Als 1936 Heinrich Himmler, der sogenannte "Reichsführer SS", zum Chef der Polizei ernannt wurde, begann die SS sich ein idealtypisches Konzentrationslager zu erschaffen – ein Lager, das schon durch seinen Grundriss Terror und totale Kontrolle symbolisierte. Dieses KZ entstand in direkter Nähe der Reichshauptstadt Berlin, im Oranienburger Ortsteil Sachsenhausen.
In den folgenden Jahren bis 1945 waren im KZ Sachsenhausen mehr als 200.000 Menschen inhaftiert – zunächst politische Häftlinge, dann als minderwertig behandelte Bevölkerungsgruppen, ab 1939 dann vor allem ausländische Gegner der NS-Invasoren. Sie mussten unter extremen Bedingungen leben und Zwangsarbeit leisten. Zu den prominenteren Häftlingen zählen der Protestant Martin Niemöller, der Münchner Hitler-Attentäter Georg Elser und der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski.
Zehntausende starben in dieser Zeit an Krankheiten, Hunger, durch medizinische Experimente oder andere Misshandlungen. Zudem gab es eine Genickschussanlage und eine Gaskammer, wo Menschen jüdischen Glaubens und sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden.
Norweger interessieren sich besonders für Sachsenhausen
An all das Leid und die Verbrechen, die mit dem Namen Sachsenhausen verbunden sind, erinnert heute in Oranienburg eine Gedenkstätte. Im vergangenen Jahr wurde sie von 450.000 Interessierten besichtigt. "Wir verzeichnen einen kontinuierlich starken Anstieg. Die Besucherzahlen haben sich seit 1990 nahezu verdreifacht", sagt Günter Morsch, Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.
Inzwischen sei eine starke Internationalisierung zu bemerken, so Morsch: "Die Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus hat in Europa große Bedeutung. Unsere größte ausländische Besuchergruppe sind derzeit die Spanier. Ihr Land hat in den letzten Jahren begonnen, sich intensiv an die faschistische Vergangenheit zu erinnern." Auch viele Norweger kämen, hätten sich doch die ersten norwegischen Nachkriegskabinette überwiegend aus ehemaligen Sachsenhausen-Häftlingen rekrutiert.
Besonders viele ausländische Besucher finden den Weg zum Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte. Wieviele Menschen täglich das riesige, gewellte Stelenfeld zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz durchwandern, sei nicht zu erheben, sagt Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Allein den unterirdischen Museumsbereich hätten im vergangenen Jahr 470.000 Menschen besucht."Die Leute rennen uns quasi die Bude ein. Das Interesse an Zeitgeschichte ist enorm."
Hohe Energiekosten verschlingen das Budget
Neumärkers Institution gehört zu den wenigen Erinnerungsstätten, die zu hundert Prozent vom Bund getragen werden. Neben dem Holocaust-Mahnmal sind das etwa das Jüdische Museum und das Deutsche Historische Museum in Berlin. Neumärker verfügt für das Holocaust-Mahnmal über einen Etat von knapp drei Millionen Euro jährlich und ist dafür sehr dankbar: "Wir fühlen uns politisch und gesellschaftlich gut unterstützt."
[listbox:title=Stichwort: Holocaust-Gedenktag[Der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus wurde 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog proklamiert und auf den 27. Januar festgelegt. An diesem Tag war 1945 das Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit worden.##Die Vereinten Nationen riefen 2005 den 27. Januar als "Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust" aus. Seit 2006 wird er weltweit begangen. Der Bundestag kommt an diesem Gedenktag alljährlich zu einem Staatsakt zusammen, an dem alle Spitzen der Verfassungsorgane teilnehmen.##Der Begriff "Holocaust" leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet "Brandopfer". Er wird heute vor allem für den systematischen Völkermord an den europäischen Juden durch die Nationalsozialisten verwendet. Bis zum Kriegsende wurden rund sechs Millionen Juden ermordet.]]
Doch nach seiner Kenntnis ist die finanzielle Lage bei denjenigen Gedenkstätten, die von Landes- und kommunalen Mitteln abhängig sind, meist nicht ganz so auskömmlich. Dies stünde in keinem Verhältnis zu den oft hohen Besucherzahlen.
Günter Morsch von der Gedenkstätte KZ Sachsenhausen denkt da besonders an die hohen Kosten für den Unterhalt. Sein Gesamthaushalt in Höhe von 5,5 Millionen Euro für die gesamte Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten könne nicht Schritt halten mit den explodierenden Energiekosten: "Das beschneidet uns bei anderen Aufgaben: So fehlen Mittel für eine Teilsanierung und eine neue Hauptausstellung im ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück." Zudem sei etwa der Euthanasie-Gedenkort Brandenburg/Havel personell unterbesetzt. Doch sei man natürlich nicht blind für die allgemein schwierige Lage von Ländern und Kommunen und bemühe sich daher um Drittmittel.
