In Russland breitet sich die schwerste Waldbrandkatastrophe seit Jahrzehnten weiter aus. In den vergangenen 24 Stunden seien rund 300 schwere Brände hinzugekommen. Das sagte der Leiter des nationalen Krisenzentrums, Wladimir Stepanow, am Mittwoch nach Angaben der Agentur Interfax.
Holzkirche der russisch-orthodoxen Kirche niedergebrannt
Besonders schlimm sei die Lage weiter in der Region von Nischni Nowgorod, etwa 400 Kilometer östlich von Moskau. Dort liegt auch das atomare Forschungszentrum Sarow. Die Lage um die Einrichtung habe sich nach der Verstärkung der Löschtruppen auf 2.000 Mann aber etwas entspannt, sagte Stepanow. Mit schwerer Technik und Löschflugzeugen müsse ein Übergreifen der Flammen jedoch weiter verhindert werden.
Die Zahl der Toten bei den Bränden wurde landesweit mit 48 angegeben. Erstmals gab es auch offizielle Berichte über die Zerstörung wertvoller Kulturschätze. In dem Dorf Jewlaschewo im Gebiet Pensa - etwa 560 Kilometer südöstlich von Moskau - brannte eine Holzkirche der russisch-orthodoxen Kirche nieder. Mit dem Gotteshaus Michail Archengel gingen auch der Altar und Ikonen in Flammen auf. Einige Ikonen stammten aus dem 19. Jahrhundert.
Zunehmend dicke Luft in Moskau
Der Rauch von den schwersten Wald- und Torfbränden seit Jahrzehnten hat die russische Hauptstadt am Mittwoch in dichten Smog gehüllt. Im Stadtzentrum betrug die Sichtweite nur etwa 200 Meter. Wie bei dichtem Nebel war der Verkehr wegen der schlechten Sicht auf den Straßen eingeschränkt. In der ganzen Stadt herrscht extremer Brandgeruch. "Wir bereiten uns auf die schlimmste Entwicklung der Ereignisse vor", sagte Zivilschutzminister Sergej Schoigu nach Angaben der Agentur Interfax. Es sei schwer, Vorhersagen zu machen.
Viele Bewohner der Hauptstadt klagten über schwere allergische Beschwerden, Atemnot, Übelkeit und Kopfschmerzen. Ärzte berichten seit Tagen von einem Anstieg der Notrufe. Auf den Flughäfen der Stadt mit den mehr als zehn Millionen Einwohnern gab es zunächst keine Einschränkungen, wie die Agentur Interfax meldete.
Beißender Brandgeruch durchzog viele Städte des Landes. Der Schadstoffgehalt in der Luft sei mehr als doppelt so hoch wie an anderen Tagen, sagte ein namentlich nicht genannter Experte. "Ein paar Stunden auf Moskauer Straßen kommen zwei Packungen Zigaretten gleich." Nach Behördenangaben wurden allein am Dienstag landesweit Hunderte Menschen mit Brandwunden, Rauchvergiftungen und Kreislaufversagen in Krankenhäuser gebracht. Tausende sind obdachlos. Der bis Herbst angekündigte Wiederaufbau der Häuser werde von Kameras überwacht, versprach Putin. Dies sorge für eine lückenlose Kontrolle.
Russland akzeptiert Hilfe aus dem Ausland
Bei der schwersten Naturkatastrophe starben bisher nach offiziellen Angaben 41 Menschen. Die Hilfsorganisation Caritas International rechnet jedoch aufgrund von Angaben ihrer russischen Gruppen mit deutlich mehr Toten.
Die Brände seien "eine große Tragödie", sagte Kremlchef Dmitri Medwedew. Russland werde alles daran setzen, "der Naturgewalt zu trotzen". Dazu nimmt das Riesenreich nun auch Hilfe aus dem Ausland an. Die Ukraine schickt zwei Flugzeuge vom Typ Antonow An-32, außerdem sollen zwei Hubschrauber aus Aserbaidschan helfen. Medwedjew unterzeichnete am Dienstag einen Erlass, der es dem Ausland erlaubt, den Menschen zu helfen. Deutschland, die Ukraine und andere Staaten hatten bereits vor Tagen ihre Hilfe angeboten.
