"Die armen Länder tragen die Hauptlast"

"Die armen Länder tragen die Hauptlast"
Afrika, Afghanistan, Irak, jetzt Syrien: Jedes Jahr fliehen hunderttausende Menschen aus ihrer Heimat, weil sie unter Armut, Krieg oder Verfolgung leiden. Zum internationalen "Tag des Flüchtlings" an diesem Montag macht das Hilfswerk UNHCR darauf aufmerksam, dass die allermeisten Armen von noch Ärmeren aufgenommen werden. Deutschland steht allerdings im Vergleich mit anderen Industrieländern relativ gut da.

Unter allen Industriestaaten beherbergt Deutschland die meisten Flüchtlinge. Wie aus einem am Montag in Genf veröffentlichten Bericht des Flüchtlingshilfswerks UNHCR hervorgeht, leben in der Bundesrepublik rund 594.000 Menschen, die sich vor Krieg, Gewalt und Unterdrückung in Sicherheit gebracht haben. Die USA weisen unter den reichen Ländern mit 264.000 die zweithöchste Zahl an Flüchtlingen auf, gefolgt von Großbritannien mit 238.000.

Das UN-Hilfswerk betonte zugleich, dass rund 80 Prozent der Flüchtlinge in Entwicklungsländern leben. "Die armen Länder tragen die Hauptlast", erklärte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres. Er kritisierte, dass viele Bürger in reichen Staaten eine "übertriebene Furcht" vor Flüchtlingsströmen hätten. 

Aus Afghanistan kommen die meisten Flüchtlinge

Das Land mit den meisten Flüchtlingen weltweit ist Pakistan, wo 1,9 Millionen Männer, Frauen und Kinder aus Krisengebieten untergekommen sind. Pakistan gibt im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft unter allen Ländern auch das meiste Geld für Flüchtlinge aus. In Iran und Syrien leben jeweils rund eine Million Flüchtlinge.

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Insgesamt gibt es den Angaben zufolge derzeit 44 Millionen Menschen, die aus ihrer Heimatregion fliehen mussten. Zum Vergleich: Bei Gründung des UNHCR vor 60 Jahren kümmerte sich die Organisation um 2,1 Millionen Europäer, die der Zweite Weltkrieg entwurzelt hatte. Der aktuelle UNHCR-Report deckt die jüngsten Flüchtlingsströme aus Libyen, Syrien und der Elfenbeinküste noch nicht ab.

Die meisten Flüchtlinge weltweit kommen aus Afghanistan: Rund drei Millionen Menschen vom Hindukusch brachten sich vor Krieg und Gewalt im Ausland in Sicherheit. Vor der Gewalt im Irak flohen den Angaben nach knapp 1,7 Millionen Menschen. Dem Bürgerkriegsland Somalia kehrten rund 770.000 Bewohner den Rücken.

Das UNHCR machte besonders auf das Schicksal von 7,2 Millionen Langzeitflüchtlingen aufmerksam. Diese Menschen leben seit mehr als fünf Jahren auf der Flucht. Zu ihnen zählen unter anderem Afghanen, die 1979 vor der einrückenden Sowjetarmee flohen und seitdem nicht mehr zurückgekehrt sind.

Syrien: Forderung nach Abschiebestopp

Zurzeit versuchen viele Menschen aus Syrien, ihr Land zu verlassen: Die Zahl der in die Türkei geflüchteten Syrer ist auf mehr als 10.500 gestiegen. Darunter seien rund 5300 Kinder, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntag. Die türkische Regierung stellte bisher umgerechnet rund 1,6 Millionen Euro bereit, um die vor der Gewalt des syrischen Regimes geflohenen Menschen in vier Zeltstädten zu versorgen.

Angesichts der Gewalt in Syrien fordern die Grünen die Bundesregierung auf, das Rückführungsabkommen mit Damaskus zu kündigen. "Wir können nicht im UN-Sicherheitsrat die Verurteilung des Regimes Assad fordern und zugleich Leute, die aus Syrien geflohen sind, zurückführen", sagte der Grünen-Abgeordnete Tom Koenigs der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Wir müssen dieses Abkommen nicht nur aussetzen, sondern auch kündigen", unterstrich er.

Der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen bezeichnete das Abkommen am Wochenende als "skandalös". Es müsse jetzt ein förmlicher sechsmonatiger Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge erlassen werden. "Tausende Menschen fliehen vor der Diktatur aus dem Land; seit Ausbruch der Proteste sind unzählige Menschen bereits ums Leben gekommen, die sich dem Regime entgegengestellt haben", erklärte Heinz Drucks vom Flüchtlingsrat-Vorstand.

Bund: Zurzeit keine Abschiebungen nach Syrien

Das Bundesinnenministerium wies die Forderungen zurück. "Die Frage einer Kündigung oder Aussetzung des deutsch-syrischen Rückführungsabkommens stellt sich derzeit nicht", heißt es laut "Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung" in einer Stellungnahme des Ministeriums. Das Abkommen verpflichte Deutschland nicht zu Abschiebungen und hindere die Bundesrepublik auch nicht daran, Abschiebungen auszusetzen. Derzeit würden keine Asylentscheidungen zu Flüchtlingen aus Syrien getroffen, alle Abschiebungen seien seit Ende April eingestellt worden.

Der Flüchtlingsrat NRW - ein Zusammenschluss von Hilfsorganisation und Initiativen - verwies auf ein Rundschreiben des Bundesinnenministeriums an die Ministerien der Länder. Darin sei lediglich davon die Rede, dass Abschiebungen nach Syrien "nicht ratsam" seien, hieß es. Dieses Schreiben sei für die Ausländerbehörden nicht verbindlich. Deshalb bestehe die Gefahr, dass einige Ausländerbehörden weiterhin Flüchtlinge in den Krisenstaat abschieben.

"Anstatt zu helfen, zieht Europa die Mauer immer höher"

Pro Asyl hat nach wie vor die Lage in Nordafrika im Blick: Die Hilfsorganisation fordert die Aufnahme von 11.000 Flüchtlingen aus Nordafrika in Europa. Pro Asyl appellierte an Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), Deutschland solle sich an der Evakuierung der im tunesisch-libyschen Grenzgebiet festsitzenden Flüchtlinge beteiligen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk suche seit Wochen vergebens nach Aufnahmeplätzen, erklärte Pro Asyl am Sonntag in Frankfurt.

Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, kritisierte zudem das Bemühen der italienischen Regierung, Flüchtlinge in das vom Bürgerkrieg zerrissene Libyen zurückzuschicken. Ebenso verurteilte er den Ausbau der europäischen Grenzagentur Frontex. "Anstatt zu helfen, zieht Europa mit unnachsichtiger Härte die Mauer um die Festung immer höher", kritisierte Burkhardt. Die diese Woche in Frankfurt am Main tagende Konferenz der deutschen Innenminister solle eine Initiative zur Rettung der Flüchtlinge starten. 

epd/dpa