Ostdeutschland als Vorreiter in Gedenkkultur
Geht es um Gedenkstätten von nationaler und internationaler Bedeutung, legt die Bundesregierung seit 1999 auf jeden Euro des jeweiligen Bundeslandes einen eigenen Euro drauf. Das war nicht immer so, denn eigentlich ist die Gedenkstättenpflege Sache der Länder. "Dass der Bund in dieser Form Verantwortung übernimmt, ist ebenso ein Produkt der Wiedervereinigung wie unser Holocaust-Mahnmal", so Uwe Neumärker.
Denn in der DDR erhielten die ehemaligen Konzentrationslager schon seit den 1960er Jahren gesamtstaatliche Förderung – und wurden als "Nationale Mahn- und Gedenkstätten" zum Teil politisch instrumentalisiert. In Westdeutschland dagegen führten die ehemaligen KZ eher ein Schattendasein. Bis 1990, als von Osten her ein Paradigmenwechsel begann: "Nach der Wiedervereinigung wurden die früheren Konzentrationslager – auch im Westen – von bloßen Orten der Trauer und Betroffenheit zu besonders authentischen zeithistorischen Museen mit Kontakt zu Überlebenden und dem Auftrag zur Demokratie-Erziehung", sagt Günter Morsch.
Seitdem hat sich die gesamte Gedenkstättenlandschaft in Deutschland bedeutend ausgeweitet. Überall sprießen Initiativen aus dem Boden – von der Aktion Stolpersteine bis zum Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin. Oft sind es private Vereine, die sich an ihrem Ort auf die Spur von NS-Opfern und Tätern begeben.
Bürger restaurieren Erinnerungsort mit eigener Hand
In der pfälzischen Stadt Neustadt an der Weinstraße engagiert sich der evangelische Religionspädagoge Eberhard Dittus seit Jahren für das Gedenken und den Kampf gegen Neonazis. Vor elf Jahren erhielt er einen Brief von einer Dame, die im Nachlass ihres Vaters eine Häftlingsliste gefunden hatte: eine Auflistung von einigen hundert Mithäftlingen aus einem Neustadter Lager für politische Gegner der Nazis. "Dies war eines der frühen, wilden Konzentrationslager des Jahres 1933", so Eberhard Dittus.
[listbox:title=Mehr im Netz[Gedenkstättenforum##Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten##Denkmal für die ermordeten Juden Europas##Gedenkstätte und Stiftung Sachsenhausen##Förderverein "Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt"##Die Ofenbauer von Auschwitz##Stiftung Topographie des Terrors##Erinnerungsstätten in NRW##Arbeitskreis Shoa]]
Durch die Liste neugierig gemacht, recherchierte er und gründete mit anderen Interessierten den Förderverein Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt. Dessen Ziel ist es, eines der Gebäude auf dem Gelände zu sanieren und dort einen Erinnerungsort einzurichten. Dittus und seine Mitstreiter haben schon einmal angefangen: Sie legten einen Gas- und Wasseranschluss und mauerten eigenhändig los – soweit es der Denkmalschutz erlaubte.
Jetzt hofft der Verein, möglichst viele Kommunen und Kirchengemeinden zur Mitgliedschaft bewegen zu können – insbesondere diejenigen, aus denen die Häftlinge stammten. Schließlich fehlen noch mehr als 100.000 Euro. Dennoch ist Dittus zuversichtlich: "In einem Jahr, am 27. Januar 2013, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, wollen wir die Gedenkstätte eröffnen."
Banalität des Bösen: Die Ofenbauer von Auschwitz
Andernorts, in Erfurt, liegt die Eröffnung schon ein Jahr zurück: Vor zwölf Monaten öffnete der Erinnerungsort "Topf & Söhne" seine Pforten. Die frühere Firma gleichen Namens produzierte für die SS die Verbrennungsöfen und die Lüftungstechnik für die Gaskammern in Auschwitz. In vorauseilendem Gehorsam. "Hier kann man sehen, wie sich gewöhnliche Menschen in einem normalen beruflichen Umfeld ohne Scheu an den Verbrechen beteiligt haben", sagt Ausstellungsleiterin Annegret Schüle.
13.000 Menschen – davon etwa die Hälfte Jugendliche – haben die Erfurter Ausstellung im ersten Jahr schon gesehen. Besonders gut lasse sich hier an das Arbeitsumfeld von Berufsschülern anknüpfen, so Schüle: "Diese Gruppe ist bei Gedenkstättenbesuchen oft unterrepräsentiert. Mit unserer Ausstellung über die Firma Topf & Söhne können wir sie gut erreichen."
Wenn ihre Mitarbeiter die Jugendlichen durch die Erinnerungsräume führen, zeigen sie unter anderem eine Telefonnotiz: Deren Autor berichtet stolz, dass die eigene Firma mehr Leichen mit weniger Energieaufwand beseitigen könne als die Konkurrenz. "Das Schockierende ist", meint Annegret Schüle, "diese Menschen wussten, was in Auschwitz mit ihrer Technik passiert. Aber es hat sie nicht interessiert. Mitmenschlichkeit war da völlig abwesend."
Martin Rothe ist freier Journalist, hat unter anderem Religionsgeschichte studiert und die Evangelische Journalistenschule in Berlin absolviert. Seine Schwerpunktthemen sind Kirche, Islam, Integration und Zivilcourage.