde "von Jahr zu Jahr schlimmer", bilanzierte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider. Er warnte zudem vor einer "rasant steigenden" Altersarmut. Sie sei seit 2006 um 48 Prozent gewachsen und werde 2015 erstmals über dem Durchschnitt aller Bevölkerungsgruppen liegen.
"Wir haben extreme Verteilungsprobleme bei zunehmendem Wohlstand", bilanzierte Schneider. Er forderte eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze und der Grundsicherung für Rentner sowie mehr Jobs für Langzeitarbeitslose und bezifferte die Kosten auf 14,5 Milliarden Euro jährlich. Dafür müssten hohe Einkommen und Vermögen stärker besteuert werden. Vor dem Regierungsantritt der schwarz-roten Koalition habe es eine Mehrheit für Steuererhöhungen gegeben. Vor der Bundestagswahl 2013 hatte sich neben den Grünen und der Linkspartei auch die SPD für Steuererhöhungen ausgesprochen.
Forderung nach höheren Hartz IV-Leistungen
Der Armutsbericht des Sozialverbandes bestätigt Ergebnisse anderer Studien über die Verfestigung der Armut in benachteiligten Regionen und Bevölkerungsgruppen. Der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang-Strengmann-Kuhn, forderte die Bundesregierung auf, die Hartz-IV-Leistungen "endlich auf ein menschenwürdiges Niveau anzuheben". Die Vize-Vorsitzende der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, verwies auf den Niedriglohnsektor. Der Mindestlohn von 8,50 Euro sei zu niedrig angesetzt, um Armut trotz Arbeit zu verhindern, kritisierte sie. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, forderte angesichts der Altersarmut, die Renten bei 50 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns zu stabilisieren.
Zur Berechnung der Armutsquoten werden Personen in Haushalten gezählt, deren Einkünfte weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens betragen. Diese EU-weite Berechnungsform gibt die relative Armut an. 2013 lag die so errechnete Armutsschwelle für einen Singlehaushalt in Deutschland bei 892 Euro im Monat und für Eltern mit zwei Kindern bei 1.873 Euro. Der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands erscheint regelmäßig und umfasst inzwischen den Zeitraum von 2006 bis 2013.