Rainhard Fendrich: Im Gebet finde ich Ruhe

Rainhard Fendrich: Im Gebet finde ich Ruhe
Hits wie "Es lebe der Sport" oder "Macho Macho" haben Rainhard Fendrich berühmt gemacht, mit "I am from Austria" schrieb er die inoffizielle Nationalhymne seines Heimatlandes Österreich. Doch hinter dem lebensfrohen Sänger und TV-Entertainer, der sein Publikum mit hinreißendem Wiener Schmäh einnimmt, steckt ein nachdenklicher Mensch mit wachem Bewusstsein für die Gegenwart. Mit evangelisch.de sprach der 55-jährige Katholik über seine Erfahrungen, über den christlichen Glauben, zu dem er nach einer Lebenskrise zurückfand - und über den Verlust von nahen Menschen. "Wenn einer vor seiner Zeit gehen muss, tut das besonders weh", sagt Fendrich und fragt sich zugleich, ob der Tod eigentlich der Tod ist: "Vielleicht ist das hier das Schlafen, und das andere das Leben."
18.11.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

Herr Fendrich, lassen Sie uns über Gott und die Welt reden – und mit Gott anfangen. In einem Lied auf Ihrem neuem Album heißt es: "Denk daran, es ist wer neben dir, der dich stets behütet hat". Sie sprechen von Gott...

Fendrich: ...ja natürlich!

Warum?

Fendrich: Allein diese Frage verwundert mich. In der amerikanischen Musik gibt es den Gospel, Lieder wie "My Sweet Lord" von George Harrison oder "Oh Happy Day" von den Edwin Hawkins Singers sind Hits geworden. Solche sakralen Lieder gibt es bei uns nicht. Wir haben überhaupt keinen Bezug zu unserer Religion. Woran glauben die Menschen noch? Ich habe dieses Lied nicht geschrieben, wie viele glauben, weil ich mir das Leben nehmen wollte, sondern weil ich viele Menschen verloren habe – Musiker, Verwandte, die freiwillig aus diesem Leben gegangen sind, weil sie an nichts mehr geglaubt haben. Wir müssen lernen, an etwas zu glauben.

"Ich akzeptiere jeden Atheisten,

aber ein Atheist ist für mich ein Trottel."

 

Hört beim Glauben die Toleranz auf?

Fendrich: Ich akzeptiere jeden Atheisten, aber ein Atheist ist für mich ein Trottel. Denn jeder Mensch, der mit wachen Augen durch die Natur geht, egal welcher Religion er angehört, muss irgendwann bemerken: Das hat irgendwer gemacht, der schlauer ist als wir. Der Glaube ist etwas, das ich lange verdrängt habe. Aber er war immer da, und jetzt habe ich ihn wiedergefunden. Mir ist es eine Zeit lang sehr schlecht gegangen. Der Glaube war meine Hilfe.

In welchen Situationen beten Sie?

Fendrich: Nicht in Notsituationen. Ich bete jedes Mal, bevor ich einschlafen gehe. Meine Gebete sind nicht vorgegeben, nicht "Lieber Gott, mach mich fromm". Sondern es sind Gespräche, in denen ich Ruhe finde und versuche, meine Gedanken zu ordnen. In denen ich mir wünsche, dass es meiner Familie gut geht. Ich versuche, ein Zwiegespräch zu führen – vielleicht mit mir selbst. Positive Gedanken sind auch positive Energie. Ich versuche, an meine Freunde und die Menschen, die mir lieb sind, positive Energie zu schicken. Außerdem gibt es kaum eine Kirche, in die ich nicht reingehe. Da schaut man mich aber schon komisch an, wenn ich ans Weihwasserbecken gehe. Ich bin Katholik, mache mein Kreuzzeichen, knie vor dem Altar nieder, stehe auf und setze mich hin. Ich kann auch einen Rosenkranz beten. Das ist für mich eine Meditation, wie das indische Mantra. Gibt es den Rosenkranz überhaupt in der evangelischen Kirche?

