Evangelikaler Glaube: Coole Party oder verstaubte Moral?

Gottesdienst in einer Baptistengemeinde in Hannover
Foto: epd-bild / Jens Schulze
Gottesdienst in einer Baptistengemeinde in Hannover
Evangelikaler Glaube: Coole Party oder verstaubte Moral?
Während die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland Mitglieder verlieren, sind evangelikale Gemeinschaften im Aufwind. Gottesdienste feiern sie zum Teil mit mehreren tausend Besuchern. Ist das die neue Hoffnung des Christentums? Oder ist es eine "Mission unter falscher Flagge", wie eine ARD-Dokumentation nahe legt?

Gott, Jesus und überhaupt der ganze Glaube ist eine große Party. Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man die Ausschnitte der "Holy Spirit Night" des Stuttgarter Gospel Forums in der ARD-Dokumentation "Mission unter falscher Flagge – Radikale Christen in Deutschland" sieht. Die Lichtershow, die seichte Musik, tanzende Menschen mit Fan-Shirts, auf denen "Jesus" steht – das alles erinnert sehr viel mehr an ein Konzert als an einen Jugendgottesdienst. Auch die anderen Gottesdienste des Gospel Forums haben wenig von der klassischen Form: Statt Orgel gibt es eine Band, der Prediger hält von einer Bühne eine Art Power-Point-Präsentation. Und während die Zahl der Kirchgänger rückläufig ist, versammeln sich zu solchen Veranstaltungen hunderte, manchmal sogar tausende Besucher. Ist das die Kirche der Zukunft? Modern, offen, weniger verstaubt?

Berichte wie die von Sektenaussteigern

Dieser Eindruck hält sich nicht lange in der Dokumentation von Mareike Fuchs und Sinje Stadtlich. Denn schon zu Beginn kommen Menschen zu Wort, die einmal charismatischen Gemeinden angehörten, in denen mehr Wert auf geistliche Erweckung als auf Liturgie und Exegese gelegt wird. Keiner von ihnen will erkannt werden, weshalb oft einfach Interviewausschnitte vorgelesen werden.

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"Solange du Gast bist, kannst du leben, wie du willst. Aber wenn sie dich fragen, ob du bei der Hauskirche (Hauskreise, Anm. d. Red.) mitmachst, zieht sich die Schlinge zu", sagt einer. Eine Frau berichtet, dass ihr im Eheseminar gesagt wurde, dass sie sich den Entscheidungen des Mannes unterordnen müsse – auch sexuell. Ein Mann erzählt von der Kontrolle durch die Gemeinschaft, die sich auch in persönliche Beziehungen einmischte. Diese Zitate stehen im Kontrast zu den Jugendlichen, die am Rande der Gottesdienste mit leuchtenden Augen erzählen, dass Jesus ihr bester Freund sei, der alles versteht und gute Absichten für jeden hat. Ist der freundliche Schein nur Fassade, wie ein ehemaliges Mitglied vermutet? Fuchs und Stadtlich haben im Umfeld der Deutschen Evangelischen Allianz recherchiert.

In ihrem Film kommt der Pfarrer und Seelsorger Joachim Schlecht zu Wort, der einige ehemalige Mitglieder begleitet hat. Ihre Berichte klingen teilweise ähnlich wie die von Sektenaussteigern. Bei ihnen habe er immer wieder starke Schuldgefühle erlebt, sagt Schlecht. Manche wünschten sich, von ihm den Teufel ausgetrieben zu bekommen. Ein Bezirksmitarbeiter und ein Sozialarbeiter aus Berlin zeigen sich skeptisch gegenüber den missionarischen Aktivitäten einer evangelikalen Gruppe, die Kinder mit Süßigkeiten und Geschenken zu Veranstaltungen lockt. Schnell wird klar: Jeder, der von außen auf die Gemeinden blickt, sieht diese kritisch.

Der Blick bleibt unvollständig

Einblicke ins Innere der Gemeinschaften sind in der Dokumentation rar. Hier zeigen die Filmemacherinnen vor allem Gottesdienstausschnitte, wie man sie auf YouTube finden kann. Nicht immer geht es um die heile Welt, sondern auch um die Ausgrenzung derer, die nicht zu den eigenen Überzeugungen passen. "... bei Homosexualität und lesbisch sagt der Herr, es sei ihm widerlich, so steht es in meiner Übersetzung", sagt etwa Gaby Wentland in einer Predigt. Wentland gehört der Hamburger Pfingstgemeinde Neugraben an. Auch die Jungfräulichkeit bis zur Ehe wird propagiert, im Sündenkatalog des Tübinger Missionswerks "TOS" ist außerdem "Selbstbefriedigung" gelistet oder dass man als Kind seine Eltern nackt gesehen hat. Der Umgang mit Sexualität ist also weit entfernt davon, modern oder entstaubt zu sein.

Doch Belege aus Hauskreisen, "wo sich die Schlinge zuzieht" bleibt der Film schuldig. Auch das Interview mit Jürgen Werth, Vorstandsmitglied der Deutschen Evangelischen Allianz, ist wenig ergiebig. Immer, wenn die Fragen kritischer werden, blockt er ab. Andere Protagonisten der Evangelikalen Bewegung standen nicht einmal für ein Interview zur Verfügung und Gemeindemitglieder, die ursprünglich zu Gesprächen bereit waren, meldeten sich nicht mehr, so erzählen die Filmemacherinnen Fuchs und Stadtlich. So bleibt der Blick auf die evangelikale Bewegung in Deutschland am Ende unvollständig. Dass aber weit mehr dahinter steckt als eine große Glaubensparty, das hat der Film deutlich gemacht.