Es soll - so kurz vor Weihnachten ist das nichts revolutionäres - um die Liebe gehen. Und es soll außerdem um Liebesbriefe gehen. Mir ist dieser Tage ein ganzer Karton Liebesbriefe in die Hände gefallen. Liebesbriefe faszinieren mich. Was macht eigentlich ihren Charme, ihre Kraft aus? Sind es die gewaltigen Vergleiche, die Sprachfiguren oder auch das Unbeholfene, dass sich oft in solchen Briefen findet? Ist es das Thema: Zwei Menschen lassen sich ganz und gar aufeinander ein? Ist es der immer wieder gefährliche Drahtseilakt, gewaltige Gefühle mit einer grazilen Wortwahl zu kombinieren?
Wir wollen nicht nur ins Gesangbuch, sondern auch in einige Liebesbriefe hineinschauen. Und aus den Liebesbriefen etwas lernen, was auch für den Glauben von Bedeutung sein kann. Lassen Sie sich von der Melodie der Briefe ansprechen.
1. Die Schauspielerin Stella Patrick Campbell schrieb vor hundert Jahren an den Schriftsteller George Bernhard Shaw: "Du Vagabund, du. Du blinder Mann. Du Teppichweber von Worten... Du verstehst nicht, was eine Frau ist. [...] Ich Weiß, dass du mich immer für töricht gehalten hast und dass ich deine Liebeserklärungen nie für etwas anderes nahm, als sie waren: Geist und Torheit eines Genies. Du Besenstil in weißen Laken. Deine lieben Briefe sind alle nicht wahr - aber sie sind wahre Wunder."
2. Winnie Mandela schrieb an ihren Mann Nelson Mandela: "Dein bloßer Anblick - ja, nur der bloße Gedanke an dich - zündet tausend Feuer in mir an... Manchmal fühle ich mich wie jemand, der früher immer draußen stand, neben dem Leben, der das Leben selbst versäumt hat. Mit dir morgens zur Arbeit zu fahren, dich tagsüber anzurufen, dene Hand zu fassen oder dich zu umarmen, wenn du im Haus hin- und hergehst, und dann die unvergesslichen Stunden in unserem Zimmer - all dies macht mein Leben glücklich."
3. Die Frankfurterin Bettina von Arnim schrieb an Johann Wolfgang von Goethe über eine besondere nächtliche Begegnung: "Vielleicht, Goethe, war dies das höchste Erlebnis meines Lebens; vielleicht war es der seligste Augenblick; schönere Tage sollen mir nicht kommen, ich würde sie abweisen. [...] Du hast mich geliebt, das weiß ich, wie du michand er Hand führtest durch die Straßen, da hab ich's an deinem Atem empfunden, am Ton deiner Stimme, an etwas, wie sol ich's bezeichnen, das mich umwehte, dass du mich aufnahmst in ein inneres, geheimes Leben."
4. Helmuth Graf v. Moltke, der Widerstandskämpfer gegen Hitler, schrieb am 11. Januar 1945 aus der Haft an seine Frau: "Ich sage gar nicht, dass ich dich liebe; das ist gar nicht richtig. Du bist vielmehr jener Teil von mir, der mit alleine eben fehlen würde. [...] Nur wir zusammen sind ein Mensch. Wir sind ein Schöpfungsgedanke. Darum, mein Herz, bin ich auch gewiss, dass du mich auf dieser Erde nicht verlieren wirst, keinen Augenblick."
Es war der letzte Brief von Helmuth Moltke an seine Frau. Zwölf Tage später wurde er hingerichtet.
Liebesbriefe in einer Andacht im Advent? Ganz schön gewagt.
Die Besonderheit, um die es mir hier geht, hat aber nichts mit Schwulst und Schwurbel zu tun.Mir liegt es an etwas ganz anderem: LIebesbriefe sprechen konsequent ein Du an. Ein Du, das in einer unendlichen Vielfalt an Vergleichen und Assoziationen beschrieben wird. Und es geht um die kleinsten Begebenheite und Erlebnisse, die die Menschen verbindet.
Wir schreiben in diesen Tagen so viele Briefe. Wie wäre es, wenn noch einer dazukäme - wir können die anderen ja etwas kürzer halten? Wie wäre es, wenn wir - ganz für uns - einen Brief an Gott schreiben würden? Ja, meinetwegen einen Liebesbrief. So schön emotional wie Winnie Mandela oder Bettina von Arnim.