Nein.

Fendrich: Schade! Das ist eines der wenigen Dinge, auf die ich nicht verzichten mag. Diese Dinge fehlen uns. Mich stört, dass man komisch angeschaut wird, dass die Menschen einen gestörten Zugang zu ihrer Religion haben. Das ist in Südamerika oder Spanien anders – dort gehört die Religion zum täglichen Leben. Es findet niemand etwas dabei, wenn ein Maradona als Trainer den Rasen küsst und ein Kreuzzeichen macht. Aber es würde jeder komisch schauen, wenn der Philipp Lahm aufs Spielfeld geht und ein Kreuzzeichen macht. Oder vor dem Essen zu beten, das ist in Spanien in den Familien ganz selbstverständlich. Das sind Rituale, die mir ein unglaublich warmes Wohlbefinden geben.

Wodurch haben Sie den Glauben wiedergefunden?

Fendrich: Ich war kokainsüchtig und bin in ein tiefes Tal gefallen. Dann bin ich einer Frau begegnet, die verhindert hat, dass ich unten aufknalle. Für sie habe ich das Lied "Engel" geschrieben. Engelsfiguren waren für mich immer etwas Mysteriöses. Gabriel heißt ja "Wer ist wie Gott". Luzifer war der Lichtträger. Was sind Engel eigentlich? Ich glaube, dass es Engel auf dieser Welt gibt – Menschen, die dir begegnen, ohne zu wissen, was sie dir Gutes tun können. Die deinen Weg kreuzen, absichtslos, aber eine Veränderung herbeiführen. Die muss man erkennen. Genauso war es mit meiner zukünftigen Frau. Mir eine Liebe zu zeigen, einen Weg zu zeigen, ohne zu sagen: Du musst das und das machen. Ein phantastischer Mensch war plötzlich neben mir und hat mir eine andere Perspektive gezeigt, ohne zu wissen, wie schlecht es mir geht. Da habe ich auch meinen Glauben neu entdeckt – verloren hatte ich ihn nie, ich war immer gottesfürchtig. Wenn man gottesfürchtig ist, muss man ja dran glauben, sonst würde man sich nicht fürchten.

Wenn es Engel und Gott gibt, gibt es auch das Gegenteil. In Ihrem Lied "Es werde Licht" heißt es: "Wenn der Teufel nicht wär, gäb's auch kein Gewissen mehr". Das klingt ziemlich protestantisch.

Fendrich: Natürlich. Es gäbe Gott nicht ohne den Teufel in unseren Gedanken. Ich glaube, der Teufel ist eine Erfindung. Das ist wie mit einem Wasserbecken – man empfindet das kalte Wasser nur dann, wenn man in dem lauwarmen und dem heißen drin war. Es muss im Menschen dieses Hin und Her geben. Je enger die Menschen zusammenrücken, desto schneller passiert es, dass man jemandem etwas wegnehmen muss, sich verteidigen und vor allem kämpfen muss. Ich glaube, dass der Teufel die menschliche Schwäche ist. Wenn man aus dem Dunkel ans Tageslicht kommt, merkt man, wie grell es ist.

Der Glaube ist das eine, die Institution Kirche das andere.

Fendrich: Mit dem Papst und dem Vatikan habe ich ein großes Problem. Ich lese gerade das Buch "Die Vatikan AG" von Gianluigi Nuzzi. Wenn davon nur ein Zehntel stimmt, ist es schon schlimm. Die Kirche ist mit ihrer Macht in den letzten Jahrtausenden sehr egozentrisch umgegangen. Bis Luther hat sie verhindert, dass die Bibel auf Deutsch übersetzt wurde – weil sie ganz einfach nicht wollte, dass die Leute selbst denken. Mich hat vor einigen Jahren der Luther-Film sehr bewegt, in dem Uwe Ochsenknecht den Papst spielt. Dieser Sündenablass, diese Macht, die die Kirche weltlich ausgeübt hat! Der Zölibat war ja nur dazu da, dass nichts vererbt wird. Das ist etwas, das ich aus tiefster Seele ablehne. Aber ich werde deswegen nicht meinen Glauben verlassen. In dem Lied "Jerusalem" habe ich gesungen: "Es ist Zeit, wieder in den Tempel zu gehen." Jesus ist in den Tempel gegangen und hat diese ganzen Händler rausgeschmissen. Auf so einen Zornausbruch wartet man. Der Messias muss jemand sein, der einmal aufräumt.

