Hatice Akyün ist kein Kind von Traurigkeit. Die quirlige Berliner Journalistin in High Heels ist bekannt für spritzige Bücher wie "Einmal Hans mit scharfer Soße" und "Ali zum Dessert". Im Interview mit dem Deutschlandfunk am 3. Dezember 2010 aber ist Schluss mit lustig: Es geht um eine neue Studie der Uni Münster, wonach die Deutschen dem Islam und anderen nicht-christlichen Religionen intoleranter gegenüberstehen als ihre westeuropäischen Nachbarn.
Jahrzehntelang integriert, jetzt ausgegrenzt
Akyün sagt dem Moderator, sie finde es sehr schlimm und beängstigend, dass Leute wie sie, die den deutschen Pass haben und gut integriert sind, seit der Sarrazin-Debatte über Auswanderung nachdächten. Sie selbst überlege ernsthaft, ob sie ihren Kindern eine Atmosphäre zumuten wolle, in der diese – obwohl hier geboren - wegen ihres fremd klingenden Namens oder ihrer dunkleren Haarfarbe von Deutschen wieder zurückgestuft würden zu "Migranten" oder gar "Ausländern". Eine Atmosphäre, in der Muslime, die hier friedlich ihr Leben leben, ständig zur Rede gestellt werden wegen des Terrors von Fanatikern oder wegen archaischer Sozialstrukturen in anderen Ländern.
Die deutsch-türkische Autorin erzählt, wie sie ganz persönlich wachsende Vorurteile und eine undifferenzierte Sicht des Islam erlebt. So sei sie – eine moderne deutsche Muslimin – bei einer Lesung gefragt worden, wie sie zur weiblichen Beschneidung stehe. Die sei doch "ein islamisches Problem".
Ein monolithischer Block namens "der Islam"
Der Fragestellerin war offenbar nicht bewusst, dass eine liberale deutsche Muslima mit afrikanischen Stammesbräuchen ungefähr genauso viel gemein hat wie ein deutscher Kirchentagsfan mit den pseudo-christlichen Umtrieben des amerikanischen Ku-Klux-Klan.
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Hatice Akyüns Erlebnis veranschaulicht, was aktuelle Studien zum Beispiel der Universitäten Münster und Bielefeld ergeben haben: Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung ist bisher nicht willens oder in der Lage, im Blick auf die Religion des Islam und ihre Anhänger zu differenzieren.
Es herrscht ein Bild des Islam vor, das von Forschungsgruppen wie dem britischen Runnymede Trust als "geschlossene Sichtweise" bezeichnet wird. Diesem "closed view" zufolge ist der Islam ein einziger monolithischer Block, der barbarisch-irrationale Bräuche konserviert, entwicklungsunfähig ist, sich von anderen Kulturen separiert und zu List, Gewalt und Terror greift, um sich politisch und militärisch durchzusetzen.
Schon der falsche Name reicht: Vom Vorurteil zur Feindseligkeit
Zur Islamfeindlichkeit wird diese Sichtweise, wenn sie sich verhärtet zu einer pauschalen Ablehnung. Der Göttinger Experte Dr. Jürgen Leibold definiert Islamophobie als "generell ablehnende Einstellung gegenüber muslimischen Personen oder Glaubensrichtungen, Symbolen und religiösen Praktiken des Islam". Nicht selten erwächst aus dieser Einstellung auch diskriminierendes Verhalten – sei es durch Vermieter, Arbeitgeber, Lehrer oder Mitschüler.
Dabei wird in der Regel ignoriert, was die abgelehnte Einzelperson tatsächlich glaubt und praktiziert: "Von Islamophobie können daher auch Menschen betroffen sein, die sich selbst überhaupt nicht als Muslime verstehen, aber zum Beispiel infolge ihres Namens oder ihres Familienhintergrundes mit dem Islam in negativer Weise in Verbindung gebracht werden", sagt Heiner Bielefeldt, Menschenrechtsexperte der Uni Erlangen und künftig UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit.
Ähnlich wie bei rassistischen Vorurteilen würden hier Menschen "auf mehr oder weniger austauschbare Exemplare ihrer biologisch oder kulturell definierten 'Herkunftsgruppe' reduziert", so der Forscher in einem Beitrag des neu erschienenen Sammelbandes "Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen".
"Islamophobie" – ein politisch instrumentalisierter Begriff?
