"Schlagen uns nicht die Köpfe ein": Ethikrat auf Sinnsuche

"Schlagen uns nicht die Köpfe ein": Ethikrat auf Sinnsuche
Im malerischen Brandenburg hat die Ethikkommission der Kanzlerin über Risiken und Chancen eines raschen Atomausstiegs diskutiert. Die prominenten Köpfe versichern, Angela Merkel habe während der Klausur auf Schloss Liebenberg nicht angerufen.
21.04.2011
Von Tim Braune

Mit Kernspaltung, Restrisiko und Stromsparen musste sich Kaiser Wilhelm II. bei seinen Besuchen auf Schloss Liebenberg noch nicht herumschlagen. Er schätzte mehr die Vorzüge des pittoresken Gutes unweit von Berlin und schoss in den Wäldern des Fürsten Philipp zu Eulenberg gerne Wild. Aus Dankbarkeit stiftete er 1895 seinem Freund einen "Kaiserbrunnen".

Sprudelnde Ideen und tiefschürfende Debatten

Klaus Töpfer brauchte am Mittwoch auf seiner Pressekonferenz nur nach rechts aus dem Fenster zu schauen, um den "Kaiserbrunnen" zu sehen. Der frühere Umweltminister und oberste UN-Klimaschützer berichtete von sprudelnden Ideen und tiefschürfenden Debatten im erlauchten Kreis der von Kanzlerin Merkel ernannten Ethikkommission zur Atomenergie, die knapp drei Tage im Schloss beraten hatte.

Ob schon eine konkrete Jahreszahl für den Ausstieg auf dem Tisch lag, wollte Töpfer nicht verraten. Er deutete an, dass es auch eine Zeitspanne sein könnte. Ein fließender Übergang ins grüne Stromzeitalter könnte Kosten für Wirtschaft und Bürger verringern sowie die Akzeptanz der Energiewende erhöhen.

Die Kommission hätte sich keinen Gefallen getan, schon vor der großen öffentlichen Anhörung am 28. April in Berlin ein Datum anzudeuten. Töpfer & Co. wollen erst alle Argumente sammeln. Sie verstehen sich auch als Anwälte der Bürger und wollen aus Protesten wie dem gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 lernen. So wird die Diskussion mit Verbänden und Organisationen live im Fernsehen übertragen.

Auf dem Schloss waren die 17 Kommissionsmitglieder unter sich. Töpfer machte keinen Hehl daraus, dass es kontrovers zuging. Sein Co-Chef Matthias Kleiner bremste aber die Fantasie der Journalisten: "Wir schlagen uns nicht die Köpfe ein." Die Mehrheit der Kommission gilt zwar als atomkritisch. Doch es gibt auch Mahner wie BASF-Chef Jürgen Hambrecht, der beim Umbau der Stromversorgung der größten Volkswirtschaft Europas mehr Realismus erwartet.

"Merkels Muppet Show": Ein Fall von "German Angst"?

Doch bleibt die große Frage, ob die Kommission selbst in der Gesellschaft überhaupt anerkannt ist. Umwelt-Guru Töpfer, der als Minister einst im Neoprenanzug durch den Rhein schwamm, sagte, seit seiner Berufung habe er keinen Kontakt mehr zur Kanzlerin gehabt. Es gebe keine Einflussnahme von außen. Die Kommission denke, was sie wolle. Am Ende würden Regierung und Parlament entscheiden.

Im Internet und in Leserbriefen wird die Kommission dagegen teilweise als reine Alibi-Veranstaltung von Schwarz-Gelb abgefertigt. Von "Merkels Muppet Show" ist zu lesen, was sich auf das fortgeschrittene Alter vieler Mitglieder bezieht. Kritik provoziert auch, dass nur drei Frauen und keine Umweltschützer dabei sind - dafür aber drei prominente Vertreter der christlichen Kirchen.

Töpfer kontert, die Kommission sei kein Feigenblatt. Auch das Ausland beobachte sehr genau, ob Deutschland der gesellschaftlich gewollte Ausstieg ohne Verwerfungen gelingt - oder es sich mal wieder nur um einen typischen Fall von "German Angst" handelt.

In ein paar Jahren wird es der Kernenergie aber wohl so wie dem "Kaiserbrunnen" auf Schloss Liebenberg ergehen. Das Original wurde in der Nachkriegszeit von Schrotträubern dem Erdboden gleichgemacht.

dpa