"Alles ist möglich, auch beim Sterben"

Foto: epd/Meike Boeschemeyer
"Alles ist möglich, auch beim Sterben"
Hospizdienste und ihre Ehrenamtler sind die Stützen der Sterbebegleitung
Rund 80.000 Ehrenamtliche engagieren sich bundesweit als Sterbebegleiter, um todkranke Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Die Berlinerin Ulrike Kahlenborn gehört zu ihnen - und ist strikt gegen Sterbehilfe.
03.01.2015
epd
Verena Mörath

"Mir graust es bei der Vorstellung, dass die Grenze für einen geplanten Tod aufgehoben werden könnte", sagt Ulrike Kahlenborn. In der aktuellen Debatte über die Sterbehilfe bezieht sie damit klar Position. Die 58-jährige Berlinerin engagiert sich seit zwei Jahren für den ambulanten Elisabeth-Hospizdienst als Sterbebegleiterin. Sie gehört zu den geschätzten 80.000 Ehrenamtlichen bundesweit, die Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten und Angehörigen Trost spenden.

"Ich bin einfach da, halte eine Hand, strahle Zuversicht aus und gebe Kraft", erzählt Ulrike Kahlenborn, die eine mehrmonatige Schulung absolviert hat. Nicht selten wollen Menschen am Lebensende "einen letzten Wunsch erfüllt bekommen" oder "Dinge aussprechen, die ihnen am Herzen liegen". Pflegerische Handlungen sind ihr untersagt. "Eine alte Dame habe ich fast ein Jahr lang begleitet. Manchmal aber sterben die Menschen, die mir anvertraut werden, innerhalb weniger Tage."

Das Sterben begleiten, aber nicht aktiv verkürzen

In den 1980er Jahren entstanden in Deutschland die ersten Hospizinitiativen, ohne jeden gesetzlichen Auftrag und finanziellen Rückhalt. Heute gibt es rund 1.500 ambulante Hospizdienste, etwa 200 stationäre Hospize und nahezu 230 Palliativstationen in Krankenhäusern, wie die Statistik des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands belegt. Insgesamt sind in Deutschland 100.000 hauptamtliche und ehrenamtliche Kräfte in der Palliativarbeit tätig.

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Seit 2007 besteht ein rechtlicher Anspruch auf eine sogenannte "spezialisierte ambulante Palliativversorgung auch im privaten Umfeld. Bis Ende 2013 haben schon über 8.000 Ärzte bundesweit die Zusatzbezeichnung "Palliativmedizin" erworben, mehr als 20.000 Pflegende haben die "Palliative Care"-Weiterbildung durchlaufen.

Das ehrenamtliche Engagement der Sterbebegleiter ist immer in ein Team aus Palliativmedizinern und Pflegekräften sowie seelsorgerischen, psychosozialen, physio- und ergotherapeutischen Fachkräften eingebunden. "Wir wollen die Lebensqualität Sterbender verbessern und ihnen ein selbstbestimmtes Leben bis zuletzt ermöglichen", erklärt Christian Kürten, Koordinator für das Ehrenamt im ambulanten Elisabeth-Hospizdienst, der an zwei Standorten in der Hauptstadt und größtenteils in Altersheimen aktiv ist. Träger ist die Stephanus Wohnen und Pflege gGmbH. Rund 85 Ehrenamtliche betreuen hier jährlich 140 Sterbende.

Kürten führt die Erstgespräche mit Betroffenen und Angehörigen, organisiert Schulungen für Ehrenamtliche und koordiniert ihre Einsätze samt Supervision. "Unser Leitbild ist, den Menschen in seiner Persönlichkeit anzuerkennen und als Ganzes wahrzunehmen", sagt Kürten. Dabei orientierten sich die Helfer stets an den individuellen Lebenshaltungen: "Wir begleiten beim Sterben, helfen aber nicht, das Sterben aktiv zu verkürzen."

Eine Angst, nicht "gut" zu sterben?

Umfragen zufolge befürworten 70 Prozent der Bevölkerung eine aktive Sterbehilfe durch Ärzte. Das erklärt Kürten mit dem "mangelnden Vertrauen in die Gesellschaft, dass für sie ihren Wünschen entsprechend in der letzten Lebensphase gesorgt wird. Sie haben Angst, nicht 'gut' zu sterben und nicht selbstbestimmt entscheiden zu können."

Petra Anwar, seit 1998 als Palliativärztin in Berlin engagiert, betreut in zwei Bezirken Patienten zu Hause und im Ricam Hospiz in Neukölln. Die Palliativmedizin sei mittlerweile so weit entwickelt, "dass man schwerstkranken und sterbenden Menschen durch die entsprechende Symptomlinderung Lebensqualität, Sicherheit und einen guten Tod ermöglichen kann", betont die Medizinerin.

Das bestätigt auch der Mediziner Lukas Radbruch: "Die klinische Praxis zeigt, dass der Wunsch nach Beihilfe zum Suizid in den allermeisten Fällen ausgeräumt werden kann", sagt der Bonner Professor. Nach Angaben des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin lassen sich bei fast allen Schwerstkranken Schmerzen, Atemnot, Übelkeit oder Angst sowie psychosoziale Belastungen weitestgehend lindern.

Christian Kürten fordert deshalb, die Wissenslücken in der Bevölkerung und teils in der Ärzteschaft über die Hilfen für Sterbende zu schließen. Nur so lasse sich der Zugang zu palliativmedizinischer Versorgung verbessern: "Eigentlich ist alles möglich, auch beim Sterben."