Aus voller Überzeugung hatte die Braut mit „Ja" geantwortet, als sie im Traugottesdienst gefragt wurde: „Willst du XY als deinen Ehemann annehmen, ihm treu sein, ihn achten und ihm vertrauen. Willst du ihn lieben, ihm helfen und für ihn sorgen? Willst du ihm vergeben, wie auch Gott vergibt, willst du ihm Freundin und Frau sein und mit ihm Wege finden, auf denen ihr gemeinsam durchs Leben gehen könnt in guten und in bösen Tagen, bis dass der Tod euch scheidet? So sprich: Ja, mit Gottes Hilfe!"
###mehr-artikel###Treu sein? Ja, sicher. Doch was bedeutet das konkret? Es gibt zumindest zwei unterschiedliche Bedeutungen des Worts: Einerseits meint Treue die Verlässlichkeit der Bindung zum Partner, andererseits sexuelle Ausschließlichkeit. Der Unterschied ist mehr als offensichtlich: Es gibt genügend Beispiele dafür, dass Partner Beziehungen neben ihrer Ehe hatten - und alle Beteiligten mit einem blauen Auge oder ohne Scharmützel davongekommen sind. Sich darauf zu verlassen ist allerdings wenig ratsam.
Freibrief für Abenteurer?
Es fällt auf, dass es im zitierten Eheversprechen - einer von vielen Variationen - um Liebe und Freundschaft, um Vertrauen und Versöhnungsbereitschaft geht. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf die innere Qualität ihrer Beziehung. Mit keinem Wort ist in dieser populären Formel die Rede von der Exklusivität der sexuellen Beziehung. „Untreue" im volkstümlichen Sinn, dem Ausflug in die Arme eines/einer anderen, wird hier nicht erwähnt - weder im Stil eines Verbots noch einer Mahnung.
Ein Freibrief für Abenteurer? Das wäre ein Missverständnis. Ehe bedeutet immer auch Verzicht. Es gibt die engen Verdikte der Bibel: „Wer die Frau eines anderen begehrlich ansieht, hat in seinem Herzen schon die Ehe mit ihr gebrochen." Andererseits ist die eheliche Treue kein zentrales biblisches Thema. Das hat historisch damit zu tun, dass die neutestamentlichen Schriften weitgehend von der Erwartung eines nahen Weltenendes geprägt sind und eine detaillierte, auf Dauer angelegte Tugendlehre deshalb überflüssig war. Wachsamkeit stand deshalb höher im Kurs als das Festhalten an Lebens- und Liebesverhältnissen.
Die Treue, um die es in der Bibel geht, ist zunächst und vor allem die Treue Gottes zu den Menschen. Das christliche Treueverständnis reicht weit über die Bettkante der Eheleute hinaus, es ist eine Grundeinstellung zum Leben überhaupt. Es geht darum, das eigene Leben unter eine große Perspektive zu stellen. Treue versteht die Bibel weniger im Sinne von „Bleib so, wie du bist, damit ich dich lieben kann" als vielmehr so: „Ich halte zu dir, damit wir uns mit Gottes Hilfe beide entwickeln können."
Treue nicht als Selbstzweck
In diesem Sinn, also weit über das sexuelle Verhalten hinaus, hat partnerschaftliche Treue einen hohen Stellenwert in der jüdisch-christlichen Tradition. Im Vordergrund stehen aber keine sexuellen Gebote oder Verbotskataloge. Selbst in der berühmten Bibelgeschichte von der ertappten Ehebrecherin, der traditionell die Steinigung drohte, liegt das Augenmerk Jesu nicht auf Details ihres Verhaltens. Er verdammt sie auch nicht wegen ihres Seitensprungs. Aber er fordert sie unmissverständlich auf: „Sündige hinfort nicht mehr" (Johannesevangelium, Kapitel 8). Nicht die Verurteilung, sondern die Vergebung bringt nach christlichem Verständnis die Menschen weiter.
Heute ist kulturell und gesellschaftlich manches anders. Viele Partner leben unverheiratet zusammen. Was bedeutet Treue für Menschen, die sich keine lebenslange Treue versprochen haben? Gerade weil das christliche Treueverständnis viel mehr umfasst als die Sexualität von Eheleuten, ist es auch für nicht Verheiratete relevant: Ihre Beziehung soll so gestaltet sein, dass sie die Entwicklung der Partner fördert.
In der Bibel erscheint Gott als Ursprung und Inbegriff der Treue. Sein Bund mit den Menschen, wie es in der Geschichte von der Sintflut, der Arche und dem Regenbogen zum Ausdruck kommt, ist ein prägendes Erlebnis in der jüdisch-christlichen Tradition. Auch Paulus betont die Treue Gottes zu den Menschen, so zum Beispiel in den Briefen an die Menschen in Korinth.
Ist die partnerschaftliche Treue also eine Christenpflicht? Sicherlich in dem Sinn, dass uns die Entwicklung der Partnerin/des Partners ein ernstes Anliegen sein muss. Erst daraus folgen dann allerlei Konsequenzen im Blick auf Verlässlichkeit, Offenheit, sexuelles Verhalten. Doch Treue ist nie ein Selbstzweck. Sie ist im Kern eine ernsthafte Verabredung zu einem gemeinsamen Weg in die Zukunft - in guten wie in schlechten Tagen.