Im Grunde spielt es überhaupt keine Rolle, ob ein Film auf wahren Ereignissen basiert; wenn die Dramaturgie nicht funktioniert, ist es völlig egal, ob es ein Autor war oder das Leben, die das Drehbuch verpfuscht haben. Manchmal aber ist der Hinweis auf die Authentizität auch eine Art Selbstschutz der Produzenten: weil man eine Handlung sonst womöglich für völlig unglaubwürdig halten würde. "Maos letzter Tänzer" erzählt eine solche Geschichte.
Der Film basiert auf der Autobiografie des Chinesen Li Cunxin, aber die Handlung ist pures Amerika; selbst wenn es sich um eine australische Produktion handelt, die auch von einem Australier inszeniert worden ist. Bruce Beresfords Komödie "Miss Daisy und ihr Chauffeur" hat vor zwanzig Jahren den "Oscar" für den besten Film bekommen. Die Behauptung, seither habe er kein vergleichbar großes Werk mehr gedreht, würde seiner Arbeit vermutlich nicht gerecht; aber angesichts von "Maos letzter Tänzer" liegt sie nahe. Mit der Verfilmung von Li Cunxins Leben ist Beresford das großartige Porträt eines Mannes gelungen, der alles dafür tut, um seinen Traum zu realisieren. Solche Geschichten liebt man nicht nur in Amerika.
Li übersteht alle Schikanen
Als kleiner Junge gerät Li zu Beginn der Siebzigerjahre mitten in die Kulturrevolution: Er wird von den Abgesandten der kommunistischen Partei ausgewählt, um eine Tanzakademie in Peking zu besuchen. Sein Talent und sein starker Wille lassen ihn alle möglichen Schikanen überstehen, denn seit ihm sein gütiger Lehrer Chan heimlich einen Videofilm gezeigt hat, kennt Li nur ein Ziel: Eines Tages will er so tanzen können wie Mikhail Baryshnikov, dessen Stil offiziell verpönt ist. Jahre später gilt er als bester Balletttänzer der Akademie, und erneut ist es sein Lehrer, der ihn gegen Willen der Parteivertreter protegiert: Li darf im Rahmen eines Schüleraustauschs in die USA.
Natürlich lebt das Drehbuch zunächst von den Gegensätzen: hier das ärmliche China mit seiner Indoktrinationspolitik und politisch geschulten Lehrern, die ihren Schülern erzählen, wie bettelarm die Leute im kapitalistischen Ausland seien; dort der offenkundige Wohlstand im texanischen Houston. Die eine oder andere Szene ist entsprechend schlicht geraten, wenn beispielsweise jemand eine abfällige Bemerkung über den Präsidenten macht und sich Li aus Angst vor Regierungsschergen erschrocken umschaut. Auf der anderen Seite gibt es auch hierzulande Menschen, die diese Furcht noch sehr gut nachvollziehen können.
Es sind ohnehin andere Gründe, die den Ausschlag dafür geben, dass Li nicht mehr zurück nach China möchte. Er bleibt ein loyaler Bürger seines Landes, aber in Houston kann er seinen Traum verwirklichen. Unverhohlen bedient sich Beresford beim Genre des Sportfilms, um Lis Durchbruch zu feiern, als er bei der "Fledermaus" für einen verletzten Kollegen einspringt. Die Frage, ob es nicht seltsam wirke, wenn ein Chinese in die Rolle eines Spaniers schlüpfe, wird mit dem Hinweis gekontert, in der Komödie "Das kleine Teehaus" habe Marlon Brando schließlich einen Japaner verkörpert. Dialoge wie diese sorgen immer wieder für amüsante Momente, auch wenn naturgemäß Lis Entwicklung im Vordergrund steht. Und dann wird es dramatisch: Die Zeit des Austauschs ist vorbei, der Tänzer soll zurück nach China. Aber Li hat sich viel zu sehr an die amerikanische Freiheit gewöhnt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Außerdem ist er verliebt. Er heiratet die junge Liz (Amanda Schull) und dürfte somit in den USA bleiben, doch im chinesischen Konsulat kommt es zum Eklat: Obwohl Li in Begleitung seines Mentors (Bruce Greenwood) und eines Anwalts (Kyle MacLachlan) erscheint, wird er von chinesischen Agenten verschleppt. Aber zum Glück gibt es ja die freie Presse.
Trotz der diversen mitreißenden Tanzszenen (Choreografie: Graeme Murphy, Janet Vernon) ist "Maos letzter Tänzer" kein Ballettfilm. Die große Überraschung ist dennoch Chi Cao: Der Haupttänzer des Birmingham Royal Ballet entpuppt sich als ausgezeichneter Schauspieler, der keineswegs bloß auf der Bühne glänzt.