Russland steht in Flammen. Die verheerendsten Wald- und Torfbrände seit Jahrzehnten weiten sich zunehmend zu einer nationalen Katastrophe aus. Die Lage in vielen Regionen des größten Landes der Erde und vor allem im Zentrum des europäischen Teils von Russland habe sich am Wochenende weiter verschlimmert. Das teilte der Chef des nationalen Krisenzentrums, Wladimir Stepanow, nach Angaben der Agentur Interfax mit. "Russland brennt!", schrieb die Moskauer Zeitung "Kommersant" auf mehreren Sonderseiten.
438 Brände - 5.500 Quadratkilometern Fläche verbrannt
Bei den Bränden wurden mehr als 30 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt. Tausende Russen sind obdachlos. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) drückte den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. Falls gewünscht, werde geprüft, inwieweit Deutschland medizinische Hilfe leisten könne. Auch Notunterkünfte und Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung gehörten zur Katastrophenhilfe, teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit.
Das Zivilschutzministerium in Moskau gab die Zahl der Brände am Sonntag mit 438 an. Insgesamt sei in den vergangenen Wochen eine Fläche von rund 5.500 Quadratkilometern verbrannt - das entspricht etwa dem Anderthalbfachen der Größe Mallorcas. Auch von der fernöstlichen Halbinsel Kamtschatka und aus der Taiga gab es Berichte über sich ausweitende Brände. Regierungschef Wladimir Putin ordnete für diesen Montag in Moskau eine Krisensitzung der Gouverneure der betroffenen Regionen an.
Ausnahmezustand in 14 Regionen
Der Zivilschutz setzte Flugzeuge, Raupen und Züge mit großen Wassertanks gegen die Feuersbrunst ein. Präsident Dmitri Medwedew verteidigte bei einem Treffen mit Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow den von ihm angeordneten Einsatz von mehr als 2000 Soldaten mit schwerer Technik. "Das ist eine echte Naturkatastrophe, die höchstens alle 30 bis 40 Jahre passiert, deshalb durfte das Verteidigungsministerium zum Löschen und zur Beseitigung der Folgen eingesetzt werden", sagte Medwedew am Samstag.
Die Behörden haben in 14 Regionen den Ausnahmezustand verhängt. Zehntausende Einsatzkräfte kämpften gegen die Flammen. Stellenweise bereiteten sich die Feuer wegen starker Winde mit bis zu 100 Metern in der Minute aus. Besonders dramatisch war die Lage weiter in Nischni Nowgorod, etwa 400 Kilometer östlich von Moskau. Dort waren die Verwüstungen am größten. Die Polizei verstärkte ihr Personal, um gegen Plünderer und Brandstifter vorzugehen.
In der Region liegt auch das atomare Forschungszentrum Sarow. Es gelte nun, vor allem die Nuklearanlagen vor den Flammen zu schützen, sagte Zivilschutzminister Sergej Schoigu. Schlechte Sichtbedingungen erschwerten den Einsatz von Lösch-Flugzeugen. Mehrere Flugzeuge vom Typ Iljuschin Il-76 mit besonders großen Wassertanks sowie Mi-8- Hubschrauber waren am Sonntag in der Luft.
Tausende Menschen verlieren ihr Hab und Gut
"In 17 Regionen ist die Lage so, dass sie sich weiter verschlimmern kann", sagte Schoigu. In vielen Gebieten hatten die Flammen bereits in den vergangenen Tagen Hunderte Häuser in Schutt und Asche gelegt. Helfer brachten in den besonders betroffenen Gebieten in Zentralrussland Dutzende Kinder in Sicherheit. Auch im Moskauer Umland verschärfte sich die Situation. Hier gab es am Sonntag 130 Wald- und Torfbrände.
Weil bereits ganze Dörfer in Flammen aufgegangen sind, haben Tausende Menschen ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Viele Häuser in der russischen Provinz sind aus Holz. Sie fangen deshalb besonders schnell Feuer. Putin sicherte den Betroffenen rasch neue Wohnungen zu. Diese sollten schon im Oktober bezugsfertig sein.
Zugleich kritisierte der Ex-Kremlchef die Provinzverwaltungen dafür, dass nicht alles getan worden sei, um ein solches Ausmaß der Brände zu vermeiden. Er kündigte Konsequenzen für die Verantwortlichen an.
"Das ganze System der politischen Macht brennt!"
Dagegen gaben etwa der Bürgermeister von Murmansk, Sergej Subbotin, und auch Oppositionspolitiker der Führung in Moskau die Schuld an der Katastrophe. "Das ganze Land brennt, das ganze System der politischen Macht!", sagte Subbotin der Zeitung "Kommersant". Moskau lasse den Provinzen seit Jahren keinen Freiraum zum eigenständigen Handeln, kritisierte die Opposition. Zudem habe Russland keine Umweltpolitik, schimpfte der Chef der liberalen Jabloko-Partei, Sergej Mitrochin.
In vielen Regionen des Riesenreichs liegen die Temperaturen seit Wochen um die 35 Grad. Wegen der Jahrhunderthitze herrscht in weiten Teilen des Landes extreme Dürre. Wetterforscher erwarten keine Entspannung in den kommenden Tagen.
Es ist der heißeste Sommer seit mehr als 130 Jahren. Regen gab es kaum. Hinzu kommen im Umland der Hauptstadt Moskau schwere Torfbrände, die seit Tagen die Luft für die mehr als zehn Millionen Einwohner verschlechtern. Die Dürre hat auch große Teile der Ernte vernichtet, die Regierung spricht von Schäden in Milliardenhöhe. Der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Kirill I., rief die Gläubigen auf: "Betet dafür, dass es regnet!"