Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat es als einer der ersten geahnt. Als der Wirtschaftsminister nach dem brutalen Anschlag auf die Redaktion des französischen Satire-Magazins "Charlie Hebdo" vor die Presse trat, warnte er vor einer Instrumentalisierung der Bluttat. Muslime dürften nicht pauschal als Islamisten oder gar Gewalttäter verurteilt werden: "Wir müssen auch die Religionsfreiheit in unserem Land verteidigen."
Nur wenig später meldete sich Vize-AfD-Sprecher Alexander Gauland zu Wort. Absichtlich undifferenziert wirft er Islamismus und Islam in einen Topf, sieht die "Pegida"-Demonstranten, die inzwischen allwöchentlich mit ihren islam- und asylfeindlichen Forderungen auf die Straße gehen, bestätigt. Die Organisatoren ihrerseits rufen dazu auf, am nächsten Montag mit "Trauerflor" zu erscheinen. Und dass AfD-Sprecher Bernd Lucke und die sächsische AfD-Fraktionschefin Frauke Petry gleichzeitig sagen, der Islam sei eine friedliche Religion, verpufft daneben.
Bertelsmann-Studie: 57 Prozent sehen Islam als Bedrohung
Die Stimmung gegen Muslime heizt sich auf. In der nächsten Woche tagt in Berlin die Deutsche Islamkonferenz. Es geht um die Frage nach Wohlfahrtspflege für Muslime, Anerkennung für eine Religionsgemeinschaft, die inzwischen selbstverständlich dazugehört. Gleichzeitig schüren nach dem Pariser Anschlag Rechtspopulisten noch stärker Stimmung gegen Muslime. "Natürlich ist der Anschlag Wasser auf die Mühlen von 'Pegida'", sagt der Sozialanthropologe Werner Schiffauer, Vorsitzender des Rats für Migration. Erst in dieser Woche forderte das Gremium eine umfassende Strategie gegen "Pegida".
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Einschneidende Ereignisse, weiß Schiffauer, können den Blick auf eine Bevölkerungsgruppe nachhaltig prägen. Studien haben das bereits am Beispiel der Muslime vor und nach den Anschlägen am 11. September 2001 nachgewiesen. Islamistische Bluttaten verändern demnach regelmäßig den Blick auf die Muslime insgesamt. Als Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Donnerstag erklärte, der Pariser Anschlag sei auch ein Anschlag auf den Islam gewesen, hat er damit auch auf diese Weise Recht.
Die von "Pegida" neu geschürte, diffuse Angst vor dem Islam belegt auch eine Studie der Bertelsmann Stiftung. 57 Prozent der Bevölkerung sehen der repräsentativen Umfrage zufolge aktuell den Islam als Bedrohung, 2012 waren es 52 Prozent. 61 Prozent finden, der Islam passe nicht in die westliche Welt. Die Mehrheit ist geprägt von Argwohn, und das obwohl - das zeigt die Studie auch - in Deutschland lebende Muslime in überwiegender Mehrheit die Grundwerte der Bundesrepublik bejahen und Vertreter der muslimischen Verbände Hasstaten regelmäßig verurteilen.
"Islamophobie und Salafismus schaukeln sich gegenseitig hoch"
Solche Fakten wie auch die Tatsache, dass die geschätzt rund vier Millionen Muslime in Deutschland wohl kaum eine "Islamisierung" der 80-Millionen-Einwohner-Republik bedeuten, prallen ab an den "Pegida"-Mitläufern, die "Lügenpresse" skandieren. "Nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen bestimmen das Zusammenleben", zitierte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) bei einer Veranstaltung am Mittwochabend in Berlin den griechischen Philosophen Epiktet. Spitzenvertreter von CDU, SPD, Grünen und Linken warnen vor Pauschal-Urteilen.
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Werner Schiffauer hofft indes, dass die Mehrheit dem "Pegida"-Populismus nicht auf den Leim geht. Der Blick auf Muslime sei inzwischen differenzierter, sagt er. Was Schiffauer fehlt, ist aber die Einsicht, dass islamistische Terrorakte nicht als etwas Fremdes abgetan werden dürften. In Frankreich stehen Männer unter Verdacht, die dort aufgewachsen sind. "Es ist also ein französisches Problem", sagt Schiffauer.
Auch in Deutschland müsse man sich fragen, wie es geschehen kann, dass sich Deutsche für den Dschihad radikalisieren lassen. Und schließlich müsse man den Dialog mit ihnen suchen. "Wir brauchen die islamischen Gemeinden", sagt Schiffauer. "Wenn jemand an die Betreffenden rankommt, sind es die." "Pegida" verschlimmere nur, ist er überzeugt: "Islamophobie und Salafismus schaukeln sich gegenseitig hoch."