Sieben Wochen Ölpest - sieben drängende Fragen

Sieben Wochen Ölpest - sieben drängende Fragen
Am 22. April sinkt die Bohrinsel "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Die schlimmste Ölpest in der US- Geschichte beginnt. An diesem Donnerstag ist das sieben Wochen her - und sieben Fragen werden immer drängender.
09.06.2010
Von Marco Mierke

1. Wie konnte es zu der Katastrophe kommen?

Fakt ist, es gab Explosionen, elf Menschen starben, die Bohrinsel sank. Das Öl begann, aus dem aufgerissenen Steigrohr in 1.500 Meter Tiefe zu strömen. Was davor passierte, kommt nur langsam ans Tageslicht. Der Ölkonzern BP habe die Bohrarbeiten hektisch abbrechen wollen, um teure Miete für die Plattform zu sparen, sagten Zeugen bei Anhörungen im US-Kongress. Die Arbeiter mussten sich beeilen - sie übersahen ein Leck im Bohrloch, Gas strömte aus und explodierte. Das ultimative Sicherheitssystem, der Blowout Preventer, sollte das Öl nach einem solchen Unfall in der Quelle zurückhalten. Es versagte.

2. Wie viel Öl ist schon im Meer?

Die Schätzungen darüber steigen fast täglich. Anfangs sprach BP von 136 Tonnen, die pro Tag ins Meer fließen, korrigierte sich aber schnell auf 700. Mittlerweile geht die US-Regierung von bis zu 3.400 Tonnen Öl aus. Wissenschaftler glauben, es ist noch mehr. Insgesamt könnten bisher rund 185.000 Tonnen im Meer gelandet sein, rechnete die "New York Times" aus. Die Menge reicht zwar noch nicht an den bisher schlimmsten Bohrinsel-Unfall heran - 1979 floss vor Lateinamerika viermal so viel Öl in den Golf von Mexiko. Aber noch sprudelt das Bohrloch vor der Küste Louisianas weiter.

3. Warum strömt das Öl immer noch aus?

BP hat schon vier Anläufe unternommen, das Leck zu schließen. Roboter sollten den Blowout Preventer reparieren. Misslungen. Eine riesige Stahlkuppel über dem Leck, um das Öl abzufangen? Untauglich. Ein kleines Saugrohr? Minimaler Effekt. Dann der ganz große Anlauf: Mit Schlamm und Gummiteilen das Bohrloch verstopfen. Amerika drückte die Daumen, jedoch vergeblich. Jetzt hat BP das defekte Rohr abgesägt und einen Deckel draufgestülpt. Mehr als 2000 Tonnen Öl würden so pro Tag auf ein Schiff abgeleitet, sagt der Konzern. Doch Live-Videos zeigen: Noch immer strömt viel Öl ins Meer. Experten sind ratlos.

4. Was passiert mit all dem Öl?

Das ist unberechenbar. BP setzt darauf, dass viel auf natürliche Weise auf dem Meer verwittert. Einen Teil verbrennt der Konzern an der Meeresoberfläche, einen weiteren schöpft er mit Schiffen aus dem Wasser. Doch es wird schwerer, das rostbraune Rohöl einzudämmen. In tausenden kleinen Pfützen verteilt es sich über mehr als 300 Kilometer auf dem Meer. Es könnte in eine Strömung geraten, "Loop Current" genannt, die in den Atlantik führt. Und wohin Hurrikane das Öl treiben könnten, weiß niemand. Sorgen bereiten auch kilometerlange Schwaden mit kleinen Öltröpfchen unter Wasser. Die US-Behörde für Ozeanographie (NOAA) bestätigte jetzt, dass es sie gibt. Jedes Tier, das die Tröpchen frisst, nimmt eine gefährliche Giftdosis auf.

5. Wann wird das Leck denn ganz verschlossen sein?

BP sagt, bis August. Skeptiker glauben, es dauert viel länger. Der Konzern bohrt zwei Löcher zum Boden der Quelle rund vier Kilometer unter dem Meeresgrund. Durch die Öffnungen soll Zement fließen, um das Bohrloch zu versiegeln. Eine bewährte Methode. Aber wie alle BP- Anläufe in dieser Tiefe handelt es sich um einen technischen Kraftakt. Die Bohrungen müssen sehr genau sein - es gilt, ein 20 Zentimeter breites Ziel zu treffen. Das braucht Zeit. Die Folgen der Ölpest seien ohnehin viel länger zu spüren, sagt die Regierung. Die gröbsten Umweltschäden zu beseitigen, dauere bis weit in den Herbst.

6. Was bedeutet das für die Region, für die Natur?

Umweltschützer befürchten das Schlimmste. Ihre Prognosen: Ökologisch sensibles Marschland an der Golfküste erstickt im Öl; die Zahl der verschmutzten Pelikane, Seeschwalben, Reiher und anderer Vögel geht in die Tausende; Meeressäuger wie Delfine und Seekühe sterben den Hungertod. Der deutsche Naturschutzbund (NABU) spricht von der schlimmsten Ölkatastrophe in der Geschichte der Industrialisierung. Die Menschen in den betroffenen Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida haben Angst um ihre Jobs. Die Region lebt vom Fischfang, vom Tourismus - und auch von der Ölindustrie, die nun von der Politik viel stärker reguliert wird.

7. Und für Obama?

Der Präsident ist schwer unter Druck. Im Herbst stehen wichtige Kongresswahlen an, seine Demokraten wollen ihre Mehrheit verteidigen. 69 Prozent der Amerikaner seien unzufrieden damit, wie Obama mit der Ölkatastrophe umgeht, ergab eine Umfrage des Fernsehsenders ABC. Selbst George W. Bush kam besser weg, als der Hurrikan "Katrina" tobte, schreibt die "Washington Post". Obama habe nicht zugepackt, so die Kritiker. Doch er lernt: Bürgernähe und harte Worte gegen BP bestimmen jetzt seine Auftritte. Im Terminkalender macht er Platz für die Ölpest. Nächste Woche fliegt er zum vierten Mal ins Krisengebiet.

dpa