Quo vadis, Ägypten? Islamisten wollen sich nicht festlegen

Quo vadis, Ägypten? Islamisten wollen sich nicht festlegen
Die Islamisten sind in Ägypten auf dem Weg zur Macht. Schon wird spekuliert, ob sie alleine die Regierung bilden könnten. Manche fragen: Kann man in Kairo künftig noch ein Bier bestellen?
09.12.2011
Von Anne-Beatrice Clasmannr

Dass die Muslimbrüder bei der ägyptischen Parlamentswahl auf Platz eins landen würden, hatten alle Beobachter vorausgesagt. Doch das starke Abschneiden der Salafisten, die im ersten Wahlgang aus dem Stand 24 Prozent der Parteistimmen erhielten, hat viele westliche Diplomaten, Investoren und liberale Ägypter kalt erwischt. Sie fragen sich nun: Kommt die Kopftuchpflicht für Schülerinnen? Und wird man in den Restaurants von Kairo weiterhin Alkohol servieren?

Das Erstaunen erstaunt. Denn die Klientel der Partei des Lichts, die der puritanisch-konservativen Salafisten-Bewegung zugerechnet wird, ist im Straßenbild viel leichter zu erkennen als die Anhängerschaft aller anderen Gruppierungen: Die Männer trage Bärte, die weit unter dem Kinn enden, und Gewänder, die kürzer sind als die traditionelle ägyptische Galabija. Die Frauen bedecken das Gesicht mit einem Schleier.

Anders als die Muslimbrüder, die vom alten Regime zwar schikaniert, aber geduldet wurden, hatten die Salafisten in der Ära von Präsident Husni Mubarak keine politische Vertretung. Jetzt stehen sie plötzlich ganz prominent auf der politischen Bühne. Und der Vorsitzende der ägyptischen Tourismusgewerkschaft, Bassem Halaka, fordert: "Das Tourismusgewerbe muss vor den radikalen Ideen der Salafisten geschützt werden."

Revolutionäre haben zu wenig Politik gemacht

Liberale Ägypter, die befürchten, die Islamisten könnten demnächst versuchen, ihnen mit neuen Gesetzen einen frommen Lebensstil aufzuzwingen, haben diese Woche eine Kampagne gestartet. Sie wollen eine Million Unterschriften für ein Verbot religiöser Parteien sammeln. Die Kampagne kommt reichlich spät - nachdem sich gezeigt hat, dass rund 60 Prozent der Ägypter religiöse Parteien gut finden.

Auch Mustafa al-Naggar, einer der wenigen Jungrevolutionäre, die sich im ersten Wahlgang durchsetzen konnten, findet, dass die modern denkenden Ägypter im Gegensatz zu den Islamisten zu viel Zeit mit internen Debatten und Revolutionsrhetorik verplempert hätten. Das Wahlergebnis sei nun die Quittung dafür. "Als ich die Al-Adl-Partei gegründet habe, wurde ich von den jungen Menschen auf dem Tahrir-Platz angefeindet, doch ich war überzeugt davon, dass wir die Revolution auch ins Parlament tragen müssen", erklärte der Wahlsieger aus dem Kairoer Mittelklasse-Bezirk Nasr-City diese Woche im ägyptischen Fernsehen.

Die Muslimbrüder, die mit ihrer Allianz im ersten Wahlgangs etwa 36 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten, halten sich momentan noch bedeckt. Sie wollen nicht verraten, ob sie nach der Wahl eine Koalition mit den Salafisten bilden wollen oder ob sie sich um die Unterstützung der linken und liberalen Parteien bemühen werden. "Es ist noch zu früh, um über mögliche Allianzen zu sprechen, warten wir doch erst einmal den zweiten und dritten Wahlgang ab", sagt der Vorsitzende der zur Muslimbruderschaft gehörenden Partei der Freiheit und Gerechtigkeit.

Säkulares Militär, religiöse Parteien?

Auch der Vorsitzende der Partei des Lichts, Emad Abdelghaffar, gibt sich nach allen Seiten offen. Besser als eine exklusive Allianz mit den Muslimbrüdern erscheine ihm eine breite Koalition. "Fest steht nur, dass die Mehrheit die Regierung bilden muss, denn wenn dies nicht der Fall sein wird, dann wird es Probleme geben, denn dies würde ja bedeuten, dass die Stimmen der Wähler keinen Wert hätten", erklärt er.

Der Vorsitzende der tunesischen Islamistenpartei Al-Nahdha, Rachid Ghannouchi, die den Muslimbrüdern ideologisch nahesteht, glaubt auf jeden Fall, dass von den Salafisten nicht viel Gutes zu erwarten sei. Er riet den ägyptischen Muslimbrüdern deshalb in einem Interview der Zeitschrift "Foreign Policy", sich nicht mit den Radikal-Islamisten zu verbünden, sondern mit den Liberalen und den koptischen Christen.

Seine These: Die islamistischen Parteien mögen zwar in Ägypten die Mehrheit hinter sich haben. Die Mehrheit der Geschäftsleute und Militärs denke aber säkular. Diese einflussreiche Gruppe dürfe im politischen Prozess nicht an den Rand gedrängt werden, weil sonst keine Stabilität erreicht werden könne.

Eine neue Verfassung kommt erst noch

Wie dieser politische Prozess genau weitergehen wird, ist noch völlig unklar. Nach dem zweiten und dritten Wahlgang wird das Parlament etwa Mitte Januar komplett sein. Dann soll, während immer noch die vom Militärrat eingesetzte Übergangsregierung unter dem ehemaligen Mubarak-Mann Kamal al-Gansuri regiert, eine neue Verfassung geschrieben werden. Allerdings weiß noch niemand, wer in dem Verfassungsausschuss sitzen wird.

Ende Juni sollen die Ägypter ihren Präsidenten wählen, wobei noch nicht klar ist, welche Machtbefugnisse der neue Staatschef haben wird. Die Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden mit Sitz in Washington spricht deshalb in einer aktuellen Analyse von einem "schlecht entworfenen Übergangsprozess, der schon bald in eine neue Krise geraten könnte".

dpa