"Der Islam ist in sich hochgradig differenziert", sagte der emeritierte Professor für Systematische Theologie und Ethik am Montag im Deutschlandradio Kultur. Graf forderte, die Vielfalt und die demokratischen Traditionen im Islam sichtbar zu machen. Es gebe auch einen moderaten, an Aufklärung orientierten und demokratiekompatiblen Islam.
Unter anderem verwies er auf die Demokratie mit islamischer Prägung auf den Philippinen. Er fügte hinzu: Genauso wie es Vielfalt in der Gesellschaft gebe, gebe es diese auch in den Religionen: "Begriffe wie das Christentum, das Judentum, der Islam sind im Kern wenig hilfreich." Alle drei Religionen seien in sich hochgradig differenziert. "Es gibt nicht das Christentum, es gibt viele Christentümer. Und dasselbe gilt für das Judentum und den Islam", sagte der Theologe.
"Das passt einfach nicht in eine freie Gesellschaft"
Mit Blick auf die christlichen Kirchen sprach Graf von einer Autoritätskultur, die den Einzelnen bevormunde. "Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir in vielen Formen Freiheitsansprüche und Freiheitsrechte institutionalisiert haben", sagte er. Zugleich herrsche in den religiösen Organisationen und Institutionen dieser Gesellschaft aber auch sehr viel Autoritätskultur. "Das ist ein Widerspruch, den viele Menschen nicht ertragen", sagte der Theologe.
Graf kritisierte vor diesem Hintergrund die Haltung der katholischen Kirche zur Sterbehilfe. Die Bischöfe wollten den Menschen vorschreiben, wie sie zu sterben hätten, sagte er: "Das passt einfach nicht in eine freie Gesellschaft." Jeder sei in den entscheidenden Fragen des Lebens für sich selbst verantwortlich. Damit müsse man klarkommen. Mit autoritären Positionen könne zudem keine Beliebigkeit verhindert werden.