Das Trauma bleibt: Kriegsgewalt lebt weiter

Das Trauma bleibt: Kriegsgewalt lebt weiter
Erlebte und erfahrene Gewalt prägen sich oft ein Leben lang in Körper und Seele ein. Bewusst oder häufig unbewusst erfolgt auch eine Verarbeitung damit, die sich dann aber auf unterschiedlichste Art und Weise ausdrückt. Handelt es sich um Kriegsgewalt, ist die Gefühlswelt meist noch umso aufgewühlter. Inzwischen steht fest: Traumatisierungen reichen in der Familie weiter bis in die nächste oder gar übernächste Generation. Damit beschäftigte sich jetzt in Kiel eine Tagung unter dem Titel "Immer wieder Krieg – Wiederkehr des Schreckens", veranstaltet von den beiden Vereinen kriegskind.de und Kriegskinder für den Frieden.
06.03.2011
Von Dieter Hanisch

Der frühere Regisseur Michael Pfleghar war in den 70er Jahren seiner Zeit offenbar weit voraus: Mit der von 1973 bis 1979 ausgestrahlten Serie Klimbim im ARD-Fernsehen leistete er Comedy-Pionierarbeit. Eine markante Figur war dabei ein von Wichart von Roell gespielter Großvater, für den die Zeit stehen geblieben schien und der zu jeder passenden Gelegenheit den Kommentar "Wie damals in den Ardennen" von sich gab. Was seinerzeit - und sind wir ehrlich: heute wohl immer noch - für Lacheffekte sorgte, ist eigentlich nur ein Zeichen, wie kriegerische Gewalt auch lange nach dem eigentlichen Ereignis fortlebt und inzwischen, damals kannte das Wort noch niemand, auch bei an Demenz erkrankten Patienten der Seniorengeneration zu beobachten ist.

[listbox:title=Mehr im Netz[Verein kriegskind.de##Kriegskinder für den Frieden e.V.]]

Dementsprechend trafen sich Pflegekräfte, Therapeuten, Mediziner, Psychologen, Verhaltensforscher, Sozialberater aus der Flüchtlingsarbeit, kirchliche Mitarbeiter, Historiker, Politologen, Friedensaktivisten und nicht zuletzt aus privater Betroffenheit Interessierte zu Vorträgen und einem Gedankenaustausch rund um die Frage von kriegerischen Traumatisierungen. Erst der aktuelle Afghanistan-Einsatz hat das Thema hierzulande wieder präsenter auf die Agenda gehoben, das US-Amerikaner schon länger beschäftigt, Jahrzehnte nach Korea-, Vietnam- und Golfkrieg.

Ganz Afghanistan hat Grund zur Wehklage

Dafür, dass die globalen Bundeswehrmissionen inzwischen zur Einsatzdoktrin gehören, spielen Leid und Traumata für die Bevölkerung vor Ort in der medialen Darstellung meist nur eine untergeordnete Rolle. Das ist auch in Afghanistan nicht anders. Seit 33 Jahren ist das Land von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt und zerrissen, egal ob dort Taliban, Mudschaheddin, intervenierende russische Streitkräfte oder jetzt auch westliche Truppen unter Waffen stehen. Ein ganzes Land hätte Grund zur Wehklage, weil es unter der Depression der Gewaltspirale geknebelt ist. Spuren davon lassen sich eigentlich in jeder Familie finden.

"Hier hat eine ganze Bevölkerung nur das Kriegshandwerk vor Augen", resümiert die für verschiedene internationale Hilfsorganisationen seit einigen Jahren in dem Land tätige Psychotherapeutin Inge Missmahl. Für sie ist klar: Die Hände sollten auf diesem Gebiet nicht in den Schoß gelegt werden. Ihr Urteil rührt dabei auch aus eigenen Erfahrungen in Sri Lanka und Haiti: "Rechtzeitige psychosoziale Hilfe hilft, chronische Langzeitfolgen traumatischen Erlebens zu hindern oder zu verringern." Der einflussreiche Dreiklang aus Religion, Tradition und Kultur, die das Gesellschaftsbild prägen, verstärkt am Hindukusch sogar noch traumatische Befindlichkeiten.

