Der Castor treibt die Polizei ans Limit

Der Castor treibt die Polizei ans Limit
Teils 24 Stunden ohne Essen schieben die Polizisten während des Castor-Transports Dienst. Die Blockaden der Demonstranten, das ständige Katz-und-Maus-Spiel im Wald zermürben. Gewerkschaften sehen beim Castor-Einsatz das Ende der Fahnenstange erreicht.
08.11.2010
Von Georg Ismar

Der Polizist am Verladebahnhof Dannenberg ist ahnungslos. "Ich weiß nicht, was hier abgeht, wir erfahren es doch eh immer als letzte." Seit fünf Stunden parkt der Castor knapp 30 Kilometer entfernt auf freier Fläche bei Dahlenburg. Die Polizei braucht schließlich sechs Stunden, um tausende Blockierer bis Montagmorgen aus dem Gleisbett zu räumen.

Polizisten sprechen von abgeschnittenen Nachschublinien, Traktor-Blockaden meuternder Wendländer hätten zudem den Austausch von Einheiten verhindert. Hunderte Beamte sind am Ende der Kräfte - dabei teilen viele das Anliegen der Atom-Gegner.

"Die Einsatzbelastung ist sehr hoch", betont Polizeimeister André Fischer aus Sankt Augustin am Verladebahnhof der Castoren. "Aber es ist meine Pflicht, hier meinen Job zu machen." Die Kälte, das Leute- Wegtragen, die Leuchtraketen, das sorgt alles für eine psychische Belastung, erläutert Polizeioberkommissar Herbert Kreykenbohm.

Polizeigewerkschaft kritisiert politische Fehlentscheidungen

Wie chaotisch dieser zwölfte Castor-Transport nach Gorleben zum Teil verläuft, zeigt sich am eigentlich hoch gesicherten Verladebahnhof Dannenberg, wo die hoch radioaktive Fracht am Montag dann nach rund zwölf Stunden Stillstand doch noch einläuft, um stundenlang für die letzte Straßenetappe ins Zwischenlager Gorleben vorbereitet zu werden. Rund zehn Aktivisten gelingt es beinahe, zum Castor-Zug vorzudringen, bevor sie abgefangen werden können.

Der Gewerkschaft der Polizei (GdP) platzt angesichts der Zustände beim Castor 2010 der Kragen. "Ob in Stuttgart oder heute im Wendland, meine Kolleginnen und Kollegen kommen wegen politischer Fehlentscheidungen nicht mehr aus ihren Einsatzanzügen", klagt Bundesvize Bernhard Witthaut. Es könne nicht sein, dass die Polizei dafür den Kopf hinhalten müsse. Bis zu 24 Stunden hätten Kollegen draußen in der Kälte mit knurrendem Magen gestanden, heißt es.

Noch nicht einmal eine heiße Suppe oder einen Tee habe es für viele der im weitläufigen Wendland eingesetzten Kollegen gegeben, moniert der niedersächsische GdP-Vize Dietmar Schilff. Es sei oft nicht einmal bekanntgewesen, wo Polizisten mit Essen versorgt werden mussten. Der Chef der Deutschen Polizei-Gewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, sieht die Polizisten "absolut am Ende ihrer Kräfte".

Bis zu 20.000 Beamte mussten diesen beispiellosen Einsatz stemmen, es gab bundesweit so gut wie keine Reserven mehr, die zum Austausch der Einheiten angefordert werden konnten. Die Polizei sei für diesen Einsatz viel zu schwach aufgestellt gewesen, wird kritisiert. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Stefan Paris, sieht jedoch keine Überforderung der Polizei. "Das Ereignis war absehbar und ist sehr, sehr gut vorbereitet worden", sagt er in Berlin.

"Ich brauch mal was zu essen"

Die Polizei-Gewerkschafter warnen gerne mit schrillen Tönen vor unzumutbaren Personalkürzungen und einer Überforderung, doch diesmal bestätigen dutzende Beamte, dass der Einsatz schwer zu ertragende Zustände angenommen habe.

