Haltung im Journalismus ist Ethik in Ich-Form

Haltung im Journalismus ist Ethik in Ich-Form
"Brauchen Journalisten eine Haltung?" lautete die Preisfrage der Akademie für Publizistik. Zornige Antworten sind eingegangen, vergrübelte, witzige; sogar eine Zeichnung war dabei. Die Jury hat nun entschieden und festgestellt: Drei freie Journalisten und Journalistinnen haben die anregendsten und überzeugendsten Antworten gegeben. Evangelisch.de veröffentlicht die Laudatio von Prof. Bernhard Pörksen in leicht gekürzter Form.
25.02.2011
Von Bernhard Pörksen

Im Jahre 2006 ist ein kleines, äußerst boshaftes Buch des amerikanischen Philosophen Harry Frankfurt erschienen – das Dokument eines kalten Wutausbruchs. Es heißt "Bullshit". Worum geht es? Harry Frankfurt meint mit Bullshit eine Kultur bzw. Unkultur des beliebigen Geredes um der Effekte willen. Ohne Erdung, ohne Relevanz, ohne Haltung. Sein Buch liest sich lustig – und doch bemerkt man, wenn man die Stimmung dieses kleinen Textes erfasst: Hier wird gerade auch über Ethik und Haltung geschrieben, über Wahrheitsliebe, über die Abscheu vor dem Bluff und den Ekel vor der bloßen Staffage, der Inszenierung, der Show.

Harry Frankfurt erweist sich als ein Meister des Indirekten, als ein Prediger, der weiß, dass Predigten nicht funktionieren, als ein Moralist, der verstanden hat, dass offene Moralisierung nicht klappt. Weil sie Abwehr erzeugt. Weil sie mit verdeckter Abwertung arbeitet. Weil sie in einer verborgenen und verdrucksten Weise unverschämt ist, denn die Prämisse des Moralisten lautet stets: Ich weiß, dass ich weiß.

Die heimliche Preisfrage: Wie entkommt man dem "Bullshit"?

Die Hamburger Akademie für Publizistik hat die Preisfrage formuliert: "Brauchen Journalisten eine Haltung?" Und wir sind hier zusammen gekommen, um die drei Preisträger Katrin Weber-Klüver, Axel Reimann und Merle Schmalenbach zu ehren. Das ist die eine, die inhaltliche Seite dieser Veranstaltung. Und doch stößt man unmittelbar noch auf eine andere Dimension, die nicht so sehr die Inhalte in den Vordergrund rückt, sondern die Frage der Form. Es gibt, so behaupte ich, eine offizielle Preisfrage. Und es existiert eine heimliche Preisfrage, die bei der Entscheidung der Jury für eben diese drei Autoren eine Rolle gespielt haben muss.

[listbox:title=Die Preisverleihung[Am 24. Februar 2011 wurden die Preise an Katrin Weber-Klüver (Berlin), Axel Reimann (Hamburg) und Merle Schmalenbach (Berlin) in der Akademie für Publizistik vergeben. Die Laudatio hielt Professor Bernhard Pörksen, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medienwissenschaft in Tübingen.]]

Diese heimliche Preisfrage lautet: Wie entkommt man der Predigt, wenn die Kanzel doch schon bereitgestellt wurde? Wie lässt sich noch über journalistische Moral sprechen? Wie kann man über Haltung schreiben, ohne sofort Bullshit zu produzieren? Hier eine Antwort gefunden zu haben – das zeichnet die Texte von Katrin Weber-Klüver, Axel Reimann und Merle Schmalenbach aus.

So hat Katrin Weber-Klüver, seit 1992 als freie Journalistin tätig, einen stillen, melancholischen Essay verfasst – einen Essay in Ich-Form. Er handelt nicht von den Großtaten oder den Untaten anderer, sondern von eigenen Erfahrungen. Dem Briefing der Redaktionen, die ihre fertige Geschichte schon im Kopf haben. Es geht darum, was man macht, wenn die Realität leider nicht mit dem Briefing kooperiert und die Recherche das vorgefasste Schema zerstört. Haltung, so zeigt sich hier, ist kein großes Programm, eher ein Bemühen um den genauen, den unvoreingenommenen Blick, der ohne vorgefertigte Bilder auskommt.

Fehler nicht auf die Umstände abwälzen

Der Text von Axel Reimann, auch er freier Journalist, Gründungsmitglied von "freizeichen", beginnt mit einem kleinen Wutausbruch, der an Harry Frankfurt erinnert: "Brauchen Journalisten eine Haltung? Eine selten blödsinnige Frage. Danke! Ihr wollt jetzt ein wohl begründetes Ja hören? Rauskommen soll irgendwas zwischen engagiert und kritisch, neugierig und unabhängig, auch ein bisschen mutig darf es wahrscheinlich sein. Am besten noch mit einer Anekdote, wie sich der Journalist – gegen alle Widerstände – bewährt. Mit seiner Haltung. Ob's wahr ist, wurscht – Hauptsache, die Sätze sind kurz, klingen idealistisch und lassen sich ohne große Ermüdung lesen."

Und dann zeigt er, in welchen Dimensionen das Dauerbombardement durch die PR-Agenturen den journalistischen Alltag regiert. Er macht klar, wie empathiefrei und rücksichtslos Großverlage inzwischen mit freien Journalisten umspringen. Er demonstriert die Gefährdungen, denen gerade freie Haltungsjournalisten ausgesetzt sind – und illustriert doch gleichwohl: Haltung heißt auch und zuerst, über eigene Fehler zu sprechen. Man kann die Haltungsfrage nicht auf die Umstände abwälzen, auch wenn das angenehmer wäre für das eigene Selbstbild.

Haltung ist Ethik in Ich-Form

Merle Schmalenbach, Redakteurin bei der Nachrichtenagentur dapd, hat die offizielle und die heimliche Preisfrage der Akademie für Publizistik durch eine originelle Form beantwortet. Bei ihrem Text handelt es sich um ein kurzes Theaterstück – eine Anspielung auf den Akt des Seelenverkaufs bei dem guten alten Goethe und eine Spitze gegen eine totalitär gewordene Vermarktungsideologie, in der man für den Erfolg eben auch Ethik braucht und in der Haltungsbewusstsein Teil des smarten Selbstmarketings geworden ist. Sie reagiert darauf, dass Haltung zu einem Modebegriff zu verkommen droht, den die Redenschreiber und die professionellen Bullshitter längst klauen wollen. Und auch ihr Text verweigert sich der gefälligen und der berechenbaren Präsentation, die viele Debatten über die Moral der Medien so wirkungslos und langweilig macht.

Natürlich, wir alle hoffen, dass ein unabhängiger, ein unerschrocken recherchierender Journalismus bestehen bleibt und sein demokratietheoretisch begründbares Alleinstellungsmerkmal zu verteidigen vermag, nämlich: Fremdbeobachtung als Selbstbeobachtung zu betreiben, tatsächlich Skandalöses effektiv zu skandalisieren, Netzwerke illegitimer Macht wirksam zu stören, das große Geschäft mit der Inszenierung durchschaubar zu machen, kurzum: aufzuklären. Das ist doch klar.

Aber diese Rhetorik ist abgegriffen, das merkt man. Wie man ohne zu moralisieren eben doch moralische Fragen traktiert, dies haben Katrin Weber-Klüver, Axel Reimann und Merle Schmalenbach demonstriert. Und sie haben gezeigt, dass die Verteidigung des Haltungsjournalismus eine neue, eine weniger glatte, weniger gefällige Sprache braucht. Haltung, so wird einem bei der Lektüre deutlich, ist Ethik in Ich-Form. Wer sie erzwingen will, ruiniert das gesamte Unterfangen. Verordnen lässt sie sich nicht, aber anregen schon. Und das ist, alles in allem, eine gute Nachricht.


Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Zuletzt veröffentlichte er – gemeinsam mit Wolfgang Krischke – das Buch "Die Casting-Gesellschaft."