Medientage: Die Beobachtung der Kontinentalverschiebung

Medientage: Die Beobachtung der Kontinentalverschiebung
25 Jahre Medientage München: Einst beherrschten medien- und programmpolitische Parameter die Münchner Diskussion. Dazu gehörten die Debatte um die Grundversorgung der Gesellschaft ebenso wie die um die angemessene Gebührenfinanzierung von ARD und ZDF. Heute dreht sich alles um das Thema Digitalisierung.
24.10.2011
Von Ralf Siepmann

Aus dem Blickwinkel der Entstehungsgeschichte sind die "Medientage München" ohne Zweifel das, was gern eine Success Story genannt wird. Dafür sprechen schon die quantitativen Daten. Bei der jetzigen 25. Auflage des Treffens wurden 6.000 Teilnehmer, über 500 Referenten, rund 90 Veranstaltungen registriert. Das Budget umfasst Ausgaben von knapp zwei Millionen Euro, die in erster Linie von den Unterstützern der Medientage, der Bayerischen Staatskanzlei und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), aufgebracht und im Übrigen via Teilnehmerentgelte und Sponsoren finanziert werden (müssen). Zum Aufschwung des Münchner Branchentreffens hat die Rivalität mit dem Medienforum NRW zu Köln nicht unwesentlich beigetragen. Vor allem unter den medienpolitisch engagierten SPD-Landesfürsten Johannes Rau und Wolfgang Clement war der Kölner Branchentreff ein Magnet. Heute haben beide Events im Kongresskalender von Medienmenschen ihren festen Platz, wenn auch mit unterschiedlichem Profil.

Immer sind und waren die Medientage München der Ort, an dem die großen tektonischen Verwerfungen der Medienlandschaften debattiert, bisweilen auch antizipiert, gern dramatisiert wurden. Im ersten Jahrzehnt beherrschten die Verschiebungen im Binnenverhältnis von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einerseits und "den Privaten" andererseits im Zuge der Etablierung des dualen Rundfunks das Geschehen. Die "Elefantenrunde", die Konfrontation der Intendanten von ARD und ZDF sowie der diversen Programmchefs von Helmut Thoma bis Anke Schäferkordt, um dies exemplarisch an RTL festzumachen, hatte in dieser rundfunkpolitisch akzentuierten Phase ihre Berechtigung und die eine oder andere Sternstunde.

Die Arena hat sich in eine Klagemauer verwandelt

Seit einiger Zeit indes neigen die Elefanten zu Ermüdungserscheinungen. Was als Diskurs und Arena konzipiert ist, wandelt sich mehr und mehr zu einer Klagemauer. "Ach je!", brachte die "Süddeutsche Zeitung" ihre Einschätzung der Runde 2011 auf den Punkt und machte "Selbstmitleid" allenthalben aus. Wie hinter den Kulissen die Relevanz der Debatte im großen Kongresssaal bewertet wird lässt sich übrigens durchaus am Verhalten des bayerischen Ministerpräsidenten festmachen. Horst Seehofer brachte es heuer zum drittenmal in seiner vierjährigen Amtszeit fertig, der Diskutanten-Riege fernzubleiben, diesmal wegen der Euro-Krise. 

Die Verwandlung der Arena in eine Klagemauer hat entscheidend mit dem digitalen Tsunami zu tun, der über die klassischen Medienanbieter hereingebrochen ist. Mit der technischen Konvergenz und der Expansion der neuen "global player" vom Typ Google, Apple und Facebook hat sich das Szenario der medialen Verwerfungen erneut verschoben, nunmehr eruptiv. Einst beherrschten medien- und programmpolitische Parameter die Münchner Themen. Die Debatte um die Grundversorgung der Gesellschaft gehört in diesen Kanon ebenso wie die um die angemessene Gebührenfinanzierung von ARD und ZDF. Heute sind es technik- und ökonomisch getriebene Stichworte wie Geschäftsmodelle, Renditen, Paid Content, Crossmedialität.

Das Branchentreffen als Schaufenster der Digitalisierung

Die Digitalisierung als Prozessor des Gesamttrends bringt im Verein mit Social Media, mit interaktiven Modellen neuer Öffentlichkeit wie Blogs, mit dem Auseinanderdriften der Mediennutzungsgewohnheiten von "Alt" und "Jung" die neue Ohnmacht der Etablierten hervor. Stefan Tweraser, Repräsentant von Google Deutschland an Stelle des in die kalifornische Zentrale wechselnden Philipp Schindler in der "Elefantenrunde", erwies sich im Denken um Lichtjahre von jenen entfernt, die in Kategorien von Regulierung denken. 

"Die Konvergenz der Medien differenziert den Markt immer stärker aus", resümiert Johannes Kors, Geschäftsführer der Medientage München, den Trend. Unter diesem Aspekt ist das Branchentreffen ein großes Schaufenster der medialen Kontinentalverschiebungen. Mit technischen Entwicklungen rund um Hybrid-TV, Mobile-TV oder neuen Medienangeboten auf internetfähigenTablet-PCs lassen sich Prozesse beobachten, die die Gesellschaft in – sagen wir – zehn Jahren erreichen und verändern werden.

Doch stößt das Branchentreffen zu München dann nicht an eine Grenze, wenn Technik und Ökonomie weitgehend dominieren und die Reflexion über Integration, Relevanz und ethische Standards verkümmern? Wo bleibt angesichts rasanter sozialer Fragmentierung der "Kitt", der das Gemeinwesen dann noch zusammenhält? Der Publizist David Richard Precht hatte bei den Medientagen München 2009 diese Kernfrage immerhin stellen können. Nach Antworten sollte unter den Dächern der Messehallen in Riem künftig intensiver gefahndet werden – und sei es bei den nächsten 25 Ausgaben dieser Medientage.


Ralf Siepmann ist freier Journalist in Bonn.