Rosen ist Direktor der Abteilung interreligiöse Angelegenheiten des "American Jewish Committee". Der im christlich-jüdischen Dialog engagierte Rabbiner: "Die Christen sollten in der Lage sein, ihre Texte zu studieren. Sie sollten wissen, was die eigene Tradition ausmacht, und sie sollten in der Lage sein, all das an ihre Kinder weiterzugeben."
Als "Botschafter bei den Weltreligionen" bezeichnet sich Rosen, der nebenbei noch zahlreiche ehrenamtliche Funktionen im christlich-jüdischen Dialog hat - "aller Religionen", wie er betont. In Rosens Zuständigkeitsbereich fallen die Beziehungen der israelischen Oberrabbiner zum Vatikan und der anglikanischen Gemeinschaft. Er ist aber auch gefragt, wenn es um die Organisation einer Konferenz von Imamen und Rabbinern für den Frieden geht oder um einen jüdisch-hinduistischen Gipfel.
Hoffnung auf Frieden
"Der interreligiöse Dialog findet auf den verschiedensten Wegen statt", lautet seine Erfahrung. "Dazu gehört die theologische Diskussion genauso wie Fragen nach einer gemeinsamen Agenda und gemeinsamen Herausforderungen, sei es Umweltschutz oder Aids." Rosen ist einer der Ehrenpräsidenten des Internationalen Rats der Christen und Juden, einer Dachorganisation von weltweit 38 nationalen christlich-jüdischen und interreligiösen Dialogvereinigungen.
Den stolzen Vater von drei Töchtern und Großvater von vier Enkeln treibt neben dem interreligiösen Dialog die Hoffnung auf einen Frieden an, der möglich sei, da es sich im Nahen Osten nicht, wie oft fälschlich angenommen, um einen Kulturkrieg handelt. Auch seine Frau Sharon, die bei einer israelisch-palästinensischen Nichtregierungsorganisation tätig ist, setzt sich für das Miteinander der beiden Völker im Heiligen Land ein. Denn eine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt ist aus Rosens Perspektive "eine existenzielle Notwendigkeit für Israel, um zu überleben".
Rabbi Rosen, wie schätzen Sie die Prognose ein, dass Europa immer muslimischer wird?
David Rosen: Es gibt zwei Möglichkeiten. Zum einen kann darauf mit Gelassenheit reagiert werden, wenn davon ausgegangen wird, dass es Europa gelingen wird, seine muslimische Bevölkerung so zu integrieren, wie sie es sich wünscht. Sollten die Europäer diese Entwicklung jedoch als alarmierend empfinden, dann würde ich sagen, dass sie als säkulare Gesellschaft nicht gegen eine starke religiöse Identität ankommen können. Meiner Meinung nach hat die westliche europäische Gesellschaft keine starke Identität in dieser Hinsicht. Religiöse Identitäten sind sehr viel passionierter. Wenn diese Perspektive Sorgen bereitet, ist die Antwort darauf eine Stärkung der christlichen Identität.
Wie macht man das?
Rosen: Für Europäer, die eine andere Identität wollen als die muslimische, ist es das Wichtigste, die europäische Identität zu stärken, die traditionelle europäische Identität, die überwiegend christlich ist. Es gibt unterschiedliche christliche Identitäten, Protestanten, Katholiken, Orthodoxe. Wem das nicht gleichgültig ist, der sollte zumindest über seine eigene Identität Bescheid wissen. Die Christen sollten in der Lage sein, ihre Texte zu studieren. Sie sollten wissen, was die eigene Tradition ausmacht, und sie sollten in der Lage sein, all das an ihre Kinder weiterzugeben.
"Identität ist nicht nur eine Sache des Glaubens"
Das heißt, die Europäer sollen um das Christentum wissen, müssen aber nicht unbedingt gläubige Christen sein?
Rosen: Genau. Identität ist nicht nur eine Sache des Glaubens. Identität heißt Wissen und Verstehen. In einem typischen jüdischen Modell entsteht Glauben aus Wissen oder mit anderen Worten: Unser Verständnis von Gott wird eher aus Erfahrung geboren als aus einer Lehre. Wir haben keinen Katechismus im Judentum.
Ist es nicht recht ungewöhnlich für einen Juden, Christen dazu aufzufordern, christlicher zu sein?
Rosen: Wenn ein Jude das nicht will, dann vermutlich, weil er ein historisches Problem hat. Dafür gibt es absolut legitime Gründe. Sie wissen ja: "Nur weil ich paranoid bin, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht versuchen, mich umzubringen."
Extremismus als Ausdruck der Entfremdung
Nun gibt es nicht nur das Phänomen islamischer Extremismus, sondern zudem demografische Verschiebungen. Die muslimische Bevölkerung wächst schneller als die christliche. Wie sollte man damit umgehen?
Rosen: Die demografische Realität ist Tatsache. Ich leugne das nicht. Ich glaube, es ist eine ernst zu nehmende Perspektive, dass in Europa die muslimische Präsenz wächst. Trotzdem muss dies die Menschen nicht ängstigen, wenn es Europa gelingt, damit auf intelligente Weise umzugehen. Das ist leider häufig nicht der Fall. Eine Gesellschaft, die Minderheiten integrieren will, muss dieser Bevölkerungsgruppe das Gefühl geben, dass ihre Identität respektiert wird. Nach meiner Meinung ist fast jede Form von Extremismus ein Ausdruck der Entfremdung. Wenn man diese Gruppen nicht integriert, ermutigt man sie zum Extremismus.
Der niederländische Politiker Frits Bolkestein sieht für orthodoxe Juden, die an ihrer Kleidung als solche erkennbar sind, aufgrund des wachsenden Islamismus keine Zukunftsperspektive in seinem Land. Wie würden Sie das einschätzen?
Rosen: Ich würde niemandem sagen, was er zu tun hat. Wenn sich ultra-orthodoxe Juden dort, wo sie leben, unwohl fühlen, dann haben sie Gott sei Dank heute die Möglichkeit, an einen anderen Ort zu ziehen. Das ist völlig legitim. Genauso legitim wäre es für sie jedoch zu sagen: Wenn dies eine zivilisierte Gesellschaft ist, dann müssen alle Menschen unabhängig davon, wie sie auftreten und wie sie gekleidet sind, geschützt werden. Das ist ein Problem der Regierung - nicht der Bürger.