Torfbrände sollen geflutet werden
Allein in der Umgebung der Hauptstadt seien 50 neue Torfbrände aufgeflammt, berichtete Stepanow. Der Gouverneur des Gebiets Moskau, Boris Gromow, schlug Regierungschef Wladimir Putin das Fluten der brennenden Torfmoore vor. "Diese Maßnahme ist zwar aufwendig, aber der Torf ist eine reale Bedrohung für die Hauptstadt", sagte Putin bei einem Treffen mit Gromow. "Arbeiten Sie einen Plan dafür aus."
Die Löschtrupps waren zwar ununterbrochen im Einsatz. Aber wegen des starken Windes und der Gluthitze brachten sie nur wenige der Feuerfronten unter Kontrolle. Zudem können Löschflugzeuge nur bei Tageslicht eingesetzt werden. An mehreren Orten übersprangen die Flammen die angelegten Brandschneisen.
Zunächst müssten die Menschen aus bedrohten Dörfern in Sicherheit gebracht werden, sagte Stepanow. Dies habe Vorrang vor der Rettung des Waldes und dem Löschen der Gebäude. Im Raum Nischni Nowgorod setzte die Armee auch sogenannte Feuerspringer ein. Die Experten springen per Fallschirm aus Flugzeugen ab und können so Waldbrände in weit entlegenen Gebieten schnell bekämpfen.
Torf als gefährlicher Zündstoff
Torf zählt zu den beliebten Brennstoffen. Die Vorstufe der Kohle entsteht, wenn sich Pflanzen, vor allem Moose, im sauren Wasser von Mooren zersetzen. Torferde kann viel Wasser speichern. Aus diesem Grund wird er auch als Dünger verwendet. Um die Brennkraft zu entwickeln, muss der Boden trockengelegt werden.
Im europäischen Teil Russlands wurden nach Schätzungen etwa die Hälfte der 120.000 Quadratkilometer Moorfläche für die Torferzeugung und die Landwirtschaft entwässert. Als die Torfindustrie nach 1990 zusammenbrach, wurden die Flächen nicht mehr gepflegt und trockneten jetzt unkontrolliert aus.
Torffeuer sind schwer zu bekämpfen, da die Brände in der zwei bis drei Meter dicken Schicht schwelen und erst durch langanhaltenden Regen gelöscht werden. Zudem ist verbrennender Torf mit seinem hohen Kohlenstoffanteil eine große Gefahr für Mensch und Umwelt.
Eine Untersuchung der Universität München bei den großen Torfbränden in Indonesien 1997 und 1998 geht davon aus, dass der mit Aerosolen durchsetzte Rauch lebensbedrohlich werden kann. Die Belastung für die Bevölkerung entspreche einem Konsum von etwa 80 Zigaretten am Tag. Zudem setzen die Torffeuer viel mehr Treibhausgase - vor allem Kohlendioxid - frei als herkömmliche Waldbrände.
Große Waldbrände werden von Menschen gemacht
Große Waldbrände wie die in Russland werden nach Einschätzung von Experten vorwiegend vom Menschen verursacht. "Für eine Selbstentzündung wegen der großen Trockenheit gibt es keine Belege", sagte Johann G. Goldammer, Leiter der Arbeitsgruppe Feuerökologie des Max-Planck-Instituts für Chemie an der Universität Freiburg, der Nachrichtenagentur dpa.
Die Behörden sprechen von der schwersten Trockenheit und Hitze in Russland seit mehr als 130 Jahren. In den kommenden Tagen könne die Temperatur an manchen Orten sogar auf über 40 Grad Celsius steigen, sagten Meteorologen voraus. Wegen der Dürre korrigierte die Regierung bereits ihre Prognose für die Getreideernte deutlich nach unten. Russland ist einer der weltgrößten Exporteure von Weizen.