Die historische Entwicklung der Kirchensteuer

Die historische Entwicklung der Kirchensteuer
Rund 442 Millionen Euro an Kirchengehältern zahlt der Staat pro Jahr, rechnet der "Spiegel" vor. Warum eigentlich? Eine kurze Geschichte der Kirchenfinanzierung.
09.06.2010
Von Jens Petersen

Die Entstehung der Kirchensteuer seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist auf eine Reihe von Staat, Kirche  und Gesellschaft verändernden Umständen zurückzuführen. Durch die Annexion der linksrheinischen  Gebiete durch die französische Revolutionsarmee zu Anfang des 19. Jahrhunderts mussten die deutschen  Fürsten diese Ländereien an Frankreich abtreten Zum Ausgleich dafür eigneten sie - die Fürsten - sich  kirchlichen Grundbesitz und kirchliche Vermögenswerte an.

Auf Grund eines Gutachtens der in Regensburg zusammengetretenen außerordentlichen Reichsdeputation wurde im Reichsdeputationshauptschluss vom 25.2.1803 die Säkularisation des kirchlichen Vermögens beschlossen. Dies war ein Akt der völker- und  staatsrechtlichen Annexion, verbunden mit der Aufhebung der politischen Herrschaft von Bischöfen über geistliche Territorien, der Enteignung von Territorien und Vermögen der (katholischen) Kirche, des gesamten bischöflichen und klösterlichen Grundbesitzes zur Entschädigung der erblichen deutschen Landesfürsten wegen Verlustes der linksrheinischen Gebiete, mithin Abschiebung der dem Reich als Ganzem auferlegten Entschädigung auf die geistlichen Fürstentümer und die Kirche.

Unterhalt der Kirchen und Pastoren

Zum Ausgleich übernahmen die Fürsten die Verpflichtung, für den Unterhalt der Kirche und der Pastoren zu sorgen. Umwälzungen zu Anfang des 19. Jahrhunderts ergaben sich auch in der Gesellschaft als Ganzes. Für die Staaten war es nicht mehr möglich, sich mit den in der Mehrzahl im Lande lebenden Religionsgemeinschaften ebenso eng zu  verbinden, wie das mit einer einzigen oder wenigstens privilegierten Konfession zuvor der Fall gewesen war, zumal die Religionsfreiheit und staatsbürgerliche Gleichheit nunmehr zu allgemeiner Anerkennung  gelangten. Die zunehmende Notwendigkeit zu einer "neutralen" Haltung gegenüber den Religionsgemeinschaften wurde verstärkt durch die großen konfessionsvermischenden Bevölkerungsverschiebungen, welche den Übergang zum liberalen Wirtschafts- und Industriestaat  begleiteten.

Noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gab es konfessionelle einheitlich zusammengesetzte Kommunen, die den Baubedarf für "ihre" Kirche aufbrachten. Mit dem Beginn der Industriealisation und den damit verbundenen Bevölkerungsbewegungen und konfessionellen Vermischungen der Kommunen kamen sie nicht mehr mit Selbstverständlichkeit für den kirchlichen Baubedarf auf. Vermögen besaßen die neuen Kirchengemeinden nicht. Der Rückgang der Naturalwirtschaft, der Übergang zur Gehaltszahlung an Pfarrer, die Entwicklung kirchlicher Versorgung für die Theologen im Ruhestand und ihre Hinterbliebenen steigerten den kirchlichen Finanzbedarf zusätzlich und damit die Notwendigkeit für den Staat, Zuschüsse zu leisten.

Bessere Besoldung der Pfarrer

Die Initiative für die Entwicklung einer  Kirchensteuer ging dann auch vom Staat aus. Er wollte eine bessere Besoldung der Pfarrer sicherstellen,  nachdem die Naturalwirtschaft (Pfründesystem) nicht mehr ausreichte. Die Kirchen sollten aber gleichzeitig die Gelder immer mehr selbst aufbringen und ihre Finanzen so in größerer Unabhängigkeit frei gestalten  können. Das war auch nötig, weil die Zahlungen der Baulastträger zurückgingen und Umlagen auf die  Gemeindeglieder erforderlich wurden. Die Erschließung einer Finanzquelle für die Kirchen lag schließlich  deshalb auch in staatlichem Interesse, weil der Staat durch die Verbindung mit der evangelischen Kirche  seit der Reformation und durch die Säkularisation von Kirchenvermögen beider Kirchen finanziell für beide  verantwortlich war.

Von dieser Beanspruchung wollte der Staat sich dadurch befreien, daß er den Kirchen  die Möglichkeit eröffnete, ihren Finanzbedarf durch Besteuerung der Kirchenangehörigen selbst zu decken, indem sie ihn auf die Gemeindeglieder umlegten, also: Kirchensteuer zu erheben. Die Kirchen akzeptierten die neue Finanzierungsmöglichkeit bald. Schon 1919, als die Kirchensteuerfrage in der Nationalversammlung erörtert wurde, hatte sich die Interessenlage jedoch geändert. Nunmehr waren die  Kirchen daran interessiert, die Garantie der Kirchensteuer in die Verfassung aufgenommen zu sehen.

Der  Verfassungsgeber kam dem Anliegen entgegen und garantierte neben anderen Vermögensrechten in Art. 137 Abs. 6 WRV das Kirchensteuerrecht als die praktisch wichtigste Befugnis, die mit dem Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verbundenen war. Mit dem Ende des landesherrlichen  Kirchenregiments fand auch die grundsätzliche Verpflichtung des Staates, für den Unterhalt der Kirche Sorge zu tragen, ein Ende. Die Absicherung eines eigenen originären Finanzierungsinstruments der Kirche bildete somit die politische und verfassungsrechtliche Konsequenz.

Eigene Kirchensteuerämter in Bayern

Die mit der Weimarer Reichsverfassung  erreichte Rechts- und Interessenlage besteht unter Geltung des Grundgesetz fort (Art. 140 GG). Der kirchenfeindlich eingestellte nationalsozialistische Staat tendierte im Rahmen seiner  Bekämpfung der Religion zur Abschaffung der Kirchensteuer. Die bisher obligatorische staatliche Verwaltung der Kirchensteuern wurde in eine Kannbestimmung umgewandelt. Die in Bayern vertretenen  Kirchen haben daraufhin 1943 eigene Kirchensteuerämter eingerichtet und die Verwaltung der Kirchensteuer in eigener Regie übernommen. Für die neu zum Reich hinzugekommenen Gebiete wurde die Kirchensteuer überhaupt nicht mehr zugelassen, sondern an ihrer Stelle nunmehr ein privatrechtlicher Beitrag vorgesehen.

Österreich spürt bei der Kirchenfinanzierung noch heute die Folgen jenes diktatorischen Eingriffs und der Ausgrenzung. Die  Entwicklung zur Kirchensteuer zu der in der Bundesrepublik Deutschland praktizierten Form zeigt zum  einen den Rückzug des sich zunehmend neutral verstehenden Staates aus der unmittelbaren Verantwortung für den finanziellen Unterhalt der Kirchen und andererseits unübersehbar, daß der Staat trotz dessen keine feindliche Trennung von Staat und Kirche und keine Privatisierung der Kirchen im  weltlichen Bereich durchführen wollte. Die Kirche, selbständig in ihrem ureigensten Bereich, aber unterworfen den für alle geltenden Gesetzen, ist nach unserem christlichem Verständnis  existenznotwendiger Bestandteil unseres Gemeinschaftsgefüges.