Wenders: "Tänzer mit jeder Geste erobern"

Wenders: "Tänzer mit jeder Geste erobern"
Zwanzig Jahre lang hat der deutsche Regisseur Wim Wenders ("Der Himmel über Berlin", "Buena Vista Social Club") an einem Film über die Arbeit der 2009 verstorbenen Bochumer Choreographin Pina Bausch nachgedacht. Erst mit dem Fortschritt von 3-D, so Wenders, habe er die Möglichkeit gesehen, Bauschs Tanzkunst angemessen auf die Leinwand zu bringen. Im Gespräch spekuliert der Filemmacher über eine mögliche Revolution im Kino.
11.02.2011
Von Anke Sternborg

Glauben Sie, dass 3-D tatsächlich der dritte große Schritt des Kinos, nach Ton und Farbe, ist? 

Wenders: Ja, uneingeschränkt und ganz überzeugt – aber fürs Erzählen, für narrative Filme, ist 3-D nur bedingt tauglich. Ein Großteil der Filme, die da heute gedreht werden, wären in 2-D genauso gut aufgehoben. Ich habe viele 3-D Filme gesehen und jede Menge Trailer. Ich ahne ein bisschen, was auf uns zukommt, und finde daher, dass vieles dem dreidimensionalen Medium eher schadet als nutzt. Ganz sicher bin ich mir, dass 3-D in Zukunft das ideale Medium des Dokumentarfilms sein wird. Es wird ihn ähnlich voranbringen wie vor 15 Jahren das digitale Medium, das ja auch im teuren Hollywoodkino angefangen hat, mit Spezialeffekten in aufwendigen Filmen. Damals hätte es niemand für möglich gehalten, dass heute jede Dokumentation digital gedreht wird. Genauso wird in ein paar Jahren jeder Dokumentarfilm auf 3-D gedreht werden. Mit 3-D können uns Dokumentarfilme wirklich dahin mitnehmen, wo die Leute arbeiten oder leben.

Wo sehen Sie die größten Probleme des Umgangs mit 3-D?

Wenders: Es ist ein Problem, wenn 3-D die einzige Attraktion eines Films ist. Die Nutzung für Effekte, bei denen etwas auf einen zugeflogen kommt, eine Axt oder ein Messer, das hängt den meisten Zuschauern inzwischen zum Hals raus. Letzten Endes liegt die Zukunft des 3-D darin, dass es eben keine "Attraktion" mehr ist, sondern vielmehr eine Art natürliches Sehen wird. Auch für "Pina" war mein großer Traum, dass man das Medium nach zehn Minuten vergisst.

Mit der Idee, einen Film über Pina Bausch zu machen, befassen Sie sich schon seit zwanzig Jahren, doch erst mit 3-D haben Sie eine Möglichkeit gesehen, ihn zu realisieren. Können Sie erzählen, was Ihnen durch den Kopf ging, als Sie zum ersten Mal mit digitalem 3-D konfrontiert waren?

Wenders: Ich war richtig aufgeregt. Der Film hieß "U2 in 3-D" und war nicht besonders toll. Aber er gab eine Ahnung, was da demnächst möglich sein könnte. Ich hab noch im Kinosaal Pina angerufen und ihr gesagt: "Jetzt weiß ich, wie es gehen kann!" Wir haben viel darüber geredet, wie man ihre Arbeiten filmisch erfassen könnte. Es gab zum Beispiel aufwendige, frühe Aufzeichnungen von "Le Sacre du Printemps" und "Café Müller", doch sie war von den Ergebnissen irgendwie enttäuscht. Darum fühlte sich Pina gezwungen, ihre vierzig Stücke immer weiter zu spielen und musste diese Last auf ihren Schultern tragen, mit immer größerer Mühe, weil ihre Arbeit sonst verloren gewesen wäre. Ich habe mir jede Menge Tanzfilme angeschaut, aber keine Antwort gefunden, wie man Tanz besser filmen könnte. Erst als mit 3-D die Möglichkeit am Horizont erschien, sich in den Raum zu begeben, den sich die Tänzer mit jeder Bewegung, mit jeder Geste erobern, schien sich eine Lösung zu eröffnen.

