Die Katastrophe in Japan nimmt immer dramatischere Dimensionen an: Nach einem heftigen Nachbeben und einer neuen Tsunami-Warnung erschütterte am Montag eine zweite Explosion in einem Reaktor das Unglücks-Atomkraftwerk in Fukushima. Nun droht eine dritte Reaktorexplosion
Kühlwasser in Fukushima Reaktor 2 sinkt
Ein dritter Reaktor des japanischen Atomkraftwerks Fukushima verliert nach Mitteilung des Betreibers an Kühlkapazität. Dies könne zu einer Überhitzung und damit zu einer weiteren Explosion führen, sagte ein Sprecher der Betreiberfirma Tokyo Electric Power am Montag. Arbeiter seien mit den Vorbereitungen beschäftigt, Meerwasser in den Reaktor 2 des Kraftwerks Fukushima zuzuführen, um diesen zu kühlen. Das Atomkraftwerk verfügt insgesamt über sechs Reaktoren.
Die zweite Explosion im Atomkraftwerk Fukushima Eins hat das Gebäudes des 3. Reaktors zerstört. Das teilten die japanischen Behörden der Internationalen Atomenergieorganisation IAEA am Montagmorgen mit. Der innerste Sicherheitsbehälter sei aber durch die Wasserstoffexplosion nicht beschädigt worden. Auch der Kontrollraum des dritten Reaktors in Fukushima sei noch benutzbar. Die Betreiberfirma Tepco informierte die Regierung der Präfektur Fukushima über die Lage.
Schweres Nachbeben
Das Nachbeben der Stärke 6,2 erschütterte um kurz nach 10 Uhr Ortszeit (2 Uhr deutscher Zeit) auch die japanische Hauptstadt Tokio. Das Epizentrum lag nach Angaben der US-Erdbebenbehörde USGS 140 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt - also in Richtung der Atomanlagen in Fukushima. Eine Tsunami-Warnung wurde später wieder aufgehoben.
Von den Unglücksmeilern in Fukushima meldete der Sender NHK wenig später Explosionsgeräusche in der Nähe des Reaktors Nummer 3. Wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete, war es eine Wasserstoffexplosion. Eine solche Detonation hatte es bereits am Samstag im Reaktorblock 1 gegeben. Medien berichteten, der in östliche Richtung wehende Wind trage eine mögliche Wolke aus radioaktiver Strahlung hinaus auf den Pazifik tragen und nicht ins Landesinnere.
Die Katastrophe hatte am Freitag ihren Lauf genommen: Ein Beben mit der Stärke 9,0 beschädigte die Kühlsysteme und löste eine Überhitzung der Brennstäbe aus. Der anschließende Tsunami riss die Dieselmotoren fort, die eigentlich als Sicherheitssystem die Kühlung übernehmen sollten. Ein Betrieb mit Notbatterien reichte anschließend nicht aus, um Schlimmeres abzuwenden. Nach wie vor gibt es auch nach der neuen Explosion widersprüchliche Angaben über den Zustand der Reaktoren und ob Kernschmelzen eingesetzt haben.
TV-Sender zeigten am Montag Rauch über den Reaktorgebäuden. Elf Mitarbeiter wurden verletzt, teilte der Betreiber Tepco mit. Helfer hatten zunächst nach sieben Vermissten suchen müssen. Techniker in Fukushima arbeiteten seit Freitag daran, Druck abzulassen und eine Kernschmelze zu verhindern. Nach dem Ausfall der Kühlsysteme war die Temperatur der Brennstäbe außer Kontrolle geraten. Bereits vor der zweiten Explosion hatte es schlimme Nachrichten von den Anlagen gegeben: Der Betreiber Tepco meldete der Regierung abermals ein Überschreiten der erlaubten Höchstwerte, wie Kyodo berichtete.
Schon am Sonntag waren in dem AKW Spitzenwerte von mehr als 1.500 Mikrosievert gemessen worden - mehr als das Doppelte der Obergrenze 500 Mikrosievert. Die erneuten Messungen vom Montag ergaben Werte um die 650 und 750 Mikrosievert. Ein Sprecher des Betreibers Tepco sagte aber am Montag, die Messwerte hätten nach der neuen Explosion klar unter der zulässigen Grenze gelegen: nämlich bei nur 20 Mikrosievert.
Regierung: Weitere Explosion unwahrscheinlich
Ein Regierungssprecher berichtete unter Berufung auf Angaben der Betreiberfirma, dass die Stahlhülle von Reaktor 3 bei der Explosion unbeschädigt geblieben sei - hätte sie ein Leck, könnte eine Wolke mit radioaktiver Strahlung austreten. Es sei unwahrscheinlich, dass es noch eine Explosion gebe. Die Regierung rief die Menschen auf, im Umkreis von 20 Kilometern um das Unglückskraftwerk in ihren Häusern zu bleiben. Trotz einer Evakuierungsanordnung sollen sich noch etwa 600 Menschen in dem Gebiet befinden.
Das Nachbeben war auch in der Metropole Tokio kräftig zu spüren. Eine Reporterin der Nachrichtenagentur dpa berichtete von heftig wackelnden Gebäuden am internationalen Flughafen Tokio-Narita. Reisende seien erschrocken aufgesprungen. Mitarbeiter der Airlines riefen die Anwesenden auf, sich auf den Boden zu hocken. Auch nach dem Beben wurde das Abfertigen von Flugzeugen vorerst gestoppt.
Nach Berichten der Agentur Kyodo wurden noch vor dem neuen Beben in der Präfektur Miyagi im Nordosten des Landes Hunderte weitere Leichen entdeckt. Die genaue Zahl der Toten war zunächst unklar; die Polizei sprach von 1.000 Leichen in Onagawa in der Katastrophenregion Miyagi. Kyodo hatte davor von etwa 2.000 Leichen berichtet. Es wird befürchtet, dass durch das Erdbeben und den Tsunami mehr als 10.000 Menschen getötet wurden. Mit Stand vom Montagfrüh deutscher Zeit hatten die Behörden 1.627 Opfer identifiziert. Demnach gibt 1.720 Vermisste.
Derweil legten die Botschaften mehrerer EU-Staaten ihren Bürgern nahe, Japan zu verlassen. So forderte die deutsche Vertretung die Bundesbürger in dem Krisengebiet und im Großraum Tokio/Yokohama auf, zu prüfen, "ob ihre Anwesenheit in Japan derzeit erforderlich ist, und, wenn dies nicht der Fall sein sollte, ihre Ausreise aus dem Land in Erwägung zu ziehen". Dies gelte insbesondere für Familien. Die französische Botschaft in Japan gab einen ähnlichen Hinweis und verwies auf eine mögliche Explosion eines Reaktors in Fukushima, mit der eine radioaktive Wolke binnen Stunden Tokio erreichen könnte.
Japanischer Aktienmarkt bricht ein
Am ersten Handelstag nach dem verheerenden Erdbeben erlitten die japanischen Aktienmärkte am Montag dramatische Verluste. Der Nikkei-Index für die 225 führenden Werte stürzte unter die psychologisch wichtige 10.000-Punkte-Marke. Nach Meldungen über die neue Explosion fiel der Nikkei weiter um rund 6 Prozent.
Die japanische Zentralbank kündigte Finanzspritzen in Rekordhöhe an, um die Finanzmärkte nach dem Beben zu beruhigen. Laut Kyodo pumpt die "Bank of Japan" 15 Billionen Yen (etwa 130 Milliarden Euro) in den Geldmarkt.