Experte Eberhard Jüttner wirbt für mutigere Pflegereformen

Foto: epd-bild / Werner Krueper
Experte Eberhard Jüttner wirbt für mutigere Pflegereformen
"Die Politik ist oft beratungsresistent": Der Pflege-Experte Eberhard Jüttner (74) kritisiert den fehlenden Willen der Politiker, mit tiefgreifenden Reformen auf den demografischen Wandel zu reagieren.
16.09.2014
epd
Dirk Baas

"Die finanzielle Ausstattung der ambulanten Pflege war vom Anfang der Pflegeversicherung an im Vergleich zur stationären Pflege unzureichend", sagte der ehemalige Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes dem Evangelischen Pressedienst (epd): "In der Folge fehlten für ambulante Angebote die erforderlichen Anreize." Es sei deshalb bis heute problematisch, dass der überwiegende Anteil Pflegebedürftiger von vielfach überforderten Angehörigen zu Hause betreut werde.

Die Einführung der Pflegekasse 1994 ist für Jüttner dennoch eine wichtige Errungenschaft. Zugleich beklagte der Arzt, dass es sämtliche Reformen der Vergangenheit nicht geschafft hätten, "die von Anfang an bestehenden Unzulänglichkeiten zu beseitigen". Das Pflegeneuausrichtungsgesetz 2013 brachte seinen Angaben zufolge zwar zum Teil deutliche Verbesserungen, doch auch es konnte den grundlegenden Reformbedarf nicht beseitigen.

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Als Hauptursache für den Reformstau nannte Jüttner den fehlenden politischen Willen, neuere Forschungsergebnisse zu reflektieren und die berechtigten Forderungen der Leistungsanbieter in der Pflege zu berücksichtigen: "Politiker zeigten und zeigen sich nicht selten beratungsresistent", betonte der ehemalige Dozent für Pflegewissenschaften.

Jüttner bezeichnete es als Fehler, den Sicherstellungsauftrag für die Pflegeversorgung der Bevölkerung vermehrt den Pflegekassen zu übertragen. Die Folge: Das Interesse der Kommunen an der territorialen Gestaltung ihrer Pflegeinfrastruktur wurde weiter eingeengt. "Selbst sechs Jahre nach der gesetzlichen Festlegung besteht noch immer kein flächendeckendes Netz von Pflegestützpunkten", rügte Jüttner.

Der Fachmann bezeichnete die Entwicklung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs als das Gebot der Stunde, um endlich eine bedarfsgerechte Pflege zu erreichen. "Auch das 2015 in Kraft tretende Pflegestärkungsgesetz erfüllt die neuen Anforderungen nicht." Deshalb seien die kritischen Meinungen zum Pflegestärkungsgesetz verständlich, "auch wenn einige Verbesserungen für Betroffene nicht zu bestreiten sind".

Der Mediziner betonte die Notwendigkeit, die Pflegeversicherung finanziell besser abzusichern. Das ließe sich am ehesten erreichen, "wenn eine Bürgerversicherung in der Pflege eingeführt würde, an der alle ohne Ausnahmen beteiligt sind". Zudem müsse die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber wieder reaktiviert werden.