Orgelmusik ist Besinnung, Begeisterung, Freude, Trauer

Orgelmusik ist Besinnung, Begeisterung, Freude, Trauer
Wie ein Fels in der Brandung oder die Faszination Orgel: Christian Schmitt, geboren 1976, gilt als einer der renommiertesten jüngeren Konzertorganisten. Er studierte in Saarbrücken Kirchenmusik (A-Examen) und Konzertreife (mit Auszeichnung) sowie Orgel bei James David Christie (Boston) und Daniel Roth (Paris).
23.09.2011
Die Fragen stellte Ralf Siepmann

Was hat Sie als jungen Menschen motiviert, Kirchenmusik zu studieren und sich auf die Orgel zu spezialisieren?

Christian Schmitt: Es war die Faszination für die Orgel und die wunderbaren Werke, die für dieses Instrument komponiert wurden. Letztlich war das Studium der Kirchenmusik eine solide "Grundausbildung" für meinen gesamten Werdegang.

Sie treten regelmäßig in Kirchen auf – in der kleinen Abteikirche bis hin zum großen Dom. Was unterscheidet Kirchen als Orgelkonzerträume von klassischen Konzerthallen mit installierter Orgel wie den Philharmonien in Köln oder Berlin?

Schmitt: Im Konzertsaal ist ein direkter Kontakt zum Publikum vorhanden. Es kann den Organisten an seinem Instrument sehen, was viele Vorteile aber auch Nachteile hat. Nicht jeder Saal hat eine optimale Orgelakustik. Allerdings verfügen viele Kirchenräume über hervorragende Orgeln. Speziell historische Instrumente wie die in Kiedrich oder Weingarten oder Kathedralorgeln wie im Freiburger Münster oder in der Frauenkirche Dresden sind hervorragend zur Präsentation einer speziellen oder vielseitigen Literaturauswahl geeignet.

Was kann ein Konzert mit Orgelwerken von Bach, Händel oder Mendelssohn im Publikum auslösen?

Schmitt: Besinnung, Begeisterung, Freude, Trauer; einfach viele persönliche Parameter.

Was kann es in Ihnen beim Spiel auslösen?

Schmitt: Im Moment der Aufführung überwiegt die Freude an der Musik. Nicht immer gelingt es zu 100 Prozent, all das rüberzubringen, woran man in seinen "Überstunden" arbeitet.

Im Kontext der evangelischen Verkündigung hat die Orgel eine exponierte Stellung. Wie empfinden Sie dies?

Schmitt: Vor allem vor meiner Studienzeit habe ich öfter, so als Aushilfe an der Orgel, evangelische Gottesdienste gestaltet. Es hat mich immer beeindruckt, dass die Musik fester Bestandteil der Liturgie war. Präludium und Nachspiel gehörten stets dazu. Es entstanden Ruhe und Aufmerksamkeit. Natürlich hat die Musik Bachs dabei einen sehr großen Stellenwert.

"Glaube hat viel mit
dem alltäglichen Leben zu tun"

 

Sie haben Kirchenmusik und katholische Theologie studiert. Zudem befassen Sie sich seit Jahren systematisch mit dem Instrument zum Lobe Gottes. Was hat dies in Ihnen bewirkt, für Ihren Glauben, Ihre Religion?

Schmitt: Eine bessere Kenntnis der heiligen Schrift und deren Auslegung. Außerdem hatte ich viel Kontakt zu Gemeindemitgliedern. Wir hatten einen Pastor in meiner Gemeinde, der zudem Psychologe war. Das hat mich in jungen Jahren beeinflusst und gezeigt, dass Glaube viel mit dem alltäglichen Leben zu tun hat.

Ist die Orgel im kirchlichen Raum, zumal wenn sie voluminös ist und prachtvoll gestaltet, so etwas wie ein Fels in der Brandung?

Schmitt: An manchen Orten mit Sicherheit, es kommt aber immer auf Tradition, Geschichte und den derzeitigen Organisten an. Es gibt Instrumente, die mehrere Kriege überlebt haben, oder Orgeln, die in anderen Instrumenten "weiterleben", so in der Kirche Saint Sulpice in Paris. Für mich wären solche Felsen vor allem in den großen Domkirchen wie Fulda, Speyer, Trier oder die neue Orgel des Luzerner Orgelbauers Goll in der evangelischen Marktkirche Hannover.

Deutschland ist ein, vielleicht das Land des Orgelbaus. Ist es auch ein Land des Orgelklangs?

Schmitt: Auf jeden Fall, vor allem des Originalklangs, der in vielen Instrumenten lebt oder wieder belebt wurde. Denken Sie an die historischen Instrumente von Silbermann, Trost, Schnittger, Riep, Gabler, Ladegast, Sauer oder Walcker. Gegenwärtig sind rund 170 Orgelbaubetriebe allein in Deutschland registriert. Vielfalt und Leistungsfähigkeit des Orgelbaus in Deutschland lassen sich übrigens an der Musikhochschule Stuttgart erfassen, wo viele dieser Instrumente in wunderbaren Nachbauten versammelt sind. Ein Paradies für Studenten und Orgelliebhaber.

