Inzwischen verlieren auch Wissenschaftler und Kirchenvertreter den Überblick über die Superlative, die mit der eher unscheinbaren evangelischen Innenstadtkirche St. Johannis in Mainz verbunden sind: Sie ist die erste nach der Völkerwanderung errichtete Kathedrale nördlich der Alpen, die einzige Kirche im deutschsprachigen Raum mit gut erhaltenen Mauerresten aus dem frühen Mittelalter und einziger Dom mit nahezu komplett erhaltenen Außenmauern aus der Karolingerzeit. Wie weit die Archäologen noch in die Vergangenheit vordringen werden, ist offen.
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Gewöhnlich hat Grabungsleiter Ronald Knöchlein die Johanniskirche, die nur ein paar Meter neben dem heutigen Mainzer Dom steht, zurzeit fast für sich allein. Seit vergangenem Jahr ist er mit seinen Kollegen in dem Gotteshaus tätig - und liefert fortlaufend neue spektakuläre Ergebnisse. Zum Tag des offenen Denkmals am 14. September konnten sich erstmals seit langem wieder Interessierte durch den an vielen Stellen aufgegrabenen Innenraum der Kirche führen lassen. Knöchlein hat sich dazu extra ein dunkles Jackett übergezogen. "Auf einem dieser Fußböden ist Bonifatius gewandelt", erzählt er den staunenden Besuchern beim Rundgang durch das heutige Kellergeschoss.
Karolinger? Merowinger? Oder gar Römerzeit?
"Nördlich der Alpen sind Bauten aus dieser Zeit nicht erhalten geblieben", sagt der Heidelberger Bauhistoriker Matthias Untermann. Anfang des Jahres hatten die Archäologen bereits verkündet, große Teile der Kirchenmauern seien 1.100 bis 1.200 Jahre alt - trotz der starken Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Schon diese Erkenntnis hätte als Nachweis dafür gereicht, dass St. Johannis eine der ältesten erhaltenen deutschen Kirchen ist. Aus der Karolingerzeit gibt es nur ganz wenige andere Sakralbauten in der Bundesrepublik. Alle zusammengestellt würden problemlos in das Kirchenschiff von St. Johannis hineinpassen, rechnet Untermann vor.
Für die Forscher war daher schnell klar, dass die evangelische Gemeindekirche direkt neben dem Mainzer Dom die ältere Bischofskirche der Stadt sein muss. "Wir haben ein paar Löcher für die Heizung gemacht und einen Dom gefunden", freut sich der evangelische Mainzer Dekan Andreas Klodt. Doch dieser Forschungsstand von Anfang 2014 ist seit kurzem ebenfalls überholt: An der Stelle des "alten Doms" aus dem 9. Jahrhundert, der Zeit des legendären Erzbischofs Hatto I. (850-913), stand ein noch 200 bis 300 Jahre älterer Vorgängerbau aus der Merowingerzeit.
Als die Wissenschaftler den Putz von der Wand kratzten, stießen sie an einigen Stellen noch in neun Metern Höhe auf Tuffstein-Mauerwerk aus dem 6. oder 7. Jahrhundert. Marion Witteyer, Leiterin der Mainzer Landesarchäologie, hält es inzwischen für erwiesen, dass auch diese ganz alte Kathedrale ihrerseits auf römischen Ruinen erbaut wurde. Eine zentrale Frage für die Forschung bleibe herauszufinden, warum die frühen Mainzer Christen gerade diesen Standort für ihre Bischofskirche wählten. Schon zur Römerzeit gab es im damaligen Moguntiacum, dem heutigen Mainz, eine christliche Gemeinde. Ob auch die sich schon am Ort der Johanniskirche versammelte, ist aber bislang Spekulation.
Nächste Woche wird das nächste Loch gegraben
Fest steht dagegen, dass St. Johannis als Kathedrale des frühen Erzbistums Mainz einst äußerst aufwendig ausgemalt gewesen sein muss. Die Archäologen fanden einige Bruchstücke der alten Verputzung, die auf eine ähnliche prächtige Ausgestaltung hinweisen, wie es sie sonst allenfalls auf der Klosterinsel Reichenau gibt - etwa in der Kirche St. Georg in Oberzell, die ebenfalls durch Hatto errichtet worden war.
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Auch den Eingang zu einer frühen Krypta haben die Forscher in St. Johannis mittlerweile verortet. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat begonnen, sich Gedanken über eine künftige Nutzung der Kirche zu machen. Während sich die Gemeinde zum Gottesdienst weiter in einem modernen Anbau treffen muss, ist ein Ende der Forschungsarbeiten im eigentlichen Kirchenraum nicht mehr abzusehen. "Da, wo wir jetzt gerade stehen", kündigt die Archäologin Witteyer an, "soll nächste Woche schon ein Loch sein." Auch wenn das nächste Loch wohl keinen weiteren Dom zutage fördert.