UN-GE-RECHT! Pendler im Schneechaos

UN-GE-RECHT! Pendler im Schneechaos
In der Bahn bekommen die Rüpel die letzten Plätze und in der Bäckerei an der A3 dürfen nur Frauen auf die Toilette. Das Leben ist manchmal ungerecht, findet Ursula Ott in ihrer Kolumne, hat Ursula Ott festgestellt.

Ist der Mensch des Menschen Wolf? Ist die Bahn schlecht? Sind die Flughäfen überfordert? Ja, klar. Wir Pendler können zu jedem dieser Anklagepunkte ein flammendes Plädoyer halten. Aber erstens wäre es grob ungerecht. Und zweitens macht es schlechte Laune und Pickel im Gesicht. Wahr ist nämlich auch: Es gibt in diesem angeblichen Katastrophen-Winter mindestens ebenso viele nette Szenen, die der Mensch mit seinem Mitmenschen erlebt. Und mit der Bahn. Und sogar mit den Airlines. Man muss sich nur überlegen, welche man erzählt. Die blöden oder die netten.

Erstens der Mensch an sich – nun ja, da gibt es echte, tschuldigung, Arschlöcher. Montag abend um 20 Uhr am Bahnhof Köln-Deutz. Absoluter Ausnahmezustand, es ist so spiegelglatt, dass kein einziger Privat-Pkw mehr fährt, und auch nur ganz wenige Taxifahrer trauen sich. Ich bin müde, ich komme von der Weihnachtsfeier, ich will nach Hause zu meinen Kindern und zu meiner alten Mutter, die zu Besuch ist. Ja, ich habe einen guten Grund ein Taxi zu bekommen, aber den guten Grund hat jeder. Jeder der gut 20 Leute, die in einer Schlange am Taxistand stehen, wo kein einziger Wagen wartet. Da kommt ein Taxi, und der erste in der Schlange will einsteigen, als plötzlich aus dem Nichts drei junge Kerle gestürzt kommen und sich einfach auf die Rückbank werfen, vrrrm, der Wagen fährt los mit den dreien. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Oder?

Totaler Schock

Der ausgeknockte Pendler, ein amerikanischer Geschäftsmann, ist total geschockt. "Das hätte ich von Deutschland nie gedacht, hier ist doch angeblich Zivilisation." Da kommt ein zweites Taxi angeschlittert, und es kommt mir vor, als müsste ich die Ehre meiner Nation verteidigen. "Das gehört jetzt aber dem Herrn hier", schreie ich in die wartende Meute – was ziemlich lächerlich ist, denn ich könnte mich im Ernstfall noch nicht mal mit einem Halbstarken kloppen, geschweige denn mit dreien. Aber siehe da – alle warten brav, bis der Ami eingestiegen ist. Und der macht noch mal die Tür auf und sagt: "Ich muss nach Sülz – wen kann ich mit nehmen?" So soll es sein.

Und so ist es doch in jedem größeren System: Je größer die Gruppe, desto mehr kommt es auf einzelne an, die sich richtig verhalten. Hat wirklich "die Bahn" versagt in diesen Tagen? Klar gibt es überforderte Schaffner, und vor allem verspätete, überfüllte Wagen. Gestern abend habe ich in einem ICE von Frankfurt nach Köln noch nicht mal einen Stehplatz im Großraumwagen gekriegt und war anderthalb Stunden in die graue zugige Ziehharmonika zwischen Wagen 27 und 28 eingequetscht. Aber mittendrin, zwischen Limburg und Montabaur, mussten wir Ölsardinen tatsächlich lachen. Es herrscht ja – und die Vorstellung hält man echt nur mit viel Humor aus – nicht nur Winter und Überfüllung, sondern es herrscht auch noch Terror. "Bitte lassen Sie keine Gepäckstücke unbeaufsichtigt", sagt der Schaffner, und nach einer Pause: "und passen Sie vor allem auf die Koffer mit den Geschenken auf." Und schon steigt die Laune.

Kuchen und Wasser

Letzte Weihnachtsgeschichte: Der Flughafen. Ich habe am Sonntag wie hunderttausend andere in einer hoffnungslosen Schlange gestanden. Flughafen Wien-Schwechat, nichts ging mehr, Köln, Düsseldorf, London, Paris, Münster, alle Flüge gestrichen wegen Schnee. "Die Lufthansa lässt uns hier verhungern", brüllten die ersten Geschädigten ins Handy, aber auch das Gegenteil "Kuchen verteilen die hier! Kuchen! Wer will denn Kuchen, Wasser sollens bringen!" Aber als unsere Schlange endlich dran war, trafen wir auf eine vollkommen gelassene, zugewandte Airline-Mitarbeiterin, die den nächst liegenden aller Vorschläge machte: "Nach Köln bringen wir Sie heute nicht mehr, da schneits. Aber der Herr vor Ihnen hat dasselbe Problem, wir buchen Sie einfach um nach Frankfurt, und ich schlage vor, von da aus gucken Sie gemeinsam, wie Sie weiter kommen."

Ich muss sagen, für lächerliche 60 Euro, die der Billigflug gekostet hatte, war das ganz schön viel Einsatz. "Die Bahn", "die Lufthansa", das ist alles Quatsch. Manchmal reicht ein einzelner Mensch, der mitdenkt, und der rettet einem den Tag und die Laune. Auf Kuchen und Wasser kann ich dann gern verzichten.

 


Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon und Chefredakteurin von evangelisch.de. Sie hat auch eine Homepage: www.ursulaott.de.