Das könnte auch aus dem Mund des politischen Eiferers Judas kommen, den Sie in "Jesus Christ Superstar" gespielt haben.

Fendrich: Ja, ich habe mich 350 Mal umgebracht. Durch das Musical habe ich wirklich einen unglaublichen Zugang zur Person von Judas gefunden. Er war der einzige vernünftige Kopf, hat versucht zu verhindern, dass Jesus sich zum Märtyrer macht. Denn Jesus hat gewusst, dass er nur durch seinen Tod seine Lehre verbreiten kann. Es gibt Menschen, die für ihre Überzeugungen im Islam sterben. Der Verrat durch Judas war ein Freundschaftsdienst. Petrus, auf den die Kirche gebaut wurde, hat ihn verleugnet. Judas hat geglaubt, Jesus wird ausgepeitscht und dann ist Ruhe. Er hat ihn wirklich geliebt. Jesus Christ ist für mich nach wie vor ein Superstar, Probleme hat nur der Fanclub.

"Wo wäre Europa, wenn es keine

Einwanderer gäbe? Wo wäre Deutschland,

wenn es nur Deutsche gäbe?"

 

Stichwort Islam. Sie haben schon vor fast zwei Jahrzehnten das Lied "Brüder" über die Freundschaft zu einem türkischen Muslim geschrieben. Wenn man sich die aufgeregten Islamdebatten vor Augen führt, könnte man meinen, es hat sich gar nichts verändert.

Fendrich: Es hat sich verschlimmert. Auf der einen Seite weiß man zu wenig. Man muss unterscheiden zwischen Muslimen und Islamisten. Man vermischt das. Wo wäre Europa, wenn es keine Einwanderer gäbe? Wo wäre Deutschland, wenn es nur Deutsche gäbe? Jede Kultur wurde weitergebracht, wenn sie sich vermischt. Die Gastarbeiter hat man damals geholt, weil man das Wirtschaftswunder auskosten wollte und keine Arbeitskräfte im eigenen Land gefunden hat. Natürlich holen die dann ihre Familien nach. Aber kein Mensch verlässt freiwillig seine Heimat. Und es ist kein religiöses, sondern ein gesellschaftspolitisches Problem. Man hat sich am Anfang überhaupt keine Gedanken über die Menschen gemacht, die ins Land kommen. Das war eine Überheblichkeit einer westlichen Kultur, die mit jeder Kolonialsituation überheblich umgegangen ist. Das hat mit Religion nichts zu tun. Ich habe den Koran gelesen – da steht nirgends, dass man Menschen töten darf. Natürlich kann man das herauslesen, aber genauso kann man es aus der Bibel herauslesen.

Können die Muslime den Christen helfen, ihre eigene Religiosität wieder besser zu verstehen?

Fendrich: Nein. Das müssen wir selbst finden. Das ist ja der Glaube. Der Islam macht es möglich, dass man bedingungslos an eine Sache glaubt, dass man für sie zu sterben bereit ist – egal, ob sie nun gut oder schlecht ist. Das macht uns so machtlos. Allein eine Mohammedkarikatur ist schon attentatsverdächtig, aber wie viele Karikaturen sind über Jesus Christus erschienen? Was wird da gelacht? Auf der anderen Seite haben die Christen große Schuld auf sich geladen. Bei den Kreuzzügen ging es nur um Brandschatzung. Es liegt in der Natur des Menschen: Wenn jemand Macht hat, nutzt er sie auch aus.

