"Und dann kommt doch alles anders"
Der Abend des vierten Advent: Bevor der Tatort beginnt, noch eine kurze Lagebesprechung mit meiner Frau, was die kommende Woche angeht. Zehn Adventsfeiern liegen hinter mir, jetzt verschiebt sich der Fokus auf Weihnachten. Und zuvor noch mein etwas ungünstig liegender Geburtstag.
Meine Eltern scheinen damals noch nicht im Blick gehabt zu haben, dass ihr Sohn diesen Beruf ergreifen könnte. Andererseits ein Tag, an dem ich mich bemühe, bewusst noch einmal den Dampf rauszunehmen. Ich lade gerne ein – und die meisten kommen auch gerne zu Besuch. Selbst die Kollegen.
Die Wochenplanung sieht gut aus: Ich habe freie Zeiten reserviert für die Vorbereitung der Weihnachtsgottesdienste. Eine Kirchenvorstandssitzung. Einiges an Geschenken und Grüßen ist noch an MitarbeiterInnen der Gemeinde zu überbringen. Eine Urnenbeisetzung steht noch an. Ein Taufgespräch. Ein gemeinsames Frühstück mit den hauptberuflichen Mitarbeiterinnen der Gemeinde. Terminlich eigentlich eine gute Woche. Jetzt möchte ich mich wirklich auf Weihnachten einstimmen – schon ein Stück weit auch atmosphärisch in die Weihnachtsgottesdienste gedanklich eintauchen. Vielleicht ist es dieses für meine Vorbereitung wichtige innere Vorwegnehmen von Stimmungen und Feierlichkeiten, das der Grund dafür ist, dass ich Advent und Weihnachten viel intensiver und bewusster wahrnehme, seitdem ich Pastor bin.
Und dann kommt alles doch anders: In der Kirchenvorstandssitzung sind schwierige Dinge zu besprechen. Ich kann die Nacht danach nicht gut schlafen. Die Töchter bekommen die Magen-Darm-Grippe und meine Frau hat einen wichtigen Termin, so dass ich die Kinder übernehme und das Frühstück absage.
Hoffen und Beten und Bangen, dass ich mich nicht anstecke. Es gibt keinen Plan B. Der Bestatter meldet sich – verständlicherweise wünscht sich die Familie die Beerdigung noch am Freitag und nicht erst nach Weihnachten.
Eine Frau ist unerwartet gestorben – tragisch. Als ich am selben Abend zur Familie fahre, können wir zusammen weinen und lachen. Ein gutes Gespräch.
Und in allem spürbar eine besondere Dichte des Lebens und die Gegenwart dessen, der am Heiligen Abend in diese Welt mit all ihrer Tragik und Komik eingetaucht ist.
Simon de Vries ist evangelisch-lutherischer Pastor im niedersächsischen Nordhorn.
"Der Schreibtisch weigert sich, leer zu werden"
Eigentlich ist der November der stressigste Monat im Jahr. Zumindest bei mir. Alle Ausschüsse tagen noch einmal, damit das nicht im Dezember sein muss. Die Planungen für das neue Jahr laufen auf Hochtouren, der Gemeindebrief muss raus, Weihnachtsgeschenke für die Mitarbeitenden, Geburtstagsgeschenke fürs kommende Jahr, zu St. Martin unsere Spielzeug- und Kleiderbörse mit Eröffnungsgottesdienst, parallel schon das Krippenspiel, das Synodenwochenende ist immer im November, Buß und Bettag und natürlich auch der Totensonntag. Da laden wir alle Angehörigen der Verstorbenen des Jahres schriftlich ein.
Dieses Jahr haben wir gut geplant, letztes Jahr fiel auch das Konfirmandenwochenende noch in den November. Manchmal verliere ich im November das Gefühl für die Zeit. Und Weihnachtsstress? Erstaunlicherweise wird es nach dem 2. oder 3. Advent bei mir ruhig. Keine Sitzungen mehr, die Adventsfeiern sind durch, die Gruppen und Kreise gehen in die Weihnachtspause, das Telefon klingelt weniger, die Menschen scheinen beschäftigt – ich brauche ein oder zwei Tage, bis die aufkommende Ruhe sich nicht mehr unheimlich anfühlt.