Seit 20 Stunden steht zum Beispiel die Einheit aus Bochum in der Kälte. "Langsam reichts", sagt ein Polizist, "ich brauch mal was zu essen". Seit 1996 düst der DPolG-Gewerkschafter Hans-Joachim Zastrow während der Castor-Transporte an die Frontlinien und erkundigt sich, wo der Schuh drückt. Aus seiner mobilen Cappuccino-Station kann er zumindest einigen Kollegen etwas Heißes anbieten.

Auch wenn das heiße Wasser leer ist, als er bei der Einheit aus Nordrhein-Westfalen eintrifft, die Hanutas werden Zastrow und seinen Begleitern Jochen Anbergen (54) und Heiko Teggatz (37) aus den Händen gerissen. "Ich bin der Kümmerer", sagt der 56-jährige Polizist, der in seiner Gewerkschaft der Chef für den Bereich Bundespolizei ist.

Chaos-Castor kostet bis zu 50 Millionen Euro

"Wenn vier Kollegen im Einsatz in einer Jugendherberge auf 12 Quadratmetern untergebracht sind, geht das natürlich nicht", berichtet Zastrow auch von vereinzelten Unterbringungsproblemen. Wie viele Millionen am Ende der Chaos-Castor kosten wird, ist noch unklar - von bis zu 50 Millionen Euro ist die Rede.

Die Polizei-Gewerkschaften finden, das Maß sei voll, zumal die Atomkonzerne den Transport nicht zahlten, sondern der Steuerzahler. Die Castor-Gegner hingegen haben ihr Ziel erreicht. Mit friedlichen Blockaden, aber auch gewaltsame Auseinandersetzungen an den Gleisen, werden die Kosten so in die Höhe getrieben, dass eine Debatte über den Sinn der Castor-Transporte nach Gorleben losbrechen dürfte.

Gegen die Erschöpfung durch den zähen Einsatz in diesem Jahr können auch "Kümmerer" wie Zastrow nichts machen. Mit seinen Kollegen besucht er auch eine Bundespolizei-Einheit aus Pirna, die eine Straße absichern muss. Ebenfalls seit über 20 Stunden sind die Polizisten im Einsatz. Zumindest bekamen sie was zu essen, sagt einer: "Um 23 Uhr gab's mal ein lauwarmes Bami Goreng."

Grüne: Über Castor-Einsätze neu nachdenken

Nach dem Castor-Chaos und dem strapaziösen Polizeieinsatz fordern die Grünen eine Debatte über die Atommüll- Transporte nach Gorleben. "Der Polizeieinsatz ist an seine Grenzen gestoßen", sagte die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms, am Montag bei einer Pressekonferenz in Dannenberg. Die Castor-Gegnerin aus dem Wendland betonte, die Atommüll-Transporte könnten auch zeitlich befristet ausgesetzt werden.

Zudem gebe es auch die Möglichkeit, bei solchen Problemen wie in diesem Jahr, den polizeilichen Notstand zu erklären und den hoch radioaktiven Atommüll zum nächstgelegenen Zwischenlager bei einem Atomkraftwerk zu bringen. Im Falle Gorlebens wäre dies das AKW Krümmel in Schleswig-Holstein.

Nahe des oberirdischen Zwischenlagers war offiziell zum 1. Oktober nach zehnjähriger Unterbrechung auf Weisung Röttgens die Erkundung des Salzstocks wieder aufgenommen worden, wo in 870 Meter Tiefe der ganze hoch radioaktive Atommüll Deutschlands gelagert werden könnte. Röttgen betont, die Suche sei ergebnisoffen.

Der niedersächsische Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel betonte, beim Castor-Einsatz sei der Staat an die Grenzen des Rechtsstaats gestoßen. Die niedersächsische Landesregierung müsse sich für eine bundesweite Endlagersuche einsetzen.

Harms lobte das besonnene Verhalten der Polizei bei der Räumung nächtlichen Schienenblockade mit tausenden Demonstranten. Einige Beamte seien aber bis zu 40 Stunden ohne Schlaf gewesen. "Das kann auch für die Polizisten so eigentlich nicht weitergehen."

dpa