"Derzeit gibt es nicht ausreichend gerechte Bedingungen für den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen", sagte der Vorsitzende des Ersatzkassenverbands vdek, Thomas Ballast, der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. "Das Ungleichgewicht hat dazu geführt, dass die AOKen im vergangenen Jahr einen Überschuss von 916 Millionen Euro eingefahren haben, während die Ersatzkassen ein Defizit von 157 Millionen verbuchten", sagte der Vertreter unter anderem von Barmer GEK, Techniker Krankenkasse, DAK und KKH-Allianz.
"Risikostrukturausgleich muss weiterentwickelt werden"
Ballast kritisierte damit den Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Kassen. Versicherungen mit vielen chronisch Kranken bekommen seit eineinhalb Jahren mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds als Kassen mit überwiegend Gesunden. "Der Risikostrukturausgleich muss weiterentwickelt werden", forderte Ballast. "Durch die Ausweitung auf 80 Krankheiten sind die Gewichte stark zugunsten der AOKen verschoben worden. Nur noch die Kosten für 50 Krankheiten sollten ausgeglichen werden, für die teuersten Krankheiten sollte ein Risikopool eingerichtet werden." Ballast sieht dies als Voraussetzung dafür an, dass keine Kasse im kommenden Jahr Zusatzbeiträge erheben muss.
Mit der DAK und der KKH-Allianz nehmen zwei große Ersatzkassen acht Euro im Monat zusätzlich von ihren Mitgliedern. Viele Versicherte kehrten den Kassen mit Aufschlag den Rücken. "Für die Krankenkassen, die Versichertenabgänge hinnehmen mussten, ist das nicht erfreulich", sagte Ballast. "Aber es gibt bei keiner Ersatzkasse eine krisenhafte Entwicklung. Im kommenden Jahr entspannt sich die Finanzlage." Grund hierfür ist unter anderem der um 0,6 Punkte auf 15,5 Prozent steigende Beitragssatz.
Sparvolumen nicht verwässern
Ballast forderte zudem von der Koalition Standfestigkeit gegenüber Ärzten, Apotheken und der Pharmabranche. "Unsere Sorge ist, dass die Eckpunkte in der Umsetzung so bearbeitet werden, dass das Sparvolumen verwässert wird", sagte er. Im kommenden Jahr will die Koalition hier 3,5 Milliarden Euro sparen. "Trotz der Proteste der Hausärzte, der niedergelassenen Ärzte insgesamt und der Krankenhäuser muss die Regierung ihre Eckpunkte über die Ziellinie retten." Nach langem Streit hatte sich die Koalition auf Eckpunkte geeinigt, die nach der Sommerpause umgesetzt werden sollen.
Ballast warnte auch vor einer sozialen Schieflage durch die geplante Aufhebung der Grenze für Zusatzbeiträge - trotz des vorgesehenen Sozialausgleichs. "Wenn 2012 vermehrt Zusatzbeiträge kommen, werden Besserverdienende relativ weniger stark belastet als Menschen mit mittlerem und niedrigem Verdienst."
Forscher: Bald nur noch 100 Krankenkassen
Die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen wird sich nach Einschätzung des Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem weiter drastisch vermindern. "In fünf Jahren werden wir bei rund 100 Kassen sein", prognostizierte der Essener Forscher der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Seit Anfang vergangenen Jahres verringerte sich die Zahl der Kassen von 202 auf heute 163.
Vor allem bei den heute noch 128 Betriebskrankenkassen (BKK) werde es Zusammenschlüsse geben. "Bei den BKKs gibt es drei Typen", sagte Wasem. Einige der Kassen stünden gut da. Andere hätten Probleme, mit den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds auszukommen, verfügten aber noch über Rücklagen für einige Jahre. "Und wieder andere haben weder Rücklagen noch bekommen sie ausreichend Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Der Druck zu Fusionen steigt bei ihnen rasch an."
Die geplante Beitragserhöhung von 14,9 auf 15,5 Prozent sowie die wieder angesprungene Konjunktur bringe der Krankenversicherung im kommenden Jahr wieder mehr Einnahmen. "Ein Teil der Kassen, die Zusatzbeiträge erheben, haben deutliche Chancen, davon wieder herunterzukommen", sagte Wasem. Allerdings sei noch nicht sicher, ob die Sparankündigungen der Koalition im Gesundheitswesen in die Tat umgesetzt würden. Außerdem könnten Kassen beim Zusatzbeitrag bleiben, wenn sie annehmen, dass sich die Finanzlage bald wieder verschlechtere.
"Fest steht, dass 2012 und stärker noch 2013 vermehrt mit Zusatzbeiträgen zu rechnen ist", sagte Wasem. "Die Zusatzbeiträge werden steigen, und die Spannbreite zwischen den Krankenkassen wird wachsen."
"FAZ": Kassen-Wahltarife werden kaum genutzt
Gesetzlich Krankenversicherte nutzen einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge kaum die Möglichkeit, Wahltarife mit Beitragsrückerstattung zu wählen. Zur Jahresmitte hatten nach Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums nur gut eine halbe Million der 70 Millionen Versicherten einen solchen Tarif gewählt. Die Techniker Krankenkasse will die Wahloptionen nach Informationen der Zeitung (Freitagausgabe) nun ausdehnen.
Erstmals will sie ihren Mitgliedern die Möglichkeit bieten, bestimmte Leistungen abzuwählen und dafür im Jahr bis zu 120 Euro erstattet zu bekommen. Dazu gehören etwa der Verzicht auf freiwillige Kassenleistungen wie Zuschüsse zu Badekuren für Unterkunft und Verpflegung oder Reiseschutz-Impfungen und Malariaprophylaxe auf privaten Auslandsreisen.
Darüber hinaus will die zweitgrößte deutsche Krankenkasse ihren Kunden auch die Option bieten, auf gesetzlich verbriefte Fahrtkosten zu Kuren, Ärzten und Kliniken zu verzichten. Das Bundesversicherungsamt muss dem Vertrag noch zustimmen. Harald Schulte, Vorsitzender des TK Verwaltungsrates, sagte: "Viele Kunden wünschen sich mehr Entscheidungsfreiheit, auch was die eigene Gesundheit angeht. Der neue Wahltarif gibt ihnen die Möglichkeit, ihren Krankenversicherungsschutz individuell an die persönlichen Bedürfnisse anzupassen."