Das Domkapitel wolle nicht mehr mit rechtlichen Schritte gegen das Zeltlager der Protestbewegung vor der Kirche vorgehen, teilte das Gremium am Dienstag in London mit. Der Rücktritt des Dekans von St. Paul's, Graeme Knowles, der sich für rechtliche Schritte zur Räumung des Camps eingesetzt hatte, habe eine Neubewertung der Situation möglich gemacht.
Nach Knowles Rücktritt am Montag übernahm der anglikanische Bischof von London, Richard Chartres, die Leitung des Domkapitels. "Die Alarmglocken läuten überall auf der Welt", sagte der Bischof am Dienstag. St.Paul's habe den Ruf vernommen. Die Entscheidung, auf rechtliche Schritte zu verzichten, signalisiere, dass die Kirche offen sei für die Fragen, die nicht nur die Bewohner des Zeltlagers, sondern Millionen Menschen in Großbritannien und rund um den Erdball beschäftigten.
Zugleich kündigte das Domkapitel eine Initiative an, um die Bereiche Ethik und Finanzen wieder ins Gespräch zu bringen. Dafür wurde der Investmentbanker und bekennende Christ Ken Costa gewonnen. Costa war bis 2007 bei der Schweizer Großbank UBS als Vorsitzender für das Investment-Banking in Europa, im Nahen Osten und in Afrika zuständig. Heute ist er Co-Vorsitzender der amerikanisch-französischen Investmentbank Lazard. Unterstützt werden soll der gebürtige Südafrikaner von Persönlichkeiten aus City, der Kirche und der Gesellschaft.
Erzbischof Williams ist für Reformen
Die zuständige Londoner Verwaltungsbehörde hatte den Demonstranten am Montag eine Frist von 48 Stunden gesetzt, um das Gelände vor der Kirche zu verlassen, und rechtliche Schritte zur Räumung des Camps angekündigt. Bereits in der vergangenen Woche war der anglikanische Priester und Domherr Giles Fraser im Zusammenhang mit den Bankprotesten vor der St.-Pauls-Kathedrale zurückgetreten. Er könne nicht mittragen, dass womöglich im Namen der Kirche Gewalt eingesetzt werde. Wegen der Protestcamps war die Kathedrale erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg vorübergehend geschlossen worden. Seit Freitag ist sei teilweise wieder zugänglich.
Das Oberhaupt der Anglikaner, Erzbischof Rowan Williams, hatte sich am Montag erstmals zu dem Streit geäußert. Er forderte, Kirche und Gesellschaft müssten sich mit den Problemen auseinandersetzen, die von den Demonstranten angesprochen würden. In einem Beitrag für die britische "Financial Times" (Mittwochsausgabe) unterstützt Williams die Reformvorschläge aus dem Vatikan für die Finanzmärkte. Diese Vorstellungen wie Finanztransaktionssteuer und Rekapitalisierung der Banken seien kein "simpler Ruf nach einem Ende des Kapitalismus" und mehr als ein genereller Ausdruck von Unzufriedenheit.
Die Kirche von England und die Kirche insgesamt hätten ein echtes Interesse an einer Ethik der Finanzwelt. Dabei gehe es um die Frage, ob die finanziellen Praktiken denen dienen, denen sie zu gute kommen sollen, oder schlicht zu Götzen geworden seien, schreibt das Oberhaupt der Anglikaner. Williams spricht sich ausdrücklich für eine Steuer auf Finanzmarktgeschäfte aus. Das Steueraufkommen sollte für Investitionen in die "reale Wirtschaft" eingesetzt werden. Dieser Vorstoß werde von namhaften Experten unterstützt, die nicht als "naive Anti-Kapitalisten" abgeschrieben werden könnten.