Bielefeldt räumt zugleich ein, dass die Begriffe "Islamophobie" oder "Islamfeindlichkeit" von einigen muslimischen Gruppen des konservativ bis fundamentalistischen Spektrums missbraucht werde. Dazu zählt er beispielsweise die Online-Plattform Islamophobia Watch und die in Großbritannien ansässige Islamic Human Rights Commission. Organisationen wie diese instrumentalisierten den Begriff der Islamfeindlichkeit mit dem Ziel, die Meinungsfreiheit in demokratischen Staaten einzuschränken. Es gehe ihnen darum, "öffentliche Zensur zu üben, Mechanismen der Selbstzensur durchzusetzen und verkappte oder auch offene Drohungen auszusprechen", so der Menschenrechtsexperte.
Hierzulande gelten jedoch Entscheidungen wie die des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach die Meinungsfreiheit auch solche Äußerungen umfasst, "die den Staat oder einen Teil der Bevölkerung beleidigen, schockieren oder verstören". Man denke nur an die 2006 weltweit publik gewordenen Mohammed-Karikaturen und die erbitterten Reaktionen darauf – mitsamt ihren erschreckenden Auswüchsen.
Dennoch verteidigt Heiner Bielefeldt die Verwendung des Begriffs "Islamfeindlichkeit". Dass ein politisch relevanter Begriff nachweislich auch missbraucht werde, sei kein Grund, ihn nicht zu verwenden – schließlich geschehe das etwa auch mit dem Begriff der Menschenrechte, so der Experte.
Schmaler Grat zwischen Hass und legitimer Kritik
Wo aber verläuft nun die Grenze zwischen eben dieser Islamophobie und von der Meinungsfreiheit gedeckter Islamkritik? Hier verweist Bielefeldt auf die Verurteilung eines Mannes, der Toilettenpapier mit der Aufschrift "Koran, der heilige Koran" bedruckt und an Medien und Moscheen verschickt hatte. Das Amtsgericht Lüdinghausen sah darin im Februar 2006 eine pauschale Verunglimpfung, die nicht mehr als Bestandteil legitimer Provokation im demokratischen Streit der Meinungen gelten könne.
Wenn das Recht auf persönliche Ehre verletzt oder der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist, dann ist die Grenze legitimer Meinungsfreiheit definitiv überschritten. In Fällen individueller Beleidigung sei das leichter feststellbar als bei pauschalen islamophoben Äußerungen, merkt Heiner Bielefeldt an und bilanziert deshalb: "Die schwierige Grenzziehung zwischen Islamkritik und Islamophobie muss innerhalb der öffentlichen Auseinandersetzung immer wieder konkret erarbeitet werden." Wichtig sei, eine innere Sensibilität zu entwickeln für Fairness beim Gebrauch der Meinungsfreiheit.
Eine offene Sichtweise des Islam entwickeln
Zur Fairness bei der kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam gehört Heiner Bielefeldt zufolge vor allem, dass dessen innere Vielfalt zur Kenntnis genommen wird. Bisher würden Muslime noch viel zu oft als Bestandteile einer einheitlichen Gruppe mit einer unveränderlich vorgegebenen religiös-kulturellen "Mentalität" gesehen. Mache man sich aber bewusst, wie viele verschiedene Wege der Islam enthält, dann könnten die betroffenen Menschen als "Subjekte eigenverantwortlicher Lebensführung" in den Blick kommen.
Ganz in diesem Sinne hat die Islamophobie-Kommission des britischen Runnymede Trust einer geschlossenen Sichtweise des Islam eine offene gegenübergestellt. Dieser "open view" ist sich – bei aller legitimen Religionskritik – bewusst, dass der Islam aus ganz verschiedenen Strömungen besteht, entwicklungsfähig ist, auch von außen beeinflusst wird und – bei allen Unterschieden – eine gleichberechtigte Religion ist, die mit dem nichtmuslimischen Teil der Gesellschaft viele Werte teilt.
Zum Beispiel den, dass Menschen nicht nach zufälligen Äußerlichkeiten wie Name, Hautfarbe oder familiärer Herkunft beurteilt werden sollten, sondern nach ihrem Charakter. Hoffentlich spricht sich das bald wieder herum. Denn Hatice Akyün und ihre Kinder gehören zu Deutschland.
Buchtipp: Der Sammelband "Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen" wurde herausgegeben von Thorsten Gerald Schneiders und enthält unter anderem Beiträge von Navid Kermani, Jürgen Leibold, Micha Brumlik und Yasemin Karaka?o?lu. Untersucht werden darin auch der Islamhass im Internet und islamophobe Argumentationsstrukturen prominenter "Islamkritiker" (VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, 500 S., 49,95 €). Der dazugehörige zweite Band "Islamverherrlichung" nimmt die dogmatische Verteidigungshaltung bestimmter muslimischer Personen und Gruppierungen in den Blick.
Martin Rothe ist Freier Journalist, hat unter anderem Religionsgeschichte studiert und die Evangelische Journalistenschule in Berlin absolviert. Seine Schwerpunktthemen sind Kirche, Islam und Integration.