Der Wind fegt mir mit Tempo 70 ins Gesicht. Unter mir knattert der betagte VW-Käfer-Motor. Die ganze Straße, in der ich wohne, ist auf den Beinen. Einige schauen irritiert, andere winken mir fröhlich zu. Kein Wunder: Immerhin rauschen zwölf Trikes an den Häusern in der Nachbarschaft vorbei. Das passiert bei uns nicht jeden Tag.
Jetzt liege ich auf dem ledergepolsterten Sitz und bin so glücklich wie schon lange nicht mehr. Ohne Helm und ohne Gurt, nur mit Bandanas und einer Sonnebrille auf dem Kopf. Freiheit pur. Ein Stück Wild-West-Romantik mit viel PS. Dabei hab ich mit motorisierten Dreirädern normalerweise nichts am Hut. Es ist eher so, wie bei der Jungfrau und ihrem Kind. Ich habe die Fahrt auf der Maschine spendiert bekommen und das kam so:
Triker-Paar aus Belgien
Das Telefon klingelt, und Achim ist in der Leitung. Achim veranstaltet seit Jahren eines der größten Trike-Treffen in Deutschland. Über 300 Maschinen sind hier am Start. Dieses Mal wird sogar ein Pärchen aus Belgien erwartet. Und da komme ich ins Spiel, denn die Beiden möchten heiraten. Mitten während des Treffens. Mitten im Festzelt. Mitten unter ihren besten Freunden, die - wie könnte es anders sein - alle beim Trike-Treffen in Verl-Kaunitz sind.
Und ausgerechnet ich soll sie trauen. In vier Wochen ist es soweit. Ich habe keinen Plan, wie das geht, ich weiß nicht mal, ob das außerhalb einer Kirche überhaupt geht. Das einzige, was ich habe, sind ein Name und eine Telefonnummer. Als mein Chef mir grünes Licht gibt, rufe ich Tom, den Bräutigam, an. Der duzt mich von der ersten Minute an. So, als würden wir uns schon seit dem Kindergarten kennen. Na, das kann ja locker werden, denke ich und stiele die Trauung ein. Zwei Tage vorher will das Paar anreisen. Dann werden wir uns treffen und alles weitere besprechen.
Donnerstagmorgen, 11 Uhr. Langsam rolle ich mit dem PKW aufs Festgelände. Ein komisches Gefühl zwischen so vielen Trikes. Ich fühle mich "overdressed". Irgendwie ein Rad zuviel. Ich quatsche den Erstbesten an und frage nach dem Brautpaar. "Bist du von der Zeitung oder was willst du von denen?" fragt mich Dieter, der gerade dabei ist, den Getränkewagen anzuschließen. "Nee, ich bin der Pastor", antworte ich und dann nimmt alles seinen Lauf.
Triker bauen Altar auf
"Ey, kommt mal alle her!" ruft Dieter. "Hier ist der Pastor für Samstagnachmittag!" Und dann kommen sie alle, klopfen mir auf die Schulter und zeigen mir voller Stolz den Altar, den sie im Festzelt aufgebaut haben. Sogar Kreuz, Blumen, Kerzen und Bibel haben sie organisiert. Damit die Trauung möglichst stilecht wird. Schließlich zeigen sie mir den Zeltplatz des Brautpaares. Ich bin spät dran und mache mich auf den Weg.
"Willst du 'n Bier oder trinkst Du Kaffee?" fragt mich Tom und deutet auf den Klappstuhl. Ich setze mich und entscheide mich für Kaffee. Dann erzählen Tom und Frauke ganz aufgeregt davon, wie sie auf dem Hinweg ausgeraubt worden sind. Nur mit großer Mühe ist es gelungen, die Papiere wiederzufinden. Darunter auch die Unterlagen vom Standesamt. Glück gehabt. Gut zwei Stunden sitzen wir zusammen, planen den Gottesdienst, trinken Kaffee, quatschen über Gott und die Welt und über das Trikefahren natürlich auch.
Doch so locker das Traugespräch auch war - umso schwerer tue ich mich zuhause am Schreibtisch. Was soll ich den beiden sagen? Welche Worte soll ich wählen? Klar: Die Beiden sollen mich verstehen und die Gemeinde im Festzelt auch. Andererseits will ich mich nicht anbiedern. Ein schwieriger Balanceakt zwischen Volksgaudi und würdevollem Anlass.
Wie und was sagt man?
Ich greife zum Telefon und rede mit meinem Kollegen Michael. Der ist seit Jahren Trucker- und Biker-Pfarrer unserer Landeskirche und kennt sich mit allem aus, was Räder hat. Michael sagt: "Bleib locker und red' so, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Dann passt das schon."
