Ausgelassen sein
Feiern, schunkeln, trinken, tanzen: Die Wiesn ist ein Ort der Ausgelassenheit. Hat das der weise König Salomo in seinem biblischen Buch etwa vorausgeahnt? Nein - hier handelt es sich um einen typischen Fall unangemessener Bibelzitation. Denn Salomo beschreibt die Gottlosen, die sich "mit bestem Wein füllen, den armen Gerechten unterdrücken und keine Witwe verschonen". Diese unfrommen Hallodris verschonen keine Wiese mit ihrem "übermütigen Treiben". Womit er sicherlich nicht die Wiesn-Besucher des 21. Jahrhunderts im Blick hatte. Denn die sind, wie die ganze Christenheit, ein buntes Gemenge von Sündern und Heiligen. "Keine Wiese bleibe von unserm übermütigen Treiben verschont, damit man überall merkt, wie ausgelassen wir gewesen sind." (Weisheit Salomos 2, 9)
Musiker nicht enttäuschen!
Die Kapelle spielt, und niemand schunkelt: Diese Horrorvision für jeden Musiker nutzte Jesus für ein Bildwort. Die Situation: Das Volk wollte partout nicht erkennen, dass Johannes der Täufer der schon in den alten heiligen Schriften vorhergesagte Prophet ist. Um den Menschen ihre Verstocktheit vor Augen zu führen, sagte Jesus, das Volk gleiche "Kindern, die auf dem Markt sitzen und rufen den andern zu: Wir haben euch aufgespielt und ihr wolltet nicht tanzen." Die hebräischen Flüchtlinge, die mit Mose 40 Jahre lang in der Wüste unterwegs waren, tanzten hingegen ausgelassen. Nicht um die Kapelle, sondern ums Goldene Kalb: "Das Volk setzte sich nieder, um zu essen und zu trinken, und stand auf, um zu tanzen." - "Wir haben euch aufgespielt, und ihr wolltet nicht tanzen." (Matthäus 11,16-19, 1. Korinther 10, 7)
Kraut statt Haxe
Salat statt Hendl oder Haxn bestellen ist natürlich ein Tabu auf dem Oktoberfest. Lediglich als Beilage ist Krautsalat willkommen. Grund genug, um über einen weisen biblischen Spruch zu sinnieren, demzufolge mit Liebe zubereitetes Kraut besser sei als ein lieblos gegrillter Ochse. Fleisch ist keineswegs unerlässlich für kulinarische Glücksmomente; man muss kein Vegetarier sein, um himmlische Genüsse bei einem guten Krautsalat zu empfinden. Ob irgendein Wiesnkoch allerdings mitten im Trubel Zeit hat, das Kraut mit Liebe anzurichten, sei dahingestellt. "Besser ein Gericht Kraut mit Liebe als ein gemästeter Ochse mit Hass." (Sprüche 15,17)
Bloß keine Eitelkeit!
Einige Leute besuchen die Wiesn nicht um zu feiern, sondern um sich selbst zu bestätigen, wie vernünftig und gesittet sie im Vergleich zu den biertrinkenden Festbesuchern sind. Aus zwei Gründen ist diese Haltung nicht förderlich. Der eine: Diese Menschen werden den Sinn der Wiesn nie verstehen. Der andere: Sie begehen die Sünde des Hochmutes. Der kommt bekanntlich vor dem Fall und ist in biblischen Zeiten nicht weniger verbreitet als heute. Wer also zur Wiesn geht, sollte das Denken am Eingang abgeben und ganz ins Getümmel eintauchen. "Halt dich nicht für etwas Besseres unter der Masse der Sünder." (Sirach 7,17)
Unbedingt treu bleiben!
Alkohol löst nicht nur die Zunge, sondern auch allerlei Hemmungen. Dirndl gewähren tiefe Einblicke in Dekolletés, Lederhosen dokumentieren knackige Manneskraft: Da wird die Gelegenheit zum Küssen und zu anderen körperlichen Freuden gern mal genutzt. Zumal das Denken - siehe oben! - ja Wiesnverbot hat. Trotzdem entwickeln oktoberfestliche Ausschweifungen bisweilen verheerende Folgen. Vor allem bei Liierten oder gar Verheirateten. Für alle Seiten schlauer ist, den Alkoholpegel nicht höher als die eigenen Treuevorstellungen zu schrauben. Eine Erinnerung an das sechste biblische Gebot ist daher nötig: "Du sollst nicht ehebrechen." (2. Mose 20,14)
Trinket, dass ihr trunken werdet!
Das könnte den bayerischen Bierbrauern wohl so passen, dass die Bibel zum Komasaufen auffordert! Tatsächlich ist es anderes: Dem Propheten Jeremia zufolge möchte Gott die Könige der israelfeindlichen Völker mit einer ganz perfiden Kater-Taktik quälen: "Trinkt, dass ihr trunken werdet", verlangt er, "und speit, dass ihr niederfallt und nicht aufstehen könnt!" Die Reihenfolge trinken und speien wiederum ist einem nicht unbeträchtlichen Prozentsatz der Wiesnbesucher bekannt. Wer weiß, vielleicht ist auch ihr Delirium und der Kater danach ein Zeichen Gottes? "Trinkt, dass ihr trunken werdet!" (Jeremia 25,27)
Schaufel nicht vergessen!
1.800 Toiletten für Zigtausende Besucher: Das kann nicht reichen. Zumal einige die Stille des Örtchens als Telefonzelle zweckentfremden. Für den Fall, dass die Notdurft stärker ist als die Klokapazität, empfiehlt die Bibel, immer eine Schaufel dabei zu haben. Denn die Grashänge an der Bavaria werden bekanntermaßen von Menschen belegt, die auf sauberen Rasen hoffen. "Und du sollst draußen vor dem Lager einen Platz haben, wohin du zur Notdurft hinausgehst. Und du sollst eine Schaufel haben, und wenn du dich draußen setzen willst, sollst du damit graben; und wenn du gesessen hast, sollst du zuscharren, was von dir gegangen ist." ( 5. Mose 23, 13)
Der Beitrag ist der jüngsten Ausgabe (39/26. September 2010) des Evangelischen Sonntagsblatts in Bayern entnommen.