EKD-Friedensbeauftragter: "Gaddafi lässt sich so nicht vertreiben"

EKD-Friedensbeauftragter: "Gaddafi lässt sich so nicht vertreiben"
"Die Bilder und Nachrichten aus Libyen sind erschreckend", sagt Renke Brahms, der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Hoffnung auf einen schnellen Wandel in dem Land sei durch die Gewalt, die Gaddafi gegen das eigene Volk ausübt, zerstört. Die Situation der Menschen, ob "Rebellen" oder Zivilisten, könne die Gemeinschaft der Völker nicht unberührt lassen. Brahms kann nachvollziehen, dass es den dringenden Wunsch nach einem Eingreifen gibt, um die Menschen zu schützen und einer Veränderung zum Erfolg zu verhelfen. Alle dazu nötigen Maßnahmen bedürften allerdings einer sorgfältigen Abwägung in einem grundsätzlichen schwierigen ethischen Dilemma.
20.03.2011
Die Fragen stellte Anne Kampf

Die USA, Großbritannien und Frankreich haben Ziele in Libyen angegriffen. Ist ein solcher Militäreinsatz in Ihren Augen dazu geeignet, Gaddafis Gewalt zu stoppen?

Renke Brahms: Ich fürchte, dass Gaddafis Gewalt so nicht zu stoppen ist. Ich befürchte eher eine Eskalation der Gewalt. Vielleicht führen die Bombardierungen der militärischen Anlagen kurzfristig dazu, das Flugverbot durchzusetzen und die Angriffe der libyschen Armee auf Bengasi und andere Städte aufzuhalten. Wenn ich die Meldungen richtig verstehe, setzt Gaddafi allerdings auf einen langen Krieg und zieht sich nicht zurück. Nach einem kurzen Einsatz sieht es zurzeit jedenfalls nicht aus. Die Entscheidung für ein Flugverbot und dessen Durchsetzung ist ein Schritt, der in der Vergangenheit oft weitere militärische Maßnahmen nach sich gezogen hat. Dazu gehört dann auch die Intervention mit Bodentruppen mit vielen Opfern bei allen Beteiligten. Und was ist eigentlich das Ziel? Gaddafi lässt sich so jedenfalls nicht vertreiben.

Gibt es für diese Angriffe überhaupt eine rechtliche Grundlage?

Brahms: Für ein militärisches Eingreifen gibt die Resolution 1973 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im völkerrechtlichen Sinn eine rechtliche Grundlage. In ihr steht der Schutz der Zivilbevölkerung an allererster Stelle. Mit der Einrichtung einer Flugverbotszone und allen dazu erforderlichen Maßnahmen geht die Resolution weite Schritte im militärischen Eingreifen. Schon nach zwei Tagen der militärischen Maßnahmen ist die Frage, ob sie alle durch die Resolution gedeckt sind. Die Zerstörung von Brücken wäre davon nicht gedeckt und die Gefahr ist groß, dass Zivilisten bei diesen Angriffen umkommen. (Foto links: epd-bild / Tristan Vankann)

Wie beurteilen Sie die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat?

Brahms: Ich verstehe die Kritik an der Enthaltung Deutschlands nicht. Nun wird gesagt, dass die Deutschen aus der Solidarität mit den Verbündeten ausgeschert sei. Was ist denn mit Herrn Sarkozy? Wenn jemand ausgeschert ist, dann ist doch wohl der französische Präsident, der ohne jegliche Absprachen mit den Partnern vorgeprescht ist, die Rebellen in Libyen offiziell anerkannt und militärisches Eingreifen gefordert hat.

Was wären Alternativen zum militärischen Eingreifen? Wie könnte die Internationale Gemeinschaft versuchen, Frieden in Libyen zu schaffen?

Brahms: Leider sind wieder einmal Alternativen zum militärischen Eingreifen nicht bedacht worden. Überhaupt ist es doch beschämend, wie lange Gaddafi vom Westen hofiert und das Öl gerne genommen wurde. Dazu kommt die Lieferung der Waffen, die jetzt gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wird. Ich habe auch nichts von Verhandlungen gehört. Diejenigen, die in den Jahren die besten Kontakte zu Gaddafi pflegten, hätten doch auch diejenigen sein müssen, die Gespräche führen. Am Ende wird es doch wohl ohne Verhandlungen nicht gehen – ob mit Gaddafi, seinem Sohn oder anderen.

Die Resolution selbst sieht übrigens ein Embargo für Libyen vor – das ist eine der möglichen Maßnahmen, die jetzt konsequent ergriffen werden muss. Einem militärischen Eingreifen wegen der unkalkulierbaren Folgen ablehnend gegenüber zu stehen, heißt nicht, untätig zu bleiben. So müssen wir den Flüchtlingen helfen, die über die Grenzen fliehen und Tunesien, Ägypten und andere Länder darin unterstützen. Wir brauchen Vermittler aus dem arabischen Raum, die Gespräche anbahnen und einen Waffenstillstand erreichen.

Welche Position hat die EKD generell: Ist es ethisch vertretbar, Gewalt durch Gewalt aufzuhalten?

Brahms: Der Bezugsrahmen der friedensethischen Aussagen der Evangelischen Kirche in Deutschland ist die Denkschrift "Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen" aus dem Jahr 2007. Sie ist von der Überzeugung geprägt, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll und es keinen gerechten Krieg gibt, sondern nur einen gerechten Frieden. Sie ist allerdings auch von der Überzeugung getragen, dass international gültiges Recht auch durchgesetzt werden muss. Dazu kann im Rahmen enger Kriterien im Ausnahmefall auch der Einsatz rechtserhaltender Gewalt gehören. Ich sehe diese Kriterien im Fall Libyens allerdings nicht erfüllt.

Außerdem gebe ich zu bedenken, dass wir in vielen Ländern eingreifen müssten, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht. In Bahrain werden friedliche Demonstranten gezielt erschossen, in Jemen werden Menschenrechte verletzt und ebenso in der Elfenbeinküste. Wann werden wir endlich klug und unterbinden Waffenlieferungen in solche Regionen und unterstützen ein gerechtes Wirtschaften wie zivile und gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien? Darin liegt die friedensethische Verpflichtung für mich als Christenmenschen.