"Köhler-Rücktritt ist auch ökumenisch ein echter Verlust"

"Köhler-Rücktritt ist auch ökumenisch ein echter Verlust"
Eine heftig umstrittene Stellungnahme zu deutschen Kriegseinsätzen führte zum Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler. Wir fragten Renke Brahms, den Mitautor des vielbeachteten Kirchenworts zu Afghanistan, in dem die Evangelische Kirche in Deutschland vor einem bloßen "Weiter so" in der Aghanistanpolitik warnt, zu seiner Meinung über Köhlers Schritt.
31.05.2010
Die Fragen stellte Jörg Bollmann

evangelisch.de: Was sagen Sie zum Rücktritt des Bundespräsidenten?

Renke Brahms: Mich hat diese Nachricht natürlich auch überrascht, ich hätte mit einem solchen Schritt niemals gerechnet. Aber ich habe hohen Respekt vor einer solchen Entscheidung. Zu den Gründen: Wenn der Schritt, so wie es jetzt heißt, mit seinen Äußerungen zu dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zusammenhängt, möchte ich sagen: Ich halte seine Äußerung zwar für ausgesprochen unglücklich, aber ein Rücktritt wäre nicht nötig gewesen.

Rede statt Rücktritt?

evangelisch.de: Was lief falsch?

Brahms: Unglücklich war sicherlich, dass Horst Köhler Dinge miteinander verbunden hat, die nicht zusammengehören. Er hat auf eine Interviewfrage zum Afghanistan-Einsatz im Deutschlandfunk einen Zusammenhang mit dem Einsatz gegen die Piraten vor der Küste Somalias hergestellt, ohne das direkt zu benennen. Das war natürlich ungeschickt. Insofern hätte ich es gut gefunden, wenn es eine offizielle Stellungnahme gegeben hätte, vielleicht wäre auch eine Rede an die Nation angemessen gewesen.

evangelisch.de: Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Bundespräsident zurücktritt. Der Rücktritt steht in Zusammenhang mit seinen Äußerungen zu Afghanistan. Wieso ist aus Ihrer Sicht Afghanistan ein solch sensibles Thema?

Brahms: Ich glaube, dass ein solcher Schritt in Zusammenhang mit Afghanistan nicht zufällig ist. Das wissen wir spätestens seit der Neujahrspredigt von Margot Käßmann, wir wissen aber auch durch die Meinungsforscher, dass inzwischen eine Mehrheit in Deutschland gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist. Und wir dürfen nicht vergessen, dass dort deutsche Soldaten gestorben und viele andere noch immer in Lebensgefahr sind. Das macht dieses Thema einfach hochsensibel.
Brisant ist auch die Komplexität des Themas an sich. Das Dilemma besteht darin, dass ein schneller Abzug die Probleme nicht löst. Wir haben es mit einer ganz komplexen Thematik zu tun.

Eine Abzugsstrategie entwickeln

evangelisch.de: Nach den Äußerungen Margot Käßmanns zu Beginn dieses Jahres hat es ja eine Erklärung der EKD zu Afghanistan gegeben, der sowohl der Rat, als auch der Militärbischof, als auch Sie als Friedensbeauftragter zugestimmt haben. Können Sie die Kernaussagen der evangelischen Kirche zusammenfassen?

Brahms: Es gibt einige Grundforderungen, die in den diversen Papieren der evangelischen Kirche stehen. Zunächst mal geht es darum, eine ehrliche und klare Bestandsaufnahme zu machen. Was ist eigentlich in den letzten Jahren in Afghanistan passiert? Und was ist erreicht worden? Ferner geht es darum, deutlich zu machen, dass es einen klaren Vorrang für zivile Maßnahmen gibt. Vor den Militärischen. Drittens geht es darum, eine Abzugsstrategie zu entwickeln. Die Ergebnisse der Konferenz aus London müssen dabei genau analysiert werden. Es muss beobachtet werden, ob es einen wirklichen Strategiewechsel gibt.

evangelisch.de: Horst Köhler sollen bei seiner Erklärung die Tränen in den Augen gestanden haben. Berührt Sie eine solche Reaktion?

Brahms: Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, aus einer solchen Position zurückzutreten. Ich kann mir aber vorstellen, dass dies kein leichter Schritt ist, auch wenn es der erste Mann im Staat ist. Ich wünsche ihm viel Kraft und eine gute Begleitung in dieser Situation.

Überzeugter Christenmensch

evangelisch.de: Köhler ist evangelischer Christ, und er lebt das auch. Was bedeutet sein Rücktritt für die evangelische Kirche?

Brahms: Ich habe ihn selbst bei der Eröffnung des Evangelischen Kirchentages 2009 in Bremen erlebt und habe ihn als einen überzeugten Christenmenschen kennengelernt. Auch ökumenisch ist seine Entscheidung ein echter Verlust.

evangelisch.de: Haben Sie als Seelsorger Worte für Horst Köhler?

Brahms: Ich habe großen Respekt vor seiner Entscheidung. Ob ich das nachvollziehen kann, ob ich die Entscheidung für richtig oder angemessen halte, spielt dabei keine Rolle. Er ist glaubwürdig, und ich bin sicher, dass er als Christenmensch weiß: Selbst ein solches Amt ist nicht alles im Leben. Wichtig ist, dass er sich getragen fühlt.


Renke Brahms ist Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie Schriftführer - höchster geistlicher Repräsentant - der Bremischen Evangelischen Kirche.
Jörg Bollmann ist Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik.