Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab am Montagnachmittag bekannt, dass die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke für zunächst drei Monate ausgesetzt wird. Auf die Frage, ob die Reaktoren, die ohne die Verlängerung bereits vom Netz wären, abgeschaltet werden, sagte sie: "Das wäre die Konsequenz. Sonst wäre es ja kein Moratorium." Zum Zeitpunkt der Abschaltung sagte sie: "Wenn wir mit den Kraftwerksbetreibern gesprochen haben." Neckarwestheim 1 und Biblis A gehören zu den ältesten deutschen AKWs. Sie wären ohne den Verlängerungsbeschluss von Schwarz-Gelb jetzt bereits abgeschaltet.
Biblis A hat Reststrommengen
Bundesumweltminister Norbert Röttgen machte am Montagabend in Berlin deutlich, dass Neckarwestheim 1 vom Netz genommen werden muss. Der Reaktor ist seit 35 Jahren in Betrieb. Biblis A verfügt noch über Reststrommengen, die eine Laufzeit bis zum Sommer ermöglichen. Der RWE-Konzern kündigte als Betreiber des Kraftwerks (Foto unten: dpa) an, sich der Entscheidung der Bundesregierung beugen zu wollen. Es gelte der "Primat der Politik", sagte ein Sprecher in Essen. Im Mai stehe für Biblis A noch eine geplante Revision an. Die dann noch vorhandene Reststrommenge könnte dann nach der Revision produziert werden.
Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) will den Reaktor Isar/Ohu 1 bei Landshut abschalten. Das kündigte er nach Medieninformationen bei einer CSU-Telefonkonferenz an. Er erhielt dafür Beifall der Teilnehmer. Betreiber des niederbayerischen Kraftwerks ist der Konzern E.ON. Der Reaktor Isar 1 hätte nach dem rot-grünen Atomkonsens von 2001 erst im Jahr 2012 stillgelegt werden müssen. Durch die Laufzeitverlängerung wäre die Frist bis 2019 gelaufen.
Kirche verlangt Ausstieg
EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider sagte: "Eine Technik wie Atomkraft, die hundertprozentige Sicherheit erfordert, entspricht nicht dem Maß des Menschen." Die Menschen müssten im Umgang mit ihren Möglichkeiten und mit Technologie lernen, dass es Dimensionen gebe, "die sie vorsichtig handhaben oder von denen sie am besten ganz die Finger lassen", so der rheinische Präses in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Montag). Es dürfe in Deutschland keine Verlängerung der Laufzeiten geben. Schließlich gebe es abgesehen von dem technischen Risiko auch für die Lagerung von Atommüll noch keine Lösung.
Nach den Worten Schneiders beweisen zuverlässige Untersuchungen, dass der Ausstieg aus der Atomkraft machbar ist: "Falls dennoch eine Brückentechnologie zum Übergang ins regenerative Zeitalter vonnöten ist, dann gewiss nicht die Kernkraft." Die Katastrophe in Japan zeige, "dass wir auch mit einem Rest an Risiko nicht leben können", betonte der Ratsvorsitzende.
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Westerwelle sprach sich für die Einsetzung einer neuen Expertengruppe aus, die die Sicherheitsstandards aller AKWs in Deutschland überprüfen soll. Entscheidend für das weitere Vorgehen seien dann die Ergebnisse dieser unabhängigen Expertenkommission. "Wir brauchen eine neue Risikoanalyse", sagte der FDP-Chef. Er bezog das vor allem auf die Überprüfung der Kühlsysteme der Atomkraftwerke, die in Japan offensichtlich teilweise versagt haben. Die Regierung war angesichts der Atomkatastrophe in Japan unter Druck geraten, da am 27. März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt wird.
Westerwelle und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sprachen sich auch für einen rascheren Übergang von der Atomkraft zu regenerativen Energiequellen aus, als dies bisher von der Bundesregierung geplant war. "Es hat sich eine neue Lage ergeben", sagte Brüderle dazu. Konkret verlangte er einen schnelleren Ausbau der Stromnetze und eine rasche Weiterentwicklung der CCS-Technologie. Damit soll der für die Umwelt sehr schädliche CO2-Ausstoß, der bei der Kohle-Verbrennung entsteht, unter die Erde verpresst werden.
Schweiz setzt Bewilligungspläne aus
Die Schweizer Regierung setzt vor dem Hintergrund der Atomunfälle in Japan die Pläne zur Bewilligung neuer Atomkraftwerke vorerst aus. Das erklärte Energieministerin Doris Leuthard am Montag in Bern. Bei den bestehenden fünf Kernkraftwerken leite die Behörde für Nuklearsicherheit ENSI eine vorzeitige Sicherheitsüberprüfung ein, teilte ihr Ministerium weiter mit. "Die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung haben oberste Priorität", erklärte Leuthard. Die Ministerin beauftragte das ENSI, die Ursachen des Unfalls in Japan zu analysieren und daraus gegebenenfalls neue oder schärfere Sicherheitsstandards abzuleiten. Dies gelte besonders für die Fragen zur Erdbebensicherheit und Kühlung.
Die fünf Atomkraftwerke in der Schweiz wurden in den 1970er Jahren gebaut und sollen zum Teil ersetzt werden. Die endgültige Entscheidung soll bei einer Volksabstimmung voraussichtlich 2013 getroffen werden. Eine Mehrheit der Bürger im Kanton Bern hatte sich im Februar bei einer Abstimmung für den Bau eines neuen Kernkraftwerks ausgesprochen. Diese Stimmung könnte sich nach jüngsten Medienberichten jetzt drehen. Selbst die Kraftwerksbetreiber wollen die japanischen Erfahrungen nun besonders streng auswerten.
In der Schweiz kommt der Strom nach Angaben der Energiewirtschaft zu rund 55 Prozent aus Wasserkraftwerken und zu rund 40 Prozent aus den Kernkraftwerken Beznau-1, Beznau-2, Gösgen, Leibstadt und Mühleberg, die zum Teil nahe der deutschen Grenze liegen. Die übrigen fünf Prozent stammen zum größten Teil aus Abfallverbrennungsanlagen. Die Ökoenergien Wind und Sonne liefern weniger als 0,1 Prozent des Stroms.