"Was wir jetzt in Ägypten sehen, ist einzigartig", sagt Abdel Halim Qandil. "Keiner hat damit gerechnet, dass es möglich sein wird, so viele Menschen auf die Straßen zu bringen." Qandil ist der Vorsitzende der Oppositions-Bewegung Kifaya, was soviel bedeutet wie: "Es reicht!". Der Ausruf ist an Präsident Hosni Mubarak gerichtet. Fast 30 Jahre im Amt sind genug, finden die Anhänger der 2005 entstandenen Bewegung. Auch damals gingen bereits Jugendliche auf die Straße, aber so viele wie am vergangenen Dienstag, dem "Tag der Revolte", waren es noch nie.
Mehrere 10.000 zumeist junge Ägypter waren weitgehend friedlich durch Kairos Innenstadt gezogen. Erst am frühen Morgen wurden die knapp 5.000 Demonstranten vom zentralen Tahrir-Platz in Kairos Innenstadt mit Schlagstöcken und Tränengas vertrieben. In Nebenstraßen machten dann Schlägertrupps Jagd auf die Flüchtenden.
Per Facebook aufgerufen
"Wir sind stolz, dass ein solch großer Protest in Ägypten möglich ist. Ich muss eingestehen, dass es nicht mein Verdienst ist, dass so viele Menschen gekommen sind", sagt Abdel Halim Qandil, Journalist und Autor mehrerer regimekritischer Bücher. "Sie wurden tatsächlich von den Facebook-Kids mobilisiert. Aber wir haben auch zu der Demonstration aufgerufen und natürlich stehen wir ganz auf ihrer Seite und unterstützen sie, wo wir können", sagt der Kifaya-Vorsitzende.
Im Moment gehe es vor allem darum, den zahlreichen Verhafteten Rechtsanwälte an die Seite zu stellen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden am Dienstag 197 Menschen verhaftet, am Mittwoch kamen noch mehrere Hundert dazu. Viele Angehörige seien verzweifelt, weil sie nicht wüssten, wo ihre Söhne und Töchter abgeblieben sind, sagt Qandil. In Ägypten sei es nicht selten, dass Menschen längere Zeit in Polizeigewahrsam regelrecht verschwänden: "Hier zeigt sich die ganze Brutalität dieser Regierung und es ist klar, dass sich hier etwas verändern muss."
"Leeres Geschwätz"
Erste Zeichen einer Veränderung scheinen sich nach den Demonstrationen bereits abzuzeichnen: Vor den Protesten vom Dienstag hatte der Innenminister angekündigt, diese zu unterbinden. Anschließend wurde aber eine Erklärung verbreitet, wonach die Regierung die Meinungsäußerung aller Ägypter respektiere.
"Die Regierung ist die erste Kraft im Land, welche die Notwendigkeit für Veränderung und Reform erkennt", sagte auch Usama Al Sirai, der Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung "Al Ahram". Die Regierung stehe an der Spitze der Reformbewegung. Qandil findet indes: "Das ist nur leeres Geschwätz." Und fragt: "Wenn es tatsächlich so wäre, warum schießt die Regierung dann auf Demonstranten?" Er spielt damit auf den Tod des 21-jährigen Demonstranten Mustapha Mahmoud an, der am Dienstag in Suez getötet wurde.
Offiziell wurde Mustapha durch eine Tränengasgranate verletzt. Es kursiert jedoch ein Video im Internet, das einen Einschuss in seiner Brust zeigt, der - da ist sich zumindest die Internet-Gemeinde einig - eher von einer normalen Waffe stammt. Sein Tod hat die Demonstranten in Ägypten sehr aufgebracht und ist einer der Gründe, weshalb es am Mittwoch zu einer Eskalation der Gewalt gekommen ist. "Ihr werdet sehen, das ist der Anfang der Veränderung", sagt Qandil.