Der Streit um einen möglichen politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine geht weiter. "Es ist gut, der Ukraine aufzuzeigen, was schlimmstenfalls passieren kann", sagte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Dienstagsausgabe). Das Land solle "die Zeit und die Chance nutzen, zu den selbstgewählten Standards von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit und damit auf den Weg nach Europa zurückzukehren". Amnesty International hält einen Boykott hingegen nicht für sinnvoll. Stattdessen sollten Besucher der EM auf die Menschenrechtssituation aufmerksam machen, sagte der Generalsekretär von Amnesty-Deutschland, Wolfgang Grenz, dem epd.
Grund für die Boykott-Aufrufe ist insbesondere der Umgang mit der inhaftierten Ex-Premierministerin Julia Timoschenko. Die Politikerin war in einem umstrittenen Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Sie ist schwer erkrankt und verlangt eine Behandlung im Ausland, weil sie den ukrainischen Ärzten nicht traut. Nach eigenen Angaben wurde sie in der Haft misshandelt und befindet sich in einem Hungerstreik. Die Fußball-EM wird vom 8. Juni bis zum 1. Juli in der Ukraine und Polen ausgetragen. In der Ukraine sind 16 Partien geplant, darunter das Endspiel am 1. Juli in Kiew.
EKD-Sportbeauftragter: Den Ort nicht infrage stellen
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), forderte den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch auf, Timoschenko und ihre Mitstreiter aus der Haft zu entlassen. Vor dem sportlichen Großereignis müsse "maximaler Druck" auf die Führung in Kiew aufgebaut werden, sagte Löning dem WDR am Montag. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium, Gudrun Kopp (FDP), sprach sich dafür aus, die in der Ukraine angesetzten EM-Spiele möglicherweise in Polen auszutragen.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), wies unterdessen den von der Ukraine gezogenen Vergleich mit dem Kalten Krieg zurück. "Die Ukraine ist offenbar verwirrt", sagte Polenz der "Rheinischen Post". Denn auch der russische Präsident Dmitri Medwedew habe die Inhaftierung Timoschenkos als inakzeptabel bezeichnet. "Dann verliefe aus Sicht der Ukraine die Front in diesem Kalten Krieg also sowohl im Westen als auch im Osten." Die ukrainische Regierung hatte Deutschland wegen der Boykott-Diskussion Methoden des Kalten Krieges vorgeworfen.
Der Sportbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Prälat Bernhard Felmberg, befürwortete, dass deutsche Politiker Stadion-Besuche in der Ukraine absagen. "Es ist gut, den Verantwortlichen in der Ukraine deutlich zu machen, dass Deutschland es nicht toleriert, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden", sagte er am Montag in Berlin. Felmberg warnte jedoch davor, den Austragungsort der Fußballspiele an sich infrage zu stellen. "Die EM in der Ukraine bietet die Chance, diese Menschenrechtsverletzungen klar zu benennen und von der ukrainischen Regierung mit Nachdruck Veränderungen einzufordern."