Neue Materialien, immer feinere Elektrik, dazu die Computertechnik – anscheinend ist die Weiterentwicklung der Orgel ungebrochen. Was bringt denn die moderne Technik dem Orgelspieler an wirklichen Vorteilen?

Schmitt: Wenn die Orgel immer mehr zum Computer wird, können auch Probleme entstehen, Ich habe dies gerade kürzlich erlebt, als eine solche PC-Orgel durch Überhitzung Stress bekam. Ein gesundes Maß an Tradition und Innovation dürfte Orgelbauer und Organisten voranbringen.

"Leider ist die Konstellation Orgel und Orchester
für viele Dirigenten nicht interessant"

 

Orgelkonzerte für Orgel solo, Orgelsinfonien, Orgel in Interaktion mit anderen Soloinstrumenten, etwa der Barocktrompete – welcher Typ reizt Sie besonders?

Schmitt: Ich spiele besonders gern mit anderen Instrumenten und Sängern. Kürzlich wurde eine Sendung zum 200. Geburtstag von Franz Liszt auf Arte gezeigt. Dort begleite ich die Sängerin Juliane Banse und den Cellisten Wen-Sinn Yang. Orgel und Percussion finde ich sehr reizvoll. Mit Martin Grubinger (Schlagzeug) spiele ich seit sechs Jahren. Wir sind zusammen in den Konzertsälen von Berlin, Graz, Dortmund oder Köln aufgetreten, dort vor 1400 Zuhörern. Dann kommt ein ganz anderes Publikum mit Orgel in Berührung. Es ist zu spüren, dass ein Interesse für dieses Instrument vorhanden ist. Aber man muss auch innovativ auf die Leute zugehen. Natürlich spiele ich auch in der "traditionellen Kombination" Orgel und Trompete.

Lassen sich Anzeichen für ein stärkeres öffentliches Interesse an Orgelkonzerten beobachten, so auch im kirchlichen Raum?

Schmitt: An manchen Orten schon, vor allem wenn ein neues Instrument vorhanden ist. Eigene Konzerte oder feste Reihen gibt es auch im Rahmen von Musikfestivals oder in großen Konzertsälen. Leider ist die Konstellation Orgel und Orchester für viele Dirigenten nicht interessant. Grund hierfür sind Kommunikationsprobleme in Folge gewisser räumlicher Distanz. Hier existieren aber auch Vorurteile. Ich versuche dem etwas entgegenzusetzen, indem ich mich für Aufführungen mit Orgel im Sinfoniekonzert engagiere.

2011 ist ein Franz Liszt-Jahr anlässlich seines 200. Geburtstages. Wie sehen sie Liszts Bedeutung als Orgelkomponist?

Schmitt: Für mich ist Liszt in erster Linie Klavier- und Orchester-Komponist, was man auch eindeutig bei den Orgelwerken spürt. Ich spiele natürlich die großen Liszt Werke und habe auch einige auf CD aufgenommen. Ein besonderes Anliegen ist die wieder entdeckte Dupré-Fassung seiner Fantasie und Fuge über den Choral "Ad nos, ad salutarem undam" aus Meyerbeers Oper "Le Prophète" für Orgel und Orchester. Ich habe sie gerade zusammen mit dem Göttinger Sinfonieorchester bei den dortigen Händelfestspielen und in der Marktkirche Hannover gespielt. Im Januar steht auch eine Aufnahme des Werks in der Philharmonie Luxemburg auf dem Programm.

Sie haben das TV-Projekt auf Arte erwähnt. Was ist das denn überhaupt für eine Allianz, die Medien und die Orgel - optimierbar?

Schmitt: Unbedingt optimierbar, wir brauchen mehr solche Sendungen, mehr mediale Aufmerksamkeit, kombiniert mit guten Instrumenten, eindrucksvollen Räumen. Internet und Mediatheken eröffnen kulturinteressierten Menschen in vielen Ländern zudem Chancen, Anteil zu haben. Es gibt viele gute Ansätze, die alle positive Effekte auch in den Medien erzielen können: Jugendarbeit, Wettbewerbe, Orgel für Kinder, Orgelneubauten.


Christian Schmitt, Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Deutschen Stiftung Musikleben, ist Preisträger bei mehr als zehn nationalen und internationalen Orgel- und Musikwettbewerben. Er gibt in aller Welt Konzerte und tritt - sein Spezifikum - regelmäßig mit großen Künstlern auf. Er gehört den Jurys des Bundeswettbewerbs "Jugend Musiziert", des Wettbewerbs "Soli Deo Gloria" in Moskau und des Deutschen Musikwettbewerbs 2010 an.