Loveparade-Jahrestag: "Die Trauer ist nie abgeschlossen"

Loveparade-Jahrestag: "Die Trauer ist nie abgeschlossen"
Ein Jahr nach der Loveparade-Katastrophe gibt es mehr Fragen als Antworten. Für viele Angehörige der Opfer ist die Trauerfeier in der Duisburger MSV-Arena am 24. Juli ein zentrales Ereignis. Zu Ende ist das düstere Kapitel damit jedoch nicht. Angehörige, Überlebende und Notfall-Seelsorger leiden noch immer unter den Ereignissen.
08.07.2011
Von Holger Spierig

"Die Trauer kann niemals abgeschlossen sein", ist der evangelische Notfallseelsorger Joachim Müller-Lange überzeugt. Zwölf Monate nach dem Unglück, bei dem 21 junge Menschen starben und mehr als 500 verletzt wurden, sind noch viele Fragen offen - auch solche juristischer und moralischer Schuld.

Der erste Jahrestag des Unglücks am 24. Juli wird nach Müller-Langes Worten ein besonders sensibler Tag für die Betroffenen sein. Deshalb seien spezielle Angebote an diesem Wochenende wichtig. Bislang hätten sich mehr als 150 Angehörige angemeldet, darunter auch Familien aus Spanien und China. Die Gedenkfeier am Jahrestag, der auf einen Sonntag fällt, soll gemeinsam besucht werden. Danach ist ein Programm für die Angehörigen geplant, zu dem auch ein Besuch der Unglückstätte gehören könnte. Die Notfallseelsorge bietet für sie am Wochenende des Jahrestages Begleitung, Gespräche und Angehörigentreffen an. Auch der gemeinsame Besuch der Trauerfeier und ein Gang zum Unglücksort gehören dazu.

Die akute Notfallbetreuung der ersten Zeit, in der bis zu 280 Seelsorger im Einsatz waren, ist zwar inzwischen beendet. Doch die Beratungshotlines, Internethilfen und Treffen der Angehörigen werden weiter aufrecht erhalten. Häufig entwickelten sich aus ersten geschriebenen Anfragen intensive Gespräche, berichtet Müller-Lange von vom rheinischen Landespfarramt für Notfallseelsorge.

Nur Bedauern - keine Verantwortung

Die mittlerweile stärkste Belastung für Eltern, Geschwister und Freunde der Opfer sei nach wie vor, dass niemand die Verantwortung für das Geschehen übernommen habe, kritisiert der Seelsorger. "Es gelingt damit nicht, so etwas wie einen Abschluss zu finden". Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) räumte unterdessen Fehler ein: Die Übernahme moralischer Verantwortung und eine Entschuldigung hätten von ihm kommen müssen, sagt er. Sein langes Schweigen begründet er etwas hilflos damit, er habe befürchtet, mit einem Schuldeingeständnis auch juristisch zur Verantwortung gezogen zu werden.

In seiner eigenen Stadt ist der OB für viele zur unerwünschten Person geworden, Bürger sammeln derzeit Unterschriften für seine Abwahl. Zur Gedenkfeier wird er wohl nicht kommen. Anders als der CDU-Politiker reagierte vor Jahresfrist der Geschäftsführer der Ruhr.2010, Fritz Pleitgen, indem er unmittelbar tiefe Betroffenheit äußerte: Obwohl die Loveparade kein originäres Projekt der Kulturhauptstadt gewesen sei, fühle er sich "moralisch mitverantwortlich".

Auch Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller sprach nach erstem Zögern sein Bedauern öffentlich aus: "Es tut mir unendlich leid, ich kann es nicht rückgängig machen", erklärte der Geschäftführer der Fitnessstudiokette "McFit". Über juristische Verantwortung ist damit noch nichts gesagt - Veranstalter, Stadt und Land gaben sich immer wieder gegenseitig die Schuld für das Unglück. Ein Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen steht noch immer aus.

Die Trauer dauert bis zum Ende des Lebens

Am Unglückstunnel erinnert seit Ende Juni eine Stahlskulptur des Duisburger Künstlers Gerhard Losemann an die Loveparade-Opfer. Ob die Unglücksstätte am ehemaligen Güterbahnhof als Erinnerungsort erhalten wird, wie es die Angehörigen wünschen, ist noch offen. Das Gelände gehört heute einem Investor, der ein Möbelhaus bauen will. Zurzeit laufen Gespräche der Beteiligten. Der Duisburger evangelische Superintendent Armin Schneider appelliert an die Stadt, die Erinnerung wachzuhalten. Die Angehörigen bräuchten einen Ort, an dem sie das Gedenken an die Verstorbenen auf würdige Weise bewahrt sähen.

Die Trauer wird nach Einschätzung des rheinischen Theologen das Leben der meisten Angehörigen weiter bestimmen. "Diese Trauer der Eltern und Geschwister wird bis zu ihrem Lebensende gehen", ist der Notfallseelsorger überzeugt. Angehörige und Opfer kommen bis heute unterstützt von der Notfallseelsorge zu regelmäßigen Treffen zusammen. "Die Begleitung der Hinterbliebenen und Überlebenden nach der Loveparade ist in einer Dichte geschehen wie nach keiner anderen Katastrophe in der Bundesrepublik", bilanzierte Müller-Lange die bisherige Betreuung.

epd