"Hamburg Süd" steht in weißen Lettern auf dem signalroten Container, der von einem Lkw auf das Gelände des Londoner Hafens gefahren wird. Der "Port of London" ist der zweitgrößte Hafen des Königreichs und Arbeitsplatz von Jörn Hille, evangelischer Diakon bei der Deutschen Seemannsmission. Seit drei Jahren ist der 33-Jährige als Hafenseelsorger zwischen Containern und Kränen und nicht zuletzt auf Schiffen tätig. "Wir machen alles für die Würde der Seefahrer", sagt Hille - und das ist auch das Motto der Deutschen Seemannsmissionen weltweit.
Wer Hille auf dem Hafengelände sieht, erkennt erst auf den zweiten Blick, dass es sich nicht um einen Hafenarbeiter oder Seemann handelt: Weißer Schutzhelm, gelbe Sicherheitsweste und feste Schuhe sind seine Arbeitskleidung. Nur der Schriftzug "Chaplain" auf dem Rücken seiner Weste und das Logo der Seemannsmission auf der Brust verraten, dass es sich bei Hille um einen Mann der Kirche handelt.
"Seit die Liegezeiten der Schiffe nur noch wenige Stunden betragen, ist unsere Arbeit eine aufsuchende Arbeit geworden", erklärt er. Deshalb ist sein Rucksack, den er immer auf dem Rücken hat, wenn er zu den Seeleuten auf die Schiffe geht, gut gefüllt. Telefonkarten sind genauso dabei wie eine kleine Krippe und die aktuelle Ausgabe des "Spiegels".
Strickgruppen spenden Wollmützen
"Ich versuche dennoch, die Leute zu motivieren an Land zu kommen, denn viele können auf dem Schiff nicht abschalten", sagt er. Er bringt sie dann zum kleinen Zentrum der Seemannsmission, das sich in der Nähe der Frachtterminals befindet. Dort können die Seeleute nicht nur ausspannen, Billard und Tischtennis spielen, sondern auch das Nötigste erwerben.
"Wir verleihen auch Bücher oder DVDs und Videokassetten", sagt Hille. Im Schrank neben den Büchern gibt es zudem eine imposante Sammlung an Wollmützen. "3.000 Mützen geben wir im Jahr an die Seeleute ab, gestiftet von Strickgruppen aus der Umgebung." Viele Seeleute aus wärmeren Regionen seien doch vom kalten Wetter in Europa manchmal überrascht oder hätten keine Möglichkeit, in ihrem Heimatland an Mütze und Schal zu kommen.
Im Vordergrund der Arbeit von Jörn Hille steht aber dennoch die seelsorgerische Arbeit - nicht nur für deutsche Seeleute. "Wir arbeiten interkulturell und interreligiös", sagt er. Der Missionsgedanke von früher sei stark in den Hintergrund getreten. "Ich verleugne meinen Glauben nicht, aber ich habe keinen aktiven Missionsauftrag." Und das sei auch gut so, schließlich verschlechtere ein aggressives Missionierungsverhalten auch die Situation an Bord, und das könne unmöglich im Interesse seiner Arbeit sein.
"Wir haben im Hafen keine Konkurrenz zwischen den Kirchen", sagt Hille, und das glaubt man sofort, denn während der evangelische Diakon über seine Arbeit erzählt, reicht sein katholischer Kollege Tee und bringt Plätzchen. Die beiden stehen im täglichen Kontakt, arbeiten zusammen im Zentrum der Seemannsmissionen auf dem Hafengelände.
Einsamkeit und Heimweh an Bord
Was die Seeleute zu erzählen haben, ist nicht immer leichte Kost. "Viele kennen mich und warten gezielt, bis sie nach London kommen, um mit mir zu reden." Da ist ein Mord an Bord ebenso Thema wie die Einsamkeit und das Heimweh, das viele Seeleute unterwegs heimsucht. Auch über gefährliche Arbeitsbedingungen wird gesprochen, und manchmal ist es für deutsche Seeleute einfach nur wichtig, sich mal wieder in seiner Muttersprache austauschen zu können und ein deutsches Magazin in der Hand zu haben.
"Ich bin einfach der Mensch vor Ort, dem man vertrauen kann, und der Einzige, der an Bord kommt, ohne ein Eigeninteresse zu haben." 16 Auslandsstationen hat die Deutsche Seemannsmission weltweit. Für sie arbeiten mehr als 700 Männer und Frauen. "Ich wollte immer ins Ausland gehen. Und so war für mich die Seemannsmission eine gute Anlaufstelle", sagt Hille, der aus Achim bei Bremen stammt und unter anderem in Ägypten aufwuchs, bevor er in der hannoverschen Landeskirche zum Diakon eingesegnet wurde.
Als Kooperationspartner der methodistischen Kirche betreibt die deutsche Seemansmission in London neben der Station im Hafen bei Tilsbury vor den Toren Londons auch noch ein Seemannsheim in Ost-London, wo knapp 170 ehemalige Seeleute und Menschen in sozialer Not eine Unterkunft finden. "Manche Bewohner sind schon mehr als 25 Jahre bei uns", erzählt Hille.