Und dann begebe ich mich an die Weihnachtsgottesdienste – jedes Jahr mit dem Vorhaben, alles einige Tage vor dem Fest fertig zu haben. Aber das wird wohl auch dieses Jahr nicht klappen. Denn wenn die Ruhe einkehrt, fällt mir unendlich viel ein, was ich versäumt habe zu tun – der Besuch bei einem kranken Menschen, ganz ohne Stress, einige Weihnachtskarten, ein Dank hier und da für treue Mitarbeit im vergangenen Jahr, der Schreibtisch weigert sich, leer zu werden. Und so dauert es doch wieder bis zum 23.12 in der Nacht. Und dann, dann feiere ich Weihnachten. In den Gottesdiensten und mit meiner Familie.
Katrin Schirmer ist Pfarrerin in der ev. Kirchengemeinde Speldorf in Mülheim an der Ruhr.
"Das Chaos auf dem Schreibtisch wird wohl liegen bleiben"
Weihnachten: Die stressigste Zeit für Pfarrer. Ich zögere ein bisschen, den Mythos zu zerstören, denn es ist schon außerordentlich praktisch, wenn jede Einladung zur Adventsfeier von vornherein mit der Erwartung einer Ablehnung verbunden ist: "Aber Sie werden wahrscheinlich sowieso keine Zeit haben, das verstehen wir schon."
Ich gehe gerne zu den Menschen. Ich bin auch gerne mal auf einer Adventsfeier. Ich freue mich, Leute zu treffen, die sich in irgend einer Form mit dem nahenden Weihnachtsfest beschäftigen. Aber – es fällt einfach leichter, auch mal Nein zu sagen, wenn sowieso niemand ein Ja erwartet. Vor allem bei den Feiern, von denen ich weiß: Ich bin dort als Pfarrer dann eher ein Deko-Element, das mit Kaffee und Plätzchen versorgt werden muss. Schön, wenn er da sitzt, wenn nicht, ist es auch ok. Da kann man dann durchaus mal Deko-Element spielen – sich aber auch nach zwei Tassen Kaffee wieder verabschieden.
Die Weihnachtstage selber sind für mich ganz entspannt. Bisher habe ich es noch immer geschafft, alle Weihnachtsgottesdienste spätestens am Abend des 23.12. fertig zu haben. Dann kommt es nur noch darauf an, den richtigen Ordner einzupacken und nicht am zweiten Feiertag mit dem Ablauf des Heilig-Abend-Familiengottesdienstes dazustehen. Ein, zwei, am Heiligen Abend vielleicht auch mal drei Gottesdienste – dann ist wieder Zeit für Familie. Keiner ruft an. Niemand schickt eine Mail. Auszeit, auch für Pfarrer, unterbrochen nur von einigen schönen Gottesdiensten.
Seit drei Jahren bin ich nun nicht mehr im Gemeindedienst, sondern auf einer Sonderstelle. Müsste eigentlich gar keine Gottesdienste mehr halten, auch nicht an Weihnachten. Aber ich vertrete gerne. Dieses Jahr sind es gerade mal zwei Gottesdienste, ein Familiengottesdienst am Heiligen Abend und ein ökumenischer am zweiten Feiertag, den mein geschätzter katholischer Kollege weitgehend vorbereitet hat, mit dem ich auch sonst viel zusammenarbeite. Nur das Chaos auf meinem Schreibtisch, das ich so gerne noch dieses Jahr beseitigt hätte, wird wohl bis zum neuen Jahr liegen bleiben müssen. Denn ich feiere jetzt erst mal. Frohe Weihnachten!
Heiko Kuschel ist Citykirchenpfarrer und Schulbeauftragter des Dekanats Schweinfurt.