Studie: Islamische Jugendliche als Sorgenkinder

Studie: Islamische Jugendliche als Sorgenkinder
Die in Deutschland lebenden Muslime distanzieren sich mehrheitlich vom islamistischen Terrorismus und wollen sich integrieren. Ein Teil der jungen Muslime hat jedoch radikale Einstellungen. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Studie im Auftrag des Bundesinnenministeriums hervor.

78 Prozent der deutschen Muslime befürworten der Umfage zufolge Integration. Bei den nichtdeutschen Muslimen sind es hingegen nur 52 Prozent. Zudem machten die Forscher bei jungen Muslimen zwischen 14 und 32 Jahren eine "Subgruppe" Integrationsunwilliger mit Tendenz zu Gewaltakzeptanz aus. Bei deutschen jungen Muslimen umfasst diese Gruppe demnach 15 Prozent, bei jungen nichtdeutschen Muslimen sogar 24 Prozent.

Ursachen für diese potenziellen Radikalisierungstendenzen lägen unter anderem im Ausmaß der "traditionellen Religiosität" und "autoritärer Einstellungen", schreiben die Forscher. Auch die Orientierung an "Macht" und "Erfolg" sowie das Erleben von Diskriminierung trügen dazu bei, dass diese Gruppe sich zu streng religiösen Muslimen mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen entwickele.

Friedrich gegen "Import fanatischer Ansichten"

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte zur Studie, Deutschland achte die kulturelle Identität seiner Zuwanderer: "Aber wir akzeptieren nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten." Wer Freiheit und Demokratie bekämpfe, werde hier keine Zukunft haben.

Gemein ist den in Deutschland lebenden Generationen von Muslimen laut einer Auswertung von Interviews, dass sie eine Pauschalverurteilung der Muslime als Terroristen und eine vorschnelle Verknüpfung des Islam mit dem Terrorismus erleben. Eine stark negative Rolle wird demnach auch den Medien zugeschrieben, die aus Sicht der Befragten oft negativ und undifferenziert berichteten. Insgesamt fühlen Muslime sich in Deutschland wohl, auch wenn sie die deutsche Bevölkerung oft als distanziert und abweisend erlebten.

Die Forscher fordern unter anderem, einen differenzierten Umgang mit Religiosität und Fundamentalismus zu fördern. So sollte etwa Terrorismus nicht als "religiös motivierte Gewalt" dargestellt werden. Es sei außerdem ratsam, in stärkerem Maße über die verschiedenen Strömungen des Islam aufzuklären. Maßnahmen wie ein "Minarettverbot" oder "Kopftuchverbot" stärkten überdies in erster Linie die Extremisten.

Streit über "Bild"-Vorabbericht

Ein Vorabbericht der "Bild"-Zeitung zur Studie hatte zuvor für Streit gesorgt. Die Zeitung hatte die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher hervorgehoben. Er wundere sich, dass das Innenministerium "erneut Steuergelder darauf verwendet, eine Studie zu finanzieren, die Schlagzeilen produziert, aber keinerlei Erkenntnisse", sagte der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Das religiöse Bekenntnis vieler junger Muslime sei oft nur "eine leere Hülse", die nicht mit gelebter Religion einhergehe, sondern "Provokation und kulturelle Abgrenzung" sein wolle.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Memet Kilic bezeichnete das "Timing" der Studie als "sehr bedenklich". Mit der populistischen Darstellung der Studie in einem Boulevardblatt würden soziale Probleme ethnisiert und kulturelle Wurzeln als Ursachen hervorgehoben. Chancen- und Perspektivlosigkeit seien aber die entscheidenden Gründe für Gewalt und fehlende Integration, nicht Religion und Einwanderungsgeschichte.

Die Studie "Lebenswelten junger Muslime in Deutschland" behandelt auf mehr als 760 Seiten unter anderem die Themen Integration und Werteeinstellungen in mehreren Generationen, eine Auswertung muslimischer Internetforen, Gruppeninterviews mit muslimischen Jugendlichen und eine Auswertung der Berichterstattung von Fernsehsendern deutscher, türkischer und arabischer Sprache. Die Studie wurde von Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftlern umgesetzt. Sie befragten dazu telefonisch 700 junge deutsche und nichtdeutsche Muslime. Zudem analysierten sie 692 Fernsehbeiträge aus Nachrichtensendungen.

Forscher: Ergebnisse wenig überraschend

Der Jenaer Psychologe Wolfgang Frindte, der maßgeblich an der Untersuchung war, zeigte sich wenig überrascht von den Ergebnissen der Studie. Würden auch die Eltern- und Großelterngenerationen einbezogen, zeige sich, dass der Anteil radikaler Einstellungen sinke und sich die Muslime deutlich vom islamistischen Terrorismus distanzierten. Zum Islam bekennen sich in Deutschland nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge schätzungsweise vier Millionen Menschen. Knapp die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsbürgerschaft.

epd/dpa