Eigentlich wollen die Menschen Frieden

Von Langzeitfolgen und Zerrissenheit berichtete in Kiel auch die Politologin Johanna Fleischhauer, die nunmehr seit Jahrzehnten ihre Aufmerksamkeit der Entwicklung in der Region von Eritrea am Horn von Afrika widmet. Sie verfolgte den 30-jährigen Unabhängigkeitskrieg des kleinen Landes mit Äthiopien und dann nach einer kurzen Friedensperiode auch noch den dreijährigen Grenzkrieg zwischen beiden Ländern von 1998 bis 2000. Die politischen Verhältnisse dort sind bis heute fragil, was auch auf die gesamte Nachbarregion mit Blick auf Somalia, Sudan oder Jemen zutrifft.

Der Krieg hat dafür gesorgt, dass heute rund eine Million Eritreaner auf dem Globus "von Saudi-Arabien bis Kanada" verteilt sind, so Fleischhauer über das tragische Erbe. In Eritrea hat man 90.000 Kriegswaisen gezählt, in 40 Prozent aller Haushalte findet man Kriegswitwen. Der hohe Blutzoll hat die Militarisierung des Landes nicht aufgehalten. Dem Vernehmen nach sollen bei gerade mal fünf Millionen Einwohnern schon wieder 100.000 Soldaten unter Waffen stehen.

Dabei lechzt das Volk nach Frieden, wie Fleischhauer aus Gesprächen und Befragungen mit heute jungen Erwachsenen weiß. Sie suchte den Kontakt zu den damaligen Kindern, die in Bergregionen selbst dem kriegerischen Bombenhagel ausgesetzt waren.

Neben der Trauma-Aufarbeitung über den deutschen Horizont hinaus brachte der Psychologe und Psychoanalytiker Michael Froese aus Potsdam ganz andere "Grenzerfahrungen" zur Sprache. Seine Schilderungen über komplexe ostdeutsche Biografien kommen auch jetzt erst durch zunehmende Sensibilisierung im Bereich der Psychohistorie verstärkt ans Tageslicht. Auf eine Kriegstraumatisierung unter NS-Herrschaft schloss sich in vielen Familien der DDR ein unmittelbar folgender traumatischer Schock durch das unterdrückende und mit Strenge geführte sozialistische Regime an, ehe dann noch einmal die Wiedervereinigung Deutschlands mit einer neuerlichen Wende für manch eine Seele zur endgültigen Überforderung wurde.

Ein generationenübergreifendes Problem

Hirnforscher haben sich seit geraumer Zeit wissenschaftlich mit Traumatisierungen beschäftigt, die Einblicke bis tief in die Molekularbiologie erlauben, führte Hans Strenge vom Institut für medizinische Psychologie in Kiel aus. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York hat die US-Psychologin Rachel Yehuda herausgefunden, dass sich Stressfaktoren bei damals schwangeren Frauen bis in die Embryo-Entwicklung im Mutterbauch auswirken.

Bereits bei psychoanalytischen Studien von Holocaust-Überlebenden hatte sie festgestellt, dass sich bei deren Kindern, die die gelebte Hölle im Nationalsozialismus gar nicht direkt miterlebt hatten, ebenfalls Traumata und Angstpsychosen eingestellt hatten. Der niederländische Psychoanalytiker Hans Keilson, als Jude im Nationalsozialismus selbst verfolgt, sprach bisher bereits davon, dass Traumatisierung ein lebenslanger Prozess sei. Die aktuellen Studien belegen, dass posttraumatische Belastungsstörungen transgenerational, also generationenübergreifend wirken - ein Problem also, das die Gesellschaft mit jedem Kriegseinsatz länger beschäftigen wird.


Dieter Hanisch ist freier Journalist in Kiel.