Und jetzt sage ich auch, warum ich diese Liebesbriefe vorgelesen habe: Wir produzieren so viele Worte über den Gott und den Glauben und die Kirchen, da wäre es einmal wieder an der Zeit, unsere Worte direkt an ihn zu richten. Manchmal scheint mir: Das Du gegenüber Gott ist uns teilweise verloren gegangen.
Er oder Du?
Wenn wir selbst einen Brief schreiben, wird uns ganz schnell die Frage begegnen: In welcher Rolle stecken wir eigentlich? Sind wir Historiker, Dokumentare des Glaubens oder sind wir Liebesbriefschreiber? Schreiben, lieben und beten wir in der dritten Person Singular oder in der zweiten? Er oder Du?
Sagen wir im Weihnachtsgottesdienst: "Hier im Seitenschiff der Kirche steht eine spätromantische Krippe, Gesamtlänge 3,20 Meter, Materialmix aus Eiche, Erle, Temperafarbe und Stroh, darin das geschnitzte und glänzend lackierte Abbild eines Säuglings"? Oder sagen wir: "Ach, Herr, musste das denn sein, dass du so schlecht untergebracht bist? Aber deutlicher konntest Du mir nicht zeigen, wie wichtig ich Dir bin." Sind wir Dokumentatore des Glaubens oder Liebesbriefschreiber?
Wenn wir einen Brief an Gott schreiben: Finden wir eine schöne persönliche Anrede? Wie sprechen wir ihn an? Es muss ja nicht gleich wie Friedrich Spee klingen (von 1637):
"Oh Kindelein, von Herzen will ich dich lieben sehr,
in Freuden und in Schmerzen, je länger mehr und mehr..."
Gott liebt die Welt
Weihnachten ist das Fest der Liebe. Das können wir grundsätzlich alle unterschreiben. Ich finde es rührend und erstaunlich, dass Christen so selbstsicher sagen: Gott liebt diese Welt.
Da melden sich natürlich auch Fragen.
Wie will man das eigentlich wissen?
Woran will man das festmachen?
Gibt es Hinweise darauf? Beweise?
Mal ehrlich:
Hat jemand schon einen Liebesbrief von ihm bekommen?
Gibt es eine Liebeserklärung?
Wie hört sie sich an?
Fängt es da in unserem Inneren mächtig an zu brodeln?
Können wir davon gar nicht genug bekommen?
Fühlen wir uns leicht und beschwingt?
Stark und selbstbewusst?
Mit der Liebe und den Liebesbriefen ist es doch so: Wenn man immer nur darauf wartet, dass man sie bekommt, wird es nie etwas. Man muss auch schon selbst die Initiative ergreifen. Wenn man sich immer nur fragt: Wie geht es jetzt weiter, was kommt als nächstes?, ist es vielleicht schon zu spät.
Ein Liebesbrief an Gott
Es hängt alles am Du. Es wäre viel besser, wir würden in Gebeten über Gott nicht reden wie über einen Abwesenden - stramm in der dritten Person. Das gibt es zwar auch, zum Beispiel in den Glaubensbekenntnissen. Aber es gibt auch die direkte Anrede mit dem Du, zum Beispiel im Vaterunser.
Vermutlich wird unser Liebesbrief an Gott nicht in einer halben Stunde fertig werden. Vielleicht auch nicht in zwei Wochen. Vielleicht sitzen wir zu Osten noch dran! Nuicht etwa, weil er so lang ist, sondern weil wir die richtigen Worte suchen. Es soll ja nichts Pathetisches und nichts Routiniertes sein. Es soll etwas sein das genau zu uns passt und leicht und einfach daherkommt, und trotzdem ganz von innen kommt.
Lassen Sie uns diese Andacht beschließen, indem wir um Gottes Segen bitten. Wir erbitten ihn für uns und unsere Familien und Freunde. Wir erbitten ihn für alle Menschen, die seiner und unserer Unterstützung bedürfen. Wir erbitten ihn für alle Liebenden und Liebesbedürftigen und für alle, die nach den richtigen Worten suchen.
Der Herr segne und behüte uns. Er lasse sein Angesicht über uns leuchten und sei uns gnädig. Der Herr wende sein Angesicht uns zu - ja, das tun Liebende - und er schenke uns Heil.
Amen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen dritten Advent!
Eduard Kopp ist Theologe und leitender Redakteur beim evangelischen Magazin chrismon.