Ben-Gurion: Ein Realist, der an Wunder glaubte

Ben-Gurion: Ein Realist, der an Wunder glaubte
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist", war sein Credo. Nach Theodor Herzl war er wohl der wichtigste Mann für die Geschichte des Staates Israel: David Ben-Gurion, geboren vor 125 Jahren. Doch sein Erbe sagt vielen Israelis heute nichts mehr.
14.10.2011
Von Susanne Knaul

"2.000 Jahre haben wir auf diese Stunde gewartet", begann David Ben-Gurion (1886-1973) am 14. Mai 1948 die Rede zur Staatsgründung Israels. "Nun ist es geschehen. Wenn die Zeit erfüllt ist, kann Gott nichts widerstehen." Israel und Ben-Gurion - der Staat scheint ohne die Person kaum denkbar. Von früher Jugend an Zionist und Sozialist prägte Ben-Gurion das frühe Schicksal des Judenstaates, dessen Vision zuvor Theodor Herzl entworfen hatte. 1949 wurde er zum ersten Ministerpräsidenten Israels ernannt.

"Viele Kinder glauben, dass Ben-Gurion ein Flughafen ist"

Ben-Gurion war von einem "Ersten unter Gleichen" zu einem "modernen König David" geworden, schrieb der israelische Schriftsteller Amos Oz voller Begeisterung über ihn - und doch fällt sein 125. Geburtstag am 16. Oktober in Israel heute kaum noch ins Gewicht.

"Viele Kinder glauben, dass Ben-Gurion ein Flughafen ist", stellt Hanni Hermonlin, Leiterin des Ben-Gurion-Hauses in Tel Aviv, ernüchtert fest - der Tel Aviver Flughafen wurde nach ihm benannt. "Die Erinnerung an Ben-Gurion lässt nach", sagt Hermonlin. "Es gibt immer mehr tote Helden, derer in Israel gedacht werden muss." Der 1995 ermordete Regierungschef Izchak Rabin ist nur einer davon.

Geboren am 16. Oktober 1886 im damals polnischen Plonsk immigrierte David Grün, der sich später selbst Ben-Gurion nannte, als Zehnjähriger nach Palästina. Er wurde 1921 erster Sekretär der Gewerkschaft Histadrut, gehörte zu den Gründern der Arbeitspartei und war von 1935 bis zur Staatsgründung Vorsitzender der Jewish Agency, die die Juden vertrat.

"Er hat mich gelehrt, Bücher zu lieben"

1953 verabschiedete sich Ben-Gurion zum ersten Mal aus der Politik und zog mit seiner Frau in den Kibbuz Sde Boker im Negev. Schon zwei Jahre später kehrte er zunächst als Verteidigungsminister nach Jerusalem zurück und übernahm kurz darauf erneut das höchste Regierungsamt. 1963 zog er sich endgültig aus allen öffentlichen Ämtern zurück.

Wenn er nicht in Jerusalem war, lebte er mit seiner Frau Paula und den drei Kindern in Tel Aviv. Sein Wohnhaus vermachte der scheidende Regierungschef dem Staat. Das Ben-Gurion-Haus ist ein kleines doppelstöckiges Gebäude am heutigen Ben-Gurion Boulevard Nr. 17 in Tel Aviv.

Drei von vier Räumen im oberen Stockwerk nahm seine Bibliothek ein. 20.000 Werke stehen dort. Ben-Gurion soll sie alle gelesen haben, und zwar auf elf Sprachen. "In den dramatischsten Jahren seiner Führungszeit verschlang er philosophische Bücher, kommentierte die Bibel, flirtete mit dem Buddhismus und lehrte sich selbst Griechisch, um Platon im Original lesen zu können", schrieb Amos Oz. Tatsächlich stehen auf drei Regalen die Schriften Platons. Nur Belletristik gibt es in Ben-Gurions privater Bibliothek nicht.

"Bücher waren das wichtigste für ihn", erinnert sich sein Enkel Jariv Ben-Eliezer. "Er hat mich gelehrt, Bücher zu lieben." Hunderte, vielleicht sogar Tausende kaufte Ben-Gurion seinem Enkel, wobei Ehefrau Paula darauf achtete, dass er in jedes einzelne den Satz "Von Großvater für Jariv" schrieb. "Er war ein sprunghafter Mann", erinnert sich Amos Oz an das erste Treffen mit Ben-Gurion. "Glatzköpfig, bäuerlich-einfach, eindringlich, verführerisch warmherzig und für ein oder zwei gütige Momente seine fröhliche, kindliche Neugier enthüllend."

"Einmal werden wir einander vertrauen können"

Ben-Gurion leitete das Land während der Staatsgründung, die unmittelbar zum ersten und schlimmsten aller Kriege Israels führte. In seine Amtszeit fiel auch die Einwanderungswelle der Überlebenden aus den Konzentrationslagern in Europa und schließlich die Annäherung an das andere Deutschland und das historische Treffen im März 1960 mit Bundeskanzler Konrad Adenauer.

Ben Gurion war Pragmatiker. "Ich finde, dass nichts anderes übrig bleibt, als miteinander in die Zukunft zu gehen", sagte er in einem Interview zum Wiedergutmachungsabkommen. "Noch ist es zu früh, aber einmal werden wir einander vertrauen können." Auf den Einwurf des Reporters, dass das doch eine sehr christliche Haltung sei, erinnerte der Israeli: "Jesus war Jude."

Letztendlich blieben es nur die Deutschen, mit denen es ihm gelang, eine Art Frieden zu schließen. Noch von seinem Ruhesitz im Kibbuz Sde Boker aus mahnte Ben-Gurion nach dem Sechstagekrieg von 1967, die besetzten Palästinenser-Gebiete im Gegenzug für Frieden aufzugeben, nur Jerusalem solle ungeteilt bleiben. Eine Verzichtserklärung, die ihm von Izchak Rabin den Vorwurf einbrachte, er sei "der größte Versager in der Geschichte Israels".

25 Jahre später unterzeichnete Rabin selbst ein Abkommen mit der PLO, das den schrittweisen Abzug aus den palästinensischen Gebieten festhielt. Da war Ben-Gurion schon tot. Er starb am 1. Dezember 1973 und wurde in Sde Boker neben seiner Frau Paula beigesetzt.

epd