"Fromm genug": Aus der Mitte des Herzens glauben

"Fromm genug": Aus der Mitte des Herzens glauben
"Fromm genug?" ist das Thema der vierten Woche der Fastenaktion "7 Wochen Ohne". Fulbert Steffensky, Susanne Breit-Keßler und Arnd Brummer schreiben über Frömmigkeit.
02.03.2012
Von Fulbert Steffensky, Susanne Breit-Keßler und Arnd Brummer

Fulbert Steffensky: "Ich frage lieber, ob ich pünktlich bete"

Wann glaubt man schon aus der "Mitte des Herzens"? Von Teresa von Avila wird der Seufzer überliefert, sie habe ihr ganzes Leben nicht ein einziges Vaterunser vollkommen andächtig beten können. Am besten kümmert man sich nicht darum, dass man fromm oder gar fromm genug ist. Gott ist unser Genügen, nicht wir selbst. Das erlaubt mir in Heiterkeit ein Mensch mit der Frömmigkeitsnote "Ungenügend" zu sein. Man betet und lässt die Fragmente des Gebetes in den Abgrund des Herzens Gottes fallen, das genügt.

Wohl gibt es einige handwerkliche Regeln, die bei der Gestaltung des eigenen Glaubens zu beachten sind, sofern man sich und diesen Glauben ernst nimmt. Regeln, Rhythmen und Methoden sind zu beachten, ohne die der Geist verblasst. Ich frage also nicht, ob meine Gebete tief genug sind und ob sie aus der "Mitte des Herzens" kommen. Ich frage lieber, ob ich pünktlich bete, es regelmäßig tue; ob ich die Zeit für das Gebet oder die Bibellesung gegen die Geschäfte und die Geschäftigkeit verteidige. Pünktlichkeit interessiert mich mehr als eine tiefe Herzenserfahrung.

Und noch eins will ich nicht vergessen: Frömmigkeit ist auch eine Tätigkeit, sie ist Gerechtigkeit. Die Frommen wandeln auf dem Weg des Herrn, und sie wissen, dass es keine Gotteserkenntnis ohne Barmherzigkeit gibt. Die prophetische Kritik an der "puren Frömmigkeit", an der Gottesverehrung an der geschundenen Welt vorbei zieht sich durch die ganze Tradition. Mit dem Nichtgenügen unserer Barmherzigkeit findet sich Gott schwerer ab als mit den mangelhaften Gebeten.

Fulbert Steffensky ist Theologe, konvertierte 1969 vom katholischen zum evangelisch-lutherischen Bekenntnis und  befürwortete ein gemeinsames Abendmahl auf dem ÖKT 2010. Foto: Olaf Ballnus/chrismon 


Susanne Breit-Keßler: "Der Glaube macht mich stark"

Ich weiß nicht, ob ich fromm genug bin – das weiß der liebe Gott. Aber ich weiß, dass ich mein Frommsein nicht von anderen Menschen beurteilen lasse: Weder ob es rechtgläubig genug, noch, ob es auch zeitgemäß genug ist. Ich bin einfach bloß gerne fromm, so, wie ich es bin. Dazu gehört für mich als moderne Frau ein Morgengebet – denn ein vernünftiger Mensch wird doch dankbar sein, dass er wieder aufgewacht ist und aufstehen kann. Ostern an jedem Morgen, das ist doch was!

Zum Frommsein gehören für mich Tischgebete, die mich daran erinnern, dass es mir gut geht und andere dringend meine Unterstützung brauchen. Ein Abendgebet ist selbstverständlich – ich habe diesen Tag wieder geschafft, auch wenn neben Heiterkeiten auch allerlei Ärgerliches dabei war. Stoßgebete oder alte Texte presse ich heraus, wenn mir vor lauter Angst die eigenen Worte fehlen. Psalm 23 kann ich auswendig, auch "Befiehl du deine Wege" oder "Wer nur den lieben Gott lässt walten". Das hilft sehr.

Und sonst? Ich liebe das Kirchenjahr, weil es die menschliche Existenz spiegelt: Hoffnung und Erwartung, Leben, Leiden, Auferstehung, Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt, geistvolle Existenz, Dank, Buße, Erneuerung. Der Hauch von Ewigkeit… Und natürlich glaube ich fest an meinen Mensch gewordenen Herrgott und seine unfassbare Liebe zu mir – das macht mich stark, auch wenn ich verdammt schwach bin. Also ehrlich: Eine aufgeklärte Protestantin ist einfach fromm. Weil sie Ahnung vom Leben hat.

Susanne Breit-Keßler ist Regionalbischöfin des evangelischen Kirchenkreises München-Oberbayern und seit 2003 Ständige Vertreterin des bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm. Foto: Elias Hassos/chrismon 


Arnd Brummer: "Niemand entscheidet, wer der Frömmste ist"

Fasten ist nicht Verzicht als rituelle Übung der Buße, geschweige denn ein frommes Wettfasten. Im Sinne der reformatorischen Theologie ist die Fastenzeit ein Phase, in der man überprüft, was im Leben richtig läuft und was man ändern sollte, vor allem hinsichtlich der Wirkung des eigenen Verhaltens auf die Nächsten.

Esoterisch-spirituelle Rituale können dabei helfen. Wer ohne sie auskommt, wenn er mit seinen Nächsten darüber spricht, wie die Gottesbeziehung sich im Zusammenleben mit anderen repräsentiert, der kann sich auf den Reformator Ulrich Zwingli berufen: "Willst du gerne fasten, dann tue es. Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl!" Fromm genug.

Für das Christsein gilt, dass niemand entscheidet, wer der Frömmste, die Gläubigste ist, zumindest tut dies kein Mensch. Und dass Jesus die einsichtigen Fehlbaren, also die reuigen Sünder liebte und nicht die von ihrer Reinheit und ihrem Edelmut Überzeugten, ist in den Evangelien an vielen Stellen überliefert, insbesondere im Text des Lukas.

In dessen 18. Kapitel steht zum Beispiel die Geschichte vom Frommen und dem Sünder im Tempel. Während der Fromme Gott dankt, weil er besser, anständiger, weniger fehlerhaft ist als die anderen Leute und dabei auch auf seine Fast-Übungen zweimal pro Woche hinweist, bittet der Sündige nur um Gnade: Gott, sei mir armem Sünder gnädig. Jesu Kommentar ist knapp und deutlich: Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt. Und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht!

Arnd Brummer ist Chefredakteur des evangelischen Magazins chrismon und Geschäftsführer der Aktion "7 Wochen ohne". Foto: Lena Uphoff/chrismon