Als Not erfinderisch machte: DDR-Patente laufen ab

Als Not erfinderisch machte: DDR-Patente laufen ab
Ende Oktober läuft der Schutz für die letzten DDR-Patente aus, die noch vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 angemeldet und über die maximale Schutzdauer von 20 Jahren aufrecht erhalten wurden. Damit endet auch ein Stück Technik- und Innovationsgeschichte des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaats.
27.10.2010
Von Thomas Östreicher

Stacheldraht und Spitzeltechnik waren bei Weitem nicht die einzigen Errungenschaften der DDR. Eine wassersparende Bewässerung von Tomaten, die die Erträge "um bis zu 75 Prozent" zu steigern vermag, ein biotechnisches Verfahren zur Reinigung verseuchter Böden, ohne dass Erde abgetragen werden muss - solche und ähnliche Erfindungen entstanden ebenfalls im realsozialistischen System.

Individuelle Nutzung selten

Besonders auf den Gebieten Umwelttechnik, Kommunikation, Energiegewinnung und der Herstellung von Ersatzstoffen habe die DDR wertvolle Erfindungen hervorgebracht, stellten Technologie- und Innovationsexperten bereits 1995 fest. Auch der Laser- und Solartechnik bescheinigte man einen "hohen Standard" - im Gegensatz zu extrem kostspieligen, aber "kaum verwertbaren" DDR-Mikroelektronik.

Die Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums waren in beiden deutschen Staaten fast identisch. Nicht jedoch bei der Verwertung: Bundesdeutsche Patente berechtigen den Inhaber dazu, seine Erfindung zeitlich begrenzt exklusiv zu nutzen. Diese "Ausschließungspatente" waren in der DDR die Ausnahme. Die Regel stellten sogenannte Wirtschaftspatente dar, die sich jeder volkseigene Betrieb gegen - geringe - Gebühr zu eigen machen durfte.

Mit der deutschen Vereinigung wurden dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) zufolge 111.000 DDR-Schutzschriften für derlei Innovationen, darunter 97.000 Wirtschaftspatente und 14.000 Ausschließungspatente, in ein gemeinsames Register übernommen. Gut 19.000 Anträge auf Umwandlung eines Wirtschaftspatents in ein Ausschließungspatent wurden bearbeitet.

DDR-Marken leben länger

Im Gegensatz zu Patenten, deren Schutz nach 20 Jahren ausläuft, können Marken zeitlich unbegrenzt geschützt werden - solange die Inhaber alle zehn Jahre die Verwaltungsgebühr von derzeit 250 Euro entrichten. Auch diese Regelung wurde für die DDR-Marken übernommen. "Noch am 2. Oktober 1990" - am Vortag der Vereinigung also - "wurden im Amt für Erfindungs- und Patentwesen der DDR 259 neue Anmeldungen eingereicht", erinnert man sich beim DPMA.

Zahlreiche frühere DDR-Marken konnten sich seitdem gut am Markt behaupten. So ist das Waschmittel "Spee" ebenso quicklebendig wie die "Florena"-Körperpflegeprodukte, die freilich von Konzernen aus dem Westen wie Henkel oder Beiersdorf gekauft wurden. Die Rotkäppchen-Sektkellerei in Freyburg/Unstrut hingegen ist nicht nur eigenständig geblieben, sondern wurde auch durch die erste größere Übernahme eines westdeutschen Unternehmens durch ein ostdeutsches bekannt.

Unterm Strich "leben von den mehr als 42.000 übernommenen DDR-Marken 6.800 Marken auch im Jahr 2010 weiter", bilanziert das Patentamt, für das 2700 Mitarbeiter in München, Jena und Berlin tätig sind. Eine der bekanntesten (und bis heute beliebtesten) Marken des Sozialismus trägt die Urkunden-Nummer 399 74 041 und steht für den legendären, von Karl Peglau entwickelten ostdeutschen Ampelmann.

Beachtliche Innovationskraft

Not macht erfinderisch und führte etwa zu Rezepten, womit Rüben zu Ananas und grüne Tomaten zu Zitronat verarbeitet werden können. Rein statistisch "meldeten DDR-Bürger pro Kopf fast genauso viele Patente an wie die Westdeutschen", berichtete das Magazin "Zeit Wissen" unlängst, gab aber zu bedenken, dass die Bedeutung der Erfindungen weniger an ihrer Zahl ablesbar sei als an der Quote der Auslandsanmeldungen. Experten der Fraunhofer-Gesellschaft zählten diese "Auslandsquote" - und sehen Ostdeutschland in der gleichen Liga wie Italien, Spanien und Belgien.

Wie schwierig der Umgang mit den sozialistischen Erfindungen von 1990 an war, schilderte Reiner Blumstengel, ehemaliger DDR-Patentverwalter, vor zehn Jahren in einer Sendung des Deutschlandradios: "Wenn aus einem Kombinat zwei Teilbereiche an zwei Investoren verkauft worden sind, dann hat es noch zwölf Ausgründungen gegeben und die früheren Forschung- und Entwicklungsabteilungen sind in alle Winde zerstreut - da weiß zum Teil einfach heute niemand, wem diese Patente gehören."

Was nun einerlei ist: Mit dem 31. Oktober 2010 ist die Schutzfrist für Geniales made in East-Germany endgültig vorbei. Nach dem Maximum von 20 Jahren gilt, was bei literarischen Werken 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers "gemeinfrei" genannt wird: Die DDR-Patente gehören nun allen - auch eine Form des Sozialismus.


Thomas ÖstreicherThomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.