Der Schriftsteller, der auch Ehren-Konditor wurde

Der Schriftsteller, der auch Ehren-Konditor wurde
Von Kritikern wird er ebenso gewürdigt wie von einem großen Lesepublikum geliebt. Seine Inspiration und Schaffenskraft sind bis heute nicht versiegt. Es sei aber ein großer Irrtum, dass ihm im Alter das Schreiben leichter falle. Siegfried Lenz, der große deutsche Erzähler, wird am Donnerstag 85 Jahre alt.
15.03.2011
Von Thomas Morell

Die Liste seiner Romane und Erzählungen ist lang, die Zahl seiner Ehrungen fast ebenso. Heute lebt Lenz in Hamburg, doch geboren wurde er in Lyck, einer kleinen Stadt im masurischen Ostpreußen. Zu erspüren ist die Atmosphäre dieser Landschaft in seinem Erzählungsband "So zärtlich war Suleyken" (1955), mit 1,6 Millionen Auflage eines seiner erfolgreichsten Bücher. Als 17-Jähriger ging er 1943 zur Kriegsmarine, desertierte 1945 und kam als Gefangener der Engländer nach Schleswig-Holstein.

Vor 60 Jahren, im Jahr 1951, erschien sein erstes Werk "Es waren Habichte in der Luft". Er hatte damals als Redakteur der Tageszeitung "Die Welt" den täglichen Fortsetzungsroman zu redigieren. Davon inspiriert versuchte er es mit einem eigenen Roman, der zuerst in der "Welt" erschien. Darin versucht ein Lehrer, nach einem Umsturz im russisch-finnischen Grenzgebiet seinen Verfolgern zu entgehen, wird jedoch von den Dorfbewohnern enttarnt.

"Deutschstunde": Maler Emil Nolde in der NS-Zeit

International bekannt wurde Lenz durch den Roman "Deutschstunde" (1968), der während der NS-Zeit in einem nordfriesischen Dorf spielt. Der diensteifrige Polizist Jens Ole Jepsen setzt das Malverbot gegen seinen Freund Max Ludwig Nansen durch, hinter dessen Figur sich der Expressionist Emil Nolde verbirgt. 1,4 Millionen Bücher wurden allein in Deutschland verkauft und der Stoff verfilmt. Übersetzungen gibt es ins Chinesische, Japanische und Koreanische.

Unter dem Motto "Eine Stadt liest ein Buch" startete die Hamburger Kulturbehörde 2002 eine stadtweite Leseaktion mit Lenz' Roman "Der Mann im Strom" (1957). Darin fälscht ein Taucher sein wahres Alter, damit er weiter im Hamburger Hafen nach Wracks suchen darf. Zwei Mal wurde die Geschichte bereits verfilmt, mit Hans Albers (1958) und Jan Fedder (2006) in der Hauptrolle. In der Verfilmung von "Das Feuerschiff" (1960) spielte Lenz 2006 sogar selbst mit - als Angler in einer Nebenrolle.

Die Gesamtauflage seiner Werke wird auf rund 25 Millionen Exemplare geschätzt. Auf der Liste der Ehrungen finden sich der Thomas-Mann-Preis 1984, der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1988 und zahlreiche Ehrendoktorwürden. Ausgezeichnet wurde er aber auch als "Ehren-Schleusenwärter" der Alster-Schleusenwärter. Als er im Fernsehen einmal gefragt wurde, welche Ehrung er vermisse, nannte er den "Ehren-Konditor der dänischen Konditoren-Gesellschaft". Die gewünschte Auszeichnung ließ nicht lange auf sich warten.

"Schweigeminute": Liebe zwischen Lehrerin und Schülerin

Unerwartet erfolgreich war mit "Schweigeminute" eine seiner jüngsten Erzählungen. Für Lenz eher ungewöhnlich ist es eine Liebesgeschichte zwischen einer Lehrerin und ihrem Schüler. Während der Entstehungszeit starb 2006 Lenz' Ehefrau Liselotte, mit der er 56 Jahre lang verheiratet gewesen war. Die Malerin war ihm nicht nur erste Kritikerin, sondern tippte auch seine Manuskripte ab. Bis heute bringt Lenz handschriftlich und ohne größere Korrekturen seine Geschichten zu Papier. Die qualmende Pfeife darf dabei nicht fehlen.

Im Juni vergangenen Jahres heiratete Lenz seine langjährige Hamburger Nachbarin Ulla Reimer (74). Seitdem verbringt das deutsch-dänische Ehepaar die Zeit in Hamburg und auf der dänischen Ostseeinsel Fünen. Lenz' bislang letzte Erzählung ist die "Landesbühne": Eine Gruppe von Gefängnisinsassen besetzt verwegen den Bus der Landesbühne und belebt damit die Kultur einer schleswig-holsteinischen Kleinstadt - eine schelmische Wertschätzung der Kraft von Kultur und Theater.

Zum Geburtstag stehen drei Lenz-Verfilmungen und ein Porträt im Ersten, bei ARTE und im NDR-Fernsehen auf dem Programm. Eine Matinee ihm zu Ehren wird am 20. März (11 Uhr) live im NDR-Fernsehen übertragen. Als Ehrengast hat sich Bundespräsident Christian Wulff angesagt. Lenz will aus seinem neuen Roman mit dem Arbeitstitel "Die Maske" lesen, der im Herbst erscheinen soll. Weitere Gäste sind Altkanzler Helmut Schmidt und der Schriftsteller Günter Grass.

Für seinen Tod hat Lenz eine heitere Vision, der ein Besuch im Krankenhaus zugrunde liegt. "Herr Lenz, was für eine Ehre und Freude für mich, Sie behandeln zu dürfen", habe der Arzt zu ihm gesagt. Lenz: "Ich dachte mir, so ähnlich wird der Tod sprechen, wenn er zu mir kommt."

epd