Ihr neues Album endet mit den Titeln "Mein letztes Lied" und "Abschied". Das hört sich wie eine Drohung an.

Fendrich: Nein. "Mein letztes Lied" ist ein Lied über die Tournee, dass man auf der Bühne kein Zeitgefühl hat und man gar nicht merkt, dass der Abend schon wieder vorbei ist. In "Abschied" geht es darum, dass ich Georg Danzer als Freund verloren habe. Er war ein Mensch, der sich so gesorgt hat um seine Familie, der sozial gedacht hat, ein brillanter Kopf war. Mit zunehmendem Alter muss man erkennen, dass man sich von nahestehenden Menschen verabschieden muss. Aber wenn einer vor seiner Zeit gehen muss, tut das besonders weh. Das ist genauso unverständlich, wie wenn ein Kind stirbt. Ich glaube aber an eine übergeordnete Gerechtigkeit: Vielleicht geht es ihm dort noch viel besser, als es uns hier geht. Vielleicht sind wir tot im Moment und leben erst nachher. Vielleicht ist das hier das Schlafen, und das andere das Leben.


 

Anm. d. Red. vom 25. November 2010: In den Kommentaren äußerte sich Rainhard Fendruch über seine Wortwahl "Trottel" (siehe unten). Der Einfachheit halber haben wir den Kommentar auch hier noch direkt angehängt:

Ich bedauere sehr, dass die von mir in einem sehr emotionell geführten Interview getätigte Äußerung: " Für mich sind Atheisten Trottel" so tiefe Verletzungen herbeigeführt hat. Sicherlich war die Wortwahl angesichts der Ernsthaftigkeit des Gespräches in höchstem Maße unpassend, allein deshalb schon, weil mir nicht bewusst war, wie viele Menschen keinen Gott haben und dennoch, so absurd es scheinen mag eine "Glaubensgemeinschaft" bilden.

Trottel ist sicherlich das falsche Wort für Menschen, die sich von der Kirche abwenden. Dafür bitte ich um Vergebung, was jedoch nichts an meiner Meinung ändert, dass jeder der mit offenen Augen und im Besitz seiner geistigen Fähigkeiten durch die Natur geht irgendwann erkennen müsste: Hier war jemand am Werk der schlauer ist als wir es uns in unserer Menschlichkeit vorstellen können! Eine Intelligenz zu leugnen, die unsere Vorstellungskraft übersteigt ist für mich unverständlich.

Es widerstrebt meiner christlichen Denkweise, andere Menschen bewusst zu verletzen. Insofern war diese Äußerung ein Fehler! Ich hoffe sie und alle Jene, die auch nicht mit tiefen Beleidigungen was meine Person betrifft sparten um Ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, nehmen meine Entschuldigung an und verbleibe mit einem herzlichen

Grüß Gott
Ihr Rainhard Fendrich

 


Rainhard Fendrich (55) ist einer der bekanntesten österreichischen Liedermacher und Popsänger. Der gebürtige Wiener schaffte seinen Durchbruch im Sommer 1981 mit "Strada del sole". Viele weitere Hits folgten. Fendrich feierte auch als Film- und Theaterschauspieler, Musicaldarsteller und TV-Entertainer Erfolge. So moderierte er 1993 bis 1997 die ARD-Flirtshow "Herzblatt". Im vergangenen September erschien Fendrichs aktuelles Album "Meine Zeit", die er zurzeit bei Liederabenden sowie im Mai und Juni kommenden Jahres bei insgesamt 19 Konzerten in Deutschland präsentiert (Termine unter www.fendrich.at). Rainhard Fendrich hat aus erster Ehe zwei erwachsene Söhne; mit seiner Freundin und künftigen Frau, der Musicalsängerin Ina Nadina Wagler, erwartet er ein Kind. Evangelisch.de traf den Künstler am Rande eines Auftritts in Mannheim.