Wir drehen noch eine Runde ums Gelände. Das ist gar nicht so einfach, weil die Straßenränder mit parkenden Trikes gesäumt sind. Schließlich biegen wir mit den Maschinen auf den Festplatz ab. Die Sonne knallt. Gefühlte 32 Grad. Vor mir werden ganze Schubkarren voll Nackensteaks über den Grill gezogen. Hinter mir wird an einem schattigen Stand fleißig tätowiert.
Und dazwischen an die 500 Triker in ihren Kutten: Schwarzes Leder, Tattos, Piercings. Junge, das kann ja was werden, geht es mir durch den Kopf. Ein paar Gemeindeglieder winken mir fröhlich zu. Sie haben am Sonntag vorher in der Kirche erfahren, dass Deutschlands erste Triker-Trauung während eines Trike-Treffens an den Start geht.
Ich springe schnell in meine eigene Kutte. Die ist zwar nicht aus Leder, aber immerhin schwarz. Doch vom Brautpaar weit und breit nichts zu sehen. Ich mache mich auf den Weg zu seinem Lagerplatz und finde den Bräutigam. Der hat sich vor lauter Muffensausen ins Zelt verkrochen. Mit Mühe kann ich ihn wieder beruhigen und dann kann es endlich losgehen. Fast. Denn vor dem Zelt warten etliche Medienvertreter auf Fotos und O-Töne. Kurzes Blitzlichtgewitter mit Pastor und Brautpaar auf dem festlich geschmückten Trike. Schnelles Interview mit Sat1 und RTL vor laufender Kamera, dann ist es soweit.
Handgemachte Country-Musik
Wir ziehen ins Festzelt ein. Ich gehe voran, hinter mir das Brautpaar. Tom mit blütenweißem Hemd zur schwarzen Lederweste. Frauke im schwarz-roten Western-Kleid, das das Nötigste bedeckt. Statt Orgel gibt es handgemachte Countrymusik zur Akkustik-Gitarre. Statt an Kirchenbänken ziehen wir an Bierzeltgarnituren vorbei, an denen die Gäste sitzen.
Da, wo sich in Kirchen üblicherweise die Seitenschiffe befinden, sind rechts und links zwei lange Theken aufgebaut. Im Mittelgang und an den Seiten stehen die Trikefreunde, viele davon mit einem kühlen Blonden in der Hand. Das hätte ich jetzt auch gerne angesichts der tropischen Temperaturen. Kein Lüftchen geht. Der Schweiß fließt in Strömen. So wie im echten Western.
Ich lese Psalm 23 in einer eigens getexteten Triker-Fassung. Erzähle von der Liebe, die Gott uns Menschen schenkt. Und von dem dritten Rad, das ein Bike erst zum Trike macht. "Genauso ist Gott der Dritte in dem Bund, den ihr heute schließt", sage ich dem Brautpaar, das zustimmend nickt.
Bitte um Gottes Segen
Dann die nächste Überraschung: die Ringe. Sie liegen weder auf dem Silbertablett noch auf einem Kissen. Nein, der Bräutigam zieht eine alte Tabakdose aus der Westentasche, die mit Watte ausstaffiert ist. Auf der Dose befindet sich ein abgewetzter Aufkleber. Ausgerechnet mit einem pinkfarbenen Stinkefinger. Ich schlucke und versuche, das Unerwartete positiv zu wenden: "Seht bloß zu", sage ich in Richtung Brautpaar und zeige die Dose Richtung Gäste, "dass Ihr Euch die Ringe an den richtigen Finger steckt. Dieser hier ist es jedenfalls nicht."
Während der Zeremonie ist es mucksmäuschenstill. Wo vorher noch Biergläser geklimpert haben, kann man eine Stecknadel fallen hören, als die Braut sagt "Ja, mit Gottes Hilfe". Beim Vater Unser falten sich tätowierte Hände zum Gebet. Während des Schlusssegens erneut unerwartete Bilder: Hartgesottene Triker liegen sich zu Tränen gerührt in den Armen. Nicht, weil sich ihr bester Freund, der wie sie die Freiheit auf dem Trike liebt, auf ewig gebunden hat. Sondern weil Gottes Wort die vermeintlich harte Schale durchbrochen und die Herzen der Triker erreicht hat.
Nach dem Gottesdienst werde ich draußen vor dem Zelt von allen Seiten angesprochen. So mancher nimmt mich spontan in den Arm. Einige bitten darum, Gottes Segen persönlich zugesprochen zu bekommen. Mit anderen plaudere ich über die Trauung und über die Liebe. Schließlich werde ich ins Haus von Anita mitgenommen, die so etwas wie die gute Seele der Kaunitzer Dreirad-Szene ist. Dort verabreden wir, dass wir im kommenden Sommer zum Trike-Treffen einen Open-Air-Gottesdienst auf dem Festgelände feiern wollen. Darauf freue ich mich schon genau so sehr wie auf die Rückfahrt mit dem Trike-Korso nach Hause.
Bernd Tiggemann gehört zu dem Team, das sich pfleglich um nrw.evangelisch.de kümmert.