Schwefel, Ruß und Plastikmüll: Die Schifffahrt und die Umwelt

Schwefel, Ruß und Plastikmüll: Die Schifffahrt und die Umwelt
Eigentlich sind Schiffe umweltfreundlich - doch die Zunahme des Verkehrs auf den Meeren wird zunehmend zum Problem. Immerhin: Erste Ansätze versuchen, Ökonomie und Ökologie miteinander zu versöhnen.
21.06.2011
Von Hermannus Pfeiffer

"Der Schatz der Schätze ist das Meer." Diesen bemerkenswerten Satz schrieb der französische Wirtschaftshistoriker Fernand Braudel vor einem halben Jahrhundert. Er ist heute so treffend wie seinerzeit: Über die blauen Fernstraßen stampfen Zigtausende Containerschiffe, um die globalisierte Warenwelt in Fluss zu halten; Erdöl und Gas werden kilometertief aus dem Meeresgrund gefördert und Offshore-Windparks auf hoher See sollen Atomkraftwerke ersetzen.

In Europa lebt und arbeitet schon jeder dritte Bürger an einer Küste, und es werden immer mehr. Gute Gründe also für die Europäische Kommission, um den vergleichsweise umweltfreundlichen Seeverkehr zu fördern - zum Schaden der Umwelt?

Schwimmendes AKW in Planung

Die EU-Kommission hat Ende März in Brüssel ihre neue Verkehrsstrategie der Öffentlichkeit präsentiert. Danach soll ein größerer Anteil der rasant zunehmenden Warenströme auf Seeschiffen entlang der über 30.000 km langen Küstenlinie fließen oder auf die vornehmlich in Deutschland ökologisch umstrittenen Binnenschiffe umgeleitet werden. Die maritime Logistikindustrie sieht die damit verbundene Verantwortung für Klima und Umwelt als "Herausforderung und Chance".

Neue Herausforderungen machen nicht an EU-Grenzen halt. So entschied sich der britisch-niederländische Erdölkonzern Shell kürzlich für den Bau eines 488 Meter langen Schiffungeheuers namens "Prelude". 2017 soll die weltweit erste schwimmende Fabrik zur Gewinnung und Verflüssigung von Erdgas vor der Küste Australiens dauerhaft vor Anker gehen.

Schon im kommenden Jahr will Russland das erste schwimmende Atomkraftwerk "Akademik Lomonosov" auf die Reise nach Fernost schicken. Trotz eines wegweisenden Urteils des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg mangelt es für solche Meerestechniken an globalen Regeln und fehlt es noch weit mehr an übernationaler staatlicher Aufsicht.

Hoffnung für die Schöpfung

Gleiches gilt für den Grundstoff der maritimen Wirtschaft, das Wasser. Strudel voller Plastikmüll im Pazifik, eine überdüngte Ostsee oder Lebewesen von fremden Kontinenten im Ballastwasser der Schiffe gefährden Flora und Fauna weltweit. Doch inzwischen werden auch diese Problemzonen von der Staatengemeinschaft als nachhaltige Fragen ernst genommen. Zwar verärgern die Antworten oft Wirtschaftsvertreter und Öko-Lobbyisten gleichermaßen, dennoch besteht begründete Hoffnung für die Schöpfung. So zwingen zwei EU-Richtlinien die Mitgliedstaaten, bis 2020 den Zustand des Meerwassers und der Fische auf "gut" anzuheben.

Eine andere Herausforderung rußt zum Himmel. Obwohl - in Tonnenkilometern gerechnet - Schiffe ökologisch vorbildlich sind, verschmutzen sie insgesamt die Luft weit stärker als der Luftverkehr, und an mancher küstennahen Hauptstrecke ist die Ruß-Schwefel-CO²-Belastung schlimmer als während der Rushhour in Großstädten. Die Weltgesundheitsorganisation will herausgefunden haben, dass Schiffsemissionen weltweit für bis zu 60.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich seien. Solche Schätzungen mögen nicht allzu belastbar sein, sie lassen aber das Gefahrenpotenzial ahnen, das noch vor dem blauesten Horizont schwebt.

Ökonomie versus Ökologie?

Wie in anderen Wirtschaftszweigen und Regionen auch, wäre für die maritime Industrie eigentlich viel Gutes machbar. Praxis und Regeln bleiben aber bislang weit hinter dem technisch und häufig sogar kaufmännisch Möglichen zurück. Doch selbst hier tut sich etwas: Die Ost- und Nordsee gehören zu den wenigen SECA-Gebieten, den Schwefelemissionsüberwachungsgebieten der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO. Dort gelten seit 2011 mit 1,0 Prozent Schwefelanteil strengere Grenzwerte für Schiffsbrennstoffe; auf den Weltmeeren gilt der Richtwert 4,5 Prozent.

Global schreibt die IMO, ein Ableger der Vereinten Nationen, bis 2020 die Reduzierung auf nur noch 0,5 Prozent vor. Zum Schutz der Gesundheit von Anwohnern und Beschäftigten sind in EU-Häfen sogar seit Kurzem lediglich Treibstoffe mit 0,1 Prozent vorgeschrieben - das ist allerdings immer noch hundertmal mehr als der europäische Grenzwert für Dieselkraftstoffe im Straßenverkehr erlaubt.

Abgasfilter im Frachtverkehr - die "Aida" verzichtet noch darauf

Allerdings wehren sich Reederverbände vehement gegen Verschärfungen, die von der EU bereits beschlossen wurden. Mehr Umweltschutz bringe höhere Kosten. Dadurch könnten Container auf Straße und Lkw verlagert werden, was die Umwelt weit mehr belasten würde als Schiffstransporte. Die Lobbymühlen in Brüssel und Berlin mahlen heftig.

Was dem einen zu viel, ist dem anderen noch zu wenig "grün", etwa der IG Metall. Die Gewerkschaft sorgt sich um ihre Schiffbauer: Die SECA-Regeln für Nord- und Ostsee sollten in allen Küstenmeeren Europas gelten! Von den notwendigen Investitionen erhofft sich auch der Internationale Metallgewerkschaftsbund IMB lukrative Aufträge für Werften und die Zulieferindustrie im Binnenland.

Eine schnelle Verbesserung etwa der Luftqualität an den Küsten wäre durch den Einsatz teureren Schiffsdiesels und von Filteranlagen möglich. Filter, wie sie in der Landindustrie längst üblich sind, setzt als erste deutsche Reederei Rörd Braren ein - nicht Aida oder Hapag-Lloyd/TUI. Neubauten könnten mit Brennstoffzellen, Gasantrieb und Zugdrachen von Skysails angetrieben werden; Rümpfe könnten überdies statt auf Geschwindigkeit auf Kraftstoffverbrauch hin optimiert werden. Ein Schatz von Möglichkeiten. Um diesen Schatz zu heben, bedarf es weiterer politischer Vorgaben - ein Fall für das Europaparlament.


Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und Journalist in Hamburg.