Muss man im Umgang mit 3-D die Filmsprache neu erlernen?

Wenders: Ja, einerseits hat das sehr viel mit Mathematik und optischem Wissen zu tun, und mit Verständnis von der physiologischen Funktionsweise des beidäugigen Sehens. Aber auch beim Drehen muss man sich ganz neu orientieren. 30 Jahre lang habe ich immer am Abend vorher meine kleinen Zeichnungen angefertigt und meine Einstellungen hingekritzelt. Das nützt jetzt nicht mehr so viel. Die räumliche Organisation ist eine ganz andere. Man sieht sozusagen wie durch ein Fenster, in einen gestaffelten Raum.

Wie sind Sie an die Auswahl der Schauplätze gegangen, die alle eine ungeheure Tiefenwirkung haben?

Wenders: Unseren ersten Drehblock haben wir gar nicht besonders 3-D-freundlich im Theater zugebracht, wo wir nach Pinas Tod die angesetzten Stücke gefilmt haben. Die Bühne hatte nur eine Tiefe von 20, 25 Metern, das war sozusagen 3-D mit angezogenen Zügeln. Später habe ich mir dann überlegt, dass ich Pinas eigene Arbeitsmethode anwenden sollte. Sie hat ihre Stücke entwickelt, indem sie den Tänzern Fragen gestellt hat, und sie haben mit der ihnen eigenen Sprache, dem Tanz, geantwortet. In ähnlicher Weise habe ich die Tänzer nach Pina gefragt – und für jeden den Ort gesucht, an dem das am besten aufblühen könnte. Da war aber schon klar, dass ich nach draußen gehen wollte. Ich bin lange auf Motivsuche gegangen, im ganzen Ruhrgebiet und vor allem in Wuppertal.

Bisher war 3-D dem Mainstream vorbehalten; welche finanziellen Konsequenzen hat es, wenn jetzt ein künstlerischer, ein Arthousefilm in diesem Luxusgewand auftritt?

Wenders: Das ist eine gute Frage, denn in vielen Arthousekinos wird der Film nicht in 3-D laufen können, sondern nur zwei Wochen später in der 2-D-Version. Nur wenige dieser Kinos sind mitgezogen, vielleicht auch zurecht, da es fraglich ist, wie viele Filme da überhaupt nachkommen, die anders erzählt sind als Blockbuster. Das "Cinema" in Wuppertal ist zum Beispiel ein Arthousekino, das sich gerade unseretwegen auf 3-D einrichtet, weil sie davon ausgehen, dass die halbe Stadt diesen Film sehen will. Ich denke schon, dass es in naher Zukunft mehr Inhalte geben wird, die zu den Arthousekinos passen

Ihre Dokumentarfilme über den Modeschöpfer Yohji Yamamoto – "Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten" -, den Buena Vista Social Club und Pina Bausch kreisen um sehr künstlerische Herangehensweisen ans Leben. Inwieweit ist das für Sie auch eine Art, Ihre eigene Existenz als Künstler zu hinterfragen?

Wenders: Am deutlichsten war das vielleicht bei dem Film über Yohji, der ja auch eine Paralleluntersuchung über das Filmhandwerk war. "Buena Vista Social Club" war in der Erzählhaltung wohl der klassischste Dokumentarfilm; da habe ich erst im Schneideraum gemerkt, was für ein Märchen vor unseren Augen passiert ist. Pina erscheint mir im Nachhinein wenig dokumentarisch; sicher, wir haben die Stücke sozusagen dokumentarisch gedreht, aber es gab für jede Einstellung ein Storyboard, das den Raum erfasst hat, was und in welcher Tiefe und in welchem Moment wir etwas sehen. Die Art, wie "Pina" gedreht und geschnitten wurde, und was der Film erzählt, lässt zwischen dem Fiktiven und der Dokumentation einen merkwürdigen Zwischenraum entstehen, den ich so eigentlich noch nicht kannte.

"Pina" wird am Sonntag, dem 13. Februar, auf der Berlinale uraufgeführt (außer Konkurrenz) und startet am 24. 2. im Kino

Aktuelle Informationen zur Berlinale und Filmbesprechungen gibt es auch im Berlinale-